Jens-Fietje Dwars beginnt sein Buch »Und dennoch Hoffnung. Peter Weiss. Eine Biographie« mit einer traurigen, aber nichtsdestoweniger richtigen Einschätzung der Bekanntheit und Beliebtheit von Peter Weiss: »In den vergangenen fünfzehn Jahren der ›Wiedervereinigung‹ war kein deutscher Autor von Rang weniger präsent als Peter Weiss.« [S. 10] Er überschreibt das einleitende Kapitel, in dem dieser Satz steht, allerdings auch mit der Zeile »Ein Unzeitgemäßer kehrt zurück«. Das ist Ausdruck dessen, wovon der Titel dieser Biographie spricht: Hoffnung. Vielleicht sogar der Hoffnung, dass sein Buch mit zu dieser Rückkehr beitragen wird. Wenigstens dies dürfte sich als illusorisch erweisen.
Das soll nicht heißen, dass diese Biographie schlecht ist; sie ist es nicht. Lesbar geschrieben, von einem persönlichen Zugang zum Autor und seinen Texten getragen, ist dieses Buch eine gute und umfassende Einführung in das Werk von Peter Weiss. Eine wirkliche Biographie ist es nicht; dafür kommen die genaueren zeitlichen, sozialen und persönlichen Umstände des Lebens von Peter Weiss besonders in der zweiten Hälfte zu sehr am Rande vor. Aber eine gute Einführung ins Werk ist es. Es ist auch ein Buch, in dem man nicht nur den Autor Peter Weiss kennenlernt, als der er berühmt geworden ist, sondern auch den Maler, als der er angefangen hat, und den Filmemacher, der er wurde, bevor er als Schriftsteller seinen Durchbruch hatte. Dwars widmet sich genauso gründlich und eingehend der »romantischen« Phase im Werk, wie er später die politische darstellt. Er wird Weiss in der einen ebenso gerecht wie in der anderen, und auch der Übergang von der einen zur anderen leuchtet uns nach der Lektüre wenigstens halbwegs ein. Dwars schreibt auch keine Hagiographie seines Autors:
Weiss hat sich das dreibändige Kapital ins Reisegepäck gelegt, als er im Sommer 1965 mit seiner Frau für ein paar Wochen nach Italien fuhr. In Bibione bei Venedig machten sie mit Hans Werner Richter Ferien. Der erzählt, wie verbissen der Lernbegierige in der sengenden Sonne über den fast tausend Seiten des ersten Bandes saß, von denen er nach drei Tagen zehn gelesen hatte. Dann ließ er das Buch im Hotel, wurde beim Baden von einem giftigen Fisch gestochen und laborierte den Rest des Urlaubs an Sonnenbrand. [S. 179 f.]
Alles, was Dwars schreibt, ist brav, richtig und fleißig. Aber es wird Peter Weiss und sein Werk nicht retten, wird zu keiner Renaissance der Weiss-Lektüre, zu keiner Wiederaufführung seiner Stücke – von denen, alles in allem betrachtet, vielleicht noch »Der Turm« (von dem mir bis heute unbegreiflich ist, warum es nicht viel bekannter ist) als merkwürdiges Pendant zu Wedekinds »Frühlingserwachen« und »Marat/Sade« als echtes Theaterfest Chancen auf eine Wiedererweckung hätten –, zu keiner Neuauflage, geschweige denn Erweiterung seiner Werkausgabe führen. Weiss wird vergessen bleiben aus denselben Gründen, warum er berühmt geworden ist: Weil man ihn nicht verstanden hat! Vielleicht sogar, weil er sich selbst so schlecht verstanden hat. Weil er dort auf Inhalte pochte, wo er seiner künstlerischen Kraft, der Eigenart seiner Sprache hätte vertrauen sollen. Weil er vielfach nur als ideologischer Teil einer politischen Bewegung wahrgenommen worden ist – und sich selbst auch so begriffen hat –, was den unverstellten Blick auf sein Werk bis heute behindert.
