Nach vielen Jahren die dritte Lektüre und mehr als je zuvor der Eindruck: Was für ein gewaltiger Roman! Flauberts Gnadenlosigkeit im Umgang mit seinen Figuren, die Exaktheit seiner Beobachtungen, die Fülle in der Darstellung von Gesellschaft und Zeitgeschichte, der ausgewogene und immer der Fabel angemessene Wechsel des Erzähltempos, die Zuspitzung der Geschichte Frédéric Moreaus und die letztliche Verpuffung aller Aufgeregtheiten in die Banalität lassen den Leser wie erschlagen zurück.
Erzählt wird also die Geschichte Frédéric Moreaus, eines jungen Schnösels aus der Provinz, der in Paris Jura studiert, erbt, diverse Liebschaften durchläuft, für kurze Zeit als Trabant der Hautevolee von Paris dahinlebt, die Revolution von 1848 beinahe verschläft und vertrödelt und sich schließlich von allen seinen Frauen verlassen und angewidert in die Bedeutunglosigkeit zurück begibt, die eigentlich von Anfang an seine wahre Heimstatt war. Anstoß zu all dem ist die zufällige Begegnung mit Madame Arnoux, die er zu Anfang des Romans auf einem Flußschiff kennenlernt, auf dem er von Paris aus zu seinem Heimatort Nogent unterwegs ist, und in die er sich sofort sterblich verliebt. Diese Frau zu erobern und zu besitzen, wird zum Zentrum all seines weiteren Handelns und Sinnens: Er befreundet sich mit ihrem Ehemann Jacques Arnoux, gerät durch ihn »in Gesellschaft«, versumpft und verschleudert die bescheidene Erbschaft, die er durch den Tod eines Onkels macht, treibt und wird getrieben. Das Ende wurde schon angedeutet: Frédéric scheitert mit all seinen Plänen, Wünschen und Ambitionen. Im letzten Bild des Romans sitzt er mit seinem ältesten und vielleicht einzig verbliebenen Freund zusammen und als Höhepunkt ihres Lebens erscheint ihnen ein Besuch in einem Freudenhaus, den sie als Heranwachsene aus Übermut unternommen hatten und bei dem gar nichts weiter geschehen war.
Sie erzählten sich ausführlich die ganze Geschichte, jeder die Erinnerung des anderen ergänzend; und als sie fertig waren, sagte Frédéric:
– Das ist doch das Beste, was wir erlebt haben!
– Ja, vielleicht wirklich? Das ist das Beste, was wir erlebt haben! sagte Deslauriers.
Mir ist klar, dass dies schon viele Male gesagt worden ist, aber bei Flaubert beginnt tatsächlich der Moderne Roman und Flauberts Niveau ist nicht oft wieder erreicht worden.
Aus dem Vorhaben, bei dieser Lektüre verschiedene andere Übersetzungen (Walter Widmer, E. A. Reinhardt) mit der vorliegenden von Cornelia Hasting zu vergleichen, ist vor lauter Begeisterung über den Roman nichts geworden; vielleicht liefere ich die entsprechenden Vergleiche noch nach. Insgesamt scheint mir Hastings lakonischer Ton sehr angemessen; der Text liest sich gut und die wenigen von Flaubert bewußt eingesetzten »Störungen« auf der sprachlichen Ebene sind, soweit ich das beurteilen kann, sorgfältig bewahrt und ins Deutsche übertragen worden.
Die Übersetzung von Cornelia Hasting ist in der hier rezensierten Originalausgabe (bibliographischer Nachweis) nicht mehr lieferbar.
Alternative Ausgabe:
Flaubert, Gustave: Die Erziehung der Gefühle. Geschichte eines jungen Mannes. Aus dem Französischen von Cornelia Hasting.
Piper, 2001. ISBN 3-492-23018-0
Kartoniert – 607 Seiten – 13,90 Eur[D]
2 Gedanken zu „Gustave Flaubert: Die Erziehung der Gefühle“