In der Liste der berühmten, unverfilmbaren Bücher nimmt »The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman« einen der Spitzenplätze ein. Seine Unverfilmbarkeit ist wesentlich seiner literarischen Qualität geschuldet, also nicht dem Stoff, sondern seiner Verarbeitung, Sternes Kunst der Abschweifung, des diskontinuierlichen Erzählens, der Zitate, Einsprengsel und Fußnoten und nicht zuletzt der Tatsache, dass das Buch immer auch seine eigene Niederschrift reflektiert, während es seine Geschichte nicht wirklich voranbringt. Als eine Art Surrogat könnte man Martin Rowsons Comic-Version ansehen, aber das hieße natürlich dies kongeniale Werk in seiner ihm eigenen Einzigartigkeit zu unterschätzen.
Von daher war es eine große Überraschung, als im August 2005 eine Website eine Verfilmung durch Michael Winterbottom ankündigte. Winterbottom hatte im selben Jahr mit dem Film »9 Songs« auch in Deutschland einen wohlkalkulierten Skandal ausgelöst, da dem Film nachgesagt wurde, er sei anstößig – ein Attribut, das Filme im Zeitalter der Pornovision kaum mehr erlangen können. Von daher war Winterbottom vorerst alles zuzutrauen, auch einen Film aus einer unverfilmbaren Vorlage herzustellen.
Der Film ist überraschend genug geraten; ob er letztendlich gelungen ist, wage ich nicht zu beurteilen. Die ersten 25 Minuten sieht er aus wie eine postmodern verspielte Aneignung des Buches: Wie in der Vorlage tritt Tristram Shandy (Steve Coogan) als Erzähler seines eigenen Lebens auf, der sich direkt an die Zuschauer wendet. Es wird die erratische Erzählweise des Buches nachgestellt, wobei das Rückgrat die Zeit vom Einsetzen der Wehen bei Tristrams Mutter (Keeley Hawes) bis zu seiner eigentlich Geburt bildet. Aneinandergereiht werden alle möglichen Episoden aus allen Teilen des Buches: Das Heruntersausen des Schiebefensters genauso wie der Abschluss der Ehevertrages der Eltern Tristrams, Onkel Tobys (Rob Brydon) Verletzung genauso wie die unglückliche Taufe des gerade geborenen Helden auf einen falschen Namen usw. usf. Wahrscheinlich ist dieser Teil des Films für einen Zuschauer, der das Buch wenig oder gar nicht kennt, eher sehr verwirrend; für Kenner der Vorlage ist es ein Genuss zuzuschauen. Die paar witzigen Anspielungen auf das 19. oder das 20. Jahrhundert, die Tristram hier und da einbringt, stören den Gang der Darstellung in keiner Weise.
Nach etwa 25 Minuten verändert der Film dann radikal seinen Charakter: Die Kamera schwenkt auf den fiktiven Regisseur (Jeremy Northam), der die Aufnahmen des Tages beendet. Von da an ist es ein Film über eine Filmcrew, die an einer Verfilmung des »Tristram Shandy« arbeitet, der bewusst in der Tradition von Fellinis »8½« (Nino Rotas Musik wird verwendet) oder Truffauts »La nuit américain« steht. Die Mitglieder des Teams besprechen die Schwierigkeiten der Produktion, die beiden Hauptdarsteller Steve Coogan und Ron Brydon tragen ständig freundschaftliche Reibereien untereinander aus, Steve Coogans Lebensgefährtin (Kelly Macdonald) kommt mit dem gemeinsamen Baby zu Besuch auf den Set und was der Erzählstränge mehr sind. Zwischendurch kehrt der Film immer wieder für kurze Momente in das 18. Jahrhundert Sternes zurück, um zum Beispiel einen Gedanken oder einen Traum zu illustrieren.
Natürlich bietet sich ein solcher Sprung von einer Literaturverfilmung zu einem Film über eine Literaturverfilmung gerade beim »Tristram Shandy« an, denn kaum ein anderes Buch reflektiert zugleich mit dem Erzählen immer erneut das Erzählen selbst und liefert zugleich Roman und Autorenpoetik. Auf der anderen Seite ist ein Film über das Verfilmen von »Tristram Shandy«, so gut er auch immer sei, keine Verfilmung des »Tristram Shandy«, was wahrscheinlich nichts anderes als das Zugeständnis ist, dass sich das Buch eben grundsätzlich nicht verfilmen lässt. Für einen Kenner des Buches ist das alles recht und gut, aber ich kann mir kaum vorstellen, wie der Film auf jemanden wirkt, der das Buch nicht oder nur oberflächlich kennt. Wahrscheinlich steigt ein solcher Zuschauer schon in den ersten 25 Minuten aus und kommt gar nicht erst bis zu der Stelle, wo der Film ein »Film über Film« wird. Mit hat er gut gefallen, er ist originell, intelligent und gut erzählt, aber – wie schon gesagt – trotzdem scheint es mir zweifelhaft, ob der Film alles in allem gelungen ist. Eine Verfilmung des »Tristram Shandy« ist er jedenfalls nicht.
Den Status von Laurence Sternes »Tristram Shandy« in Deutschland – trotz der Neuübersetzung durch Michael Walter – kann man gut daran ablesen, dass der Film bis dato in Deutschland weder im Kino angelaufen ist, noch eine deutsch synchronisierte DVD vorliegt.
A Cock and Bull Story. UK, 2005. Lionsgate. Import-DVD (Region 2). Länge ca. 91 Minuten. Sprache: Englisch. Extras: Interview mit Steve Coogan; Deleted Scenes; Extended Scenes; Behind the Scene Footage; Kommentar von Steve Coogan und Bob Brydon; Premieren Footage; Trailer. Ca. 20,– €.
1 Gedanke zu „A Cock and Bull Story“