Es kommt eine Selbstdeutung des Autors hinzu, die zu einem weiteren Mißverständnis geführt hat, das auch Dwars mit seiner Darstellung bestärkt: Peter Weiss’ Prosa sei in der Hauptsache autobiographisch. So arbeitet sich Dwars immer wieder an der Feststellung ab, die »Wirklichkeit« – was auch immer das in der Biographie eines Autors ist – sei gar nicht so gewesen, wie Weiss es in »Abschied von den Eltern« oder »Fluchtpunkt« darstelle. Nun, deshalb steht ja auch »Erzählung« bzw. »Roman« als Gattungsbezeichnung unter den Titeln. Selbst bei der »Ästhetik des Widerstandes« wirft Dwars zusammen mit dem Autor erneut die fatale Frage auf, ob es sich bei dem Roman um den Entwurf einer »Wunschbiographie« handele:
Ein Wunschbild, sagen die Kritiker des Romans seit 25 Jahren, der nur eine »Wunschautobiographie« sei. So hatte Weiss den ersten Band selbst 1975 im Gespräch bezeichnet: als Experiment, wie sein Werdegang verlaufen wäre, wenn er in proletarischem Milieu begonnen hätte. Der Bürgersohn dichtet sich eine Arbeitervita an und versucht, seinen versäumten Antifaschismus nachträglich wiedergutzumachen, das ließe sich unter Schizophrenie verbuchen. [S. 257]
Viel schlimmer: Das verstellt den Blick auf das Werk und macht es zugleich beliebig. Wenn es nicht gelingt – und es wird nicht gelingen – Peter Weiss als Schriftsteller für die Leser zurückzugewinnen, wird ihm das gleiche Schicksal widerfahren, wie so vielen anderen »Autoren von Rang« – denn das ist Weiss unbestritten –: Sie werden im kleinen Kreis der Liebhaber und Spezialisten gelesen werden, auch die germanistische Forschung wird sie nicht gänzlich vergessen, aber »präsent« werden sie nicht wieder werden. Aber das muss nicht unbedingt ein schlechtes Schicksal für einen Autor sein; wenn wir ehrlich sind, ergeht es z. B. Jean Paul auch nicht viel anders …
Als Biographie zu lückenhaft, als Einführung ins Werk aber sehr zu empfehlen! Auf eine Rettung von Peter Weiss für unsere Zeit müssen wir aber leider wohl noch warten.
Jens-Fietje Dwars: Und dennoch Hoffnung. Peter Weiss. Eine Biographie. Berlin: Aufbau, 2007. Pappband, 302 Seiten. 24,95 €.
Lieber Herr Fränzel,
warum messen Sie das Buch nicht an dem, was es sein will: eine biographische Porträtskizze – wie es ausdrücklich in der Einleitung heißt?! Sie werfen mir vor, den Blick auf die „Ästhetik des Widerstands“ als Sprachkunstwerk zu verstellen, indem ich sie einmal mehr als „Wunschautobiographie“ betrachten würde. Das mach ich doch gar nicht. Ich weiche allerdings dem Vorwurf der Wunschkonstruktion nicht aus – der doppelten Konstruktion von eigener und übergreifender Geschichte, um jedoch zu erkunden, wie Weiss den vitalen Schreibimpuls in ein einzigartiges Epos transformiert, das die Hoffnungen und Katastrophen einer ganzen Epoche zur Sprache bringt. Wie er im wahrsten Sinne des Wortes sein Leben daran setzt.
Was wollen Sie stattdessen? Eine Auflistung aller Leute, mit denen er Umgang hatte, aller Häuser, in denen er wohnte, die Namen seiner Freundinnen, wie er im Bett war …? Warum sagen Sie Ihren Lesern nicht, worin mein Porträt besteht, was für einen Menschen ich skizziere? Danach könnten Sie doch gern auflisten, wo Sie noch Lücken sehen, zu denen ich mich eingangs bekenne und die dann andere ausfüllen müßten! Wenn es Ihnen wirklich um „eine Rettung von Peter Weiss für unsere Zeit geht“, müßten Sie dann nicht selbst daran beteiligt sein? Wer nur darauf wartet, für den kommt sie nie! Das ist doch die Botschaft der „Ästhetik des Widerstandes“: die geringe Kraft anderer aufzunehmen, sie weiter zu tragen, selbst zu vermehren, statt den anderen in seiner Schwäche vorzuführen! Oder wie verstehen Sie den Roman?
Mit freundlichen Grüßen
Jens-Fietje Dwars
Das sind ja ganz viele Fragen, und ich bin nicht sicher, ob die Kommentarzeilen der richtige Ort dafür sind. Aber – wie Wolf-Jobst Siedler so richtig bemerkte – »wie dem auch sei«:
1. Weil es eben keine biographische Skizze ist, sondern eine Werkeinführung. In einer biographischen Skizze erwarte ich zum Beispiel, dass mir mitgeteilt wird, wann und wo Weiss Herbert Wehner getroffen hat. Wer das Treffen vermittelt hat. Was Weiss dazu in seinen Notizbüchern verzeichnet hat. Usw usf. Das ist nur ein Beispiel für Hunderte von Lebensdetails, die in einer Biographie vorhanden sein müssten. Sie reden aber – wie ich betone, besonders in der zweiten Hälfte Ihres Buches – in der Hauptsache über die Texte. Das ist Ihr gutes Recht (Sie sind ja der Autor), nur eine Biographie – ob nun Skizze oder nicht – ist das »nach meinem Verständnis« nicht. Das wiederum ist mein gutes Recht. Und da sind wir noch sehr lange nicht bei den Freundinnen und der Frage, wie er im Bett war.
2. Nicht mir geht es um die Rettung von Peter Weiss, sondern Ihnen. Steht gleich vorne drin. Dafür taugt das Buch »meiner Meinung nach« nix. Was dazu »meiner Meinung nach« notwendig »wäre«, aber nicht gelingen wird, habe ich gesagt. Ich brauche Peter Weiss nicht retten; ich brauche auch Jean Paul (oder Arno Schmidt oder … oder … oder …) nicht zu retten. Steht aber alles schon in der Besprechung.
3. Meine Aufgabe als Rezensent ist es nicht, Ihr Buch nachzuerzählen, sondern meine Meinung zu sagen. Das habe ich getan. Ich habe Ihr Buch empfohlen als das, was es »meiner Meinung nach« ist. Ich habe darauf hingewiesen, dass es nicht das ist, was auf dem Deckel steht. Ich kann mich da irren – Sie aber auch.
4. Die autobiographische Lesart sowohl bei »Abschied« und »Fluchtpunkt« als auch bei der »Ästhetik« ist ein ganz unnützer Ansatz. Selbstverständlich steht in den Büchern nicht das, was in den Erinnerungen der Schwester oder anderer Leute steht. Es handelt sich um Fiktionen. Dass Weiss selbst wenig Chancen hatte, zwischen seiner biographischen Selbstwahrnehmung und seinen Fiktionen zu unterscheiden, wissen wir aus den immer wiederholten Äußerungen (um nicht »Lügen« zu sagen) zur angeblichen Authentizität seiner Texte. Das wäre ein interessantes »biographisches« Thema und müsste mal sorgfältig durchdacht werden. Wird es bei Ihnen aber nicht. Ist auch nicht weiter schlimm, nur bleibt es eben unzureichend, immer nur wieder festzustellen, in irgendeiner obskuren »Wirklichkeit« sei ja alles ganz anders gewesen. Wo soll diese »Wirklichkeit« denn existieren für die Biographie eines Autors?
5. Wie ich die »Ästhetik« verstehe, ist eine ganz andere Frage; wahrscheinlich nicht so wie der Autor und nicht so wie Sie, sondern als ein erratisches Sprachkunstwerk, das in seiner Eigentümlichkeit solange nicht erfasst werden wird, solange wir bei den »Inhalten« stehen bleiben. Die Inhalte sind dem »Zeitgeist« obsolet geworden – was eher für sie spricht, da bin ich mit Ihnen schon einer Meinung –, sie werden das Buch daher nicht wieder »präsent« werden lassen. Deshalb »meine Meinung«, dass es Weiss als »Schriftsteller« zu erfassen gilt, nicht als Vertreter einer Ideologie oder »Richtung«. Auch dazu bietet »meiner Meinung nach« Ihr Buch keinen ausreichenden Ansatz.
Es tut mir leid, dass ich im Prinzip nichts zu sagen weiß, als was ich schon geschrieben habe. Nehmen Sie es als meine Beschränkung hin – oder vielleicht auch nur als irgend eine Meinung zu Ihrem Buch (denn, dass Leser Meinungen zu Ihrem Buch entwickeln, damit dürften Sie als Autor ja rechnen). Mehr ist das hier nämlich nicht: Eine freiwillige, unentgeltliche Präsentation meiner Lektüren und Gedanken. – »Wer’s nicht greifen kann, läßt’s bleiben!«
Beste Grüße, Marius
Der Konflikt zwischen Dwars und Bonaventura beruht m.E. hauptsächlich auf der Frage, die seit dem Verdikt der „Wunschautobiographie“ die Kritik spaltet, nämlich die Frage der biographischen Glaubwürdigkeit der Produktion von P. Weiss. Die Frage, ob sein Werk heute für uns wirksam werden kann, ist demgegenüber vielleicht für uns interessant, aber der Sache nach sekundär (wie wir selbst – sub specie aeternitatis). Bonaventura trägt zu dieser Frage n i c h t s bei, da er nur Forderungen erhebt, aber selbst nichts leistet. Dwars hat vielleicht fälschlicherweise ein revival versucht, aber er hat i.U. zu Bonaventura zu Weiss gearbeitet. Bonaventura kann man vergessen, mit Dwars kann man sich auseinandersetzen. Die Glaubwürdigkeit von Weiss wie von anderen deutschen Intellektuellen der 60er bis 80er Jahre (west/ ost) ist keine Kleinigkeