Bei den Fantasiestücken handelt es sich um die erste Buchveröffentlichung Hoffmanns aus dem Jahr 1814. Hoffmann war bereits seit 1803 publizistisch tätig, aber schloss erst 1813 einen Vertrag mit dem Bamberger Verleger Kunz, der einen einzelnen Band weitgehend mit bereits veröffentlichten Texten Hoffmanns bringen wollte. Die Planung wurde aber sehr rasch erweitert, so dass die Fantasiestücke schließlich bis 1815 in vier Bänden ausgeliefert wurden. Die Jahre 1813 bis 1815 sind eine ereignisreiche Zeit im Leben Hoffmanns: Während der Zeit der Zusammenstellung und Niederschrift der vier Bände ist er als Musikdirektor in Dresden und Leipzig angestellt, gilt also schon als wichtiger Musiker seiner Zeit. Er hat bereits eine eigene Symphonie vorgelegt und komponiert in dieser Zeit seine Oper Undine nach dem Libretto Friedrich de la Motte Fouqués. Zugleich orientiert er sich beruflich neu, indem er sich um eine Anstellung im preussischen Justizministerium bewirbt, die ihn nach Berlin zurückbringen wird.
Trotz dieser beruflichen Auslastung entstehen in dieser Zeit bedeutende literarische Texte, die Hoffmanns Ruhm als Autor etablieren werden: Der goldene Topf, der den dritte Band der Fantasiestücke bildet, entsteht genauso wie umfangreiche Texte der Kreisleriana und nicht zuletzt weite Teile von Hoffmanns erstem Roman Die Elixiere des Teufels. Nebenbei schreibt er noch einige Rezensionen und kleinere Texte, von denen sicherlich Die Vision auf dem Schlachtfelde bei Dresden hervorzuheben ist.
Die Fantasiestücke selbst sind eine Zusammenstellung musikalischer und literarischer Schriften. Band 1 und 4 erhalten hauptsächlich Texte, die sich um Musik im engeren und weiteren Sinne drehen; in Band 1 tritt mit Jaques Callot [sic!] ein kurzer programmatischer Text zur Erläuterung des Titels hinzu; in Band 4 mit Die Abenteuer der Sylvester-Nacht eine anekdotisch erzählte, unglückliche Liebesgeschichte. Die meisten musikalischen Texte werden um ein Alter Ego Hoffmanns, den als verrückt angesehenen Kapellmeister Johannes Kreisler, gruppiert und tragen daher den Sammeltitel Kreisleriana. Band 2 enthält nur zwei Texte: Die Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, einem Gespräch zwischen dem Erzähler und dem von Cervantes erfundenen Hund, das unter anderem eine schneidende Parodie auf den zeitgenössischen Schauspiel-Betrieb enthält, die bis heute nicht wenige ihrer Spitzen behalten hat. Es folgt die Novelle Der Magnetiseur, eine halb philosophische, halb schauerliche Geschichte von dem unheimlichen Einfluss eines unheimlichen Mannes, der am Ende zum Untergang einer ganzen Familie führt.
Wie bereits gesagt, bringt Band 3 nur einen einzigen Text: Der goldene Topf ist sicherlich das Schau- und Schmuckstück der Sammlung und zu Recht ihr bekanntester Text: Das Märchen vom Studenten Anselmus, der mitten in den Streit zweier Fraktionen von Elementargeistern gerät, glänzt mit seinem nahtlosen Ineinandergreifen von fantastischer und bürgerlicher Welt. Für Anselmus personifiziert sich der Konflikt zwischen den Ansprüchen der beiden Welten an ihn in der Liebe einerseits der bürgerlichen Veronika zu ihm und andererseits in seiner Liebe zu Serpentina, der Tochter des Archivars Lindhorst, der in Wahrheit ein in die profane Welt verbannter elementarischer Salamander ist. Natürlich geht alles am Ende so gut aus, wie man es von einem Märchen erwarten darf, wenn auch vielleicht nicht in dem Sinne, wie ordentliche Bürger es sich vorstellen. Der goldene Topf hatte einen erheblichen Anteil an der Etablierung Hoffmanns als bekanntem und erfolgreichem Schriftsteller.
E. T. A. Hoffmann: Fantasiestücke in Callot’s Manier. Blätter aus dem Tagebuche eines reisenden Enthusiasten. In: Sämtliche Werke 2/1. Hg. v. Hartmut Steinecke. Frankfurt: Deutscher Klassiker Verlag, 1993. Leinen, Fadenheftung, zwei Lesebändchen, 941 Seiten. Diese Ausgabe ist derzeit auch als Taschenbuch lieferbar.
Dieser Beitrag hat mich neugierig gemacht, und ich werde mir das Buch als Lektüre für den Urlaub besorgen. Danke für die Anregung!
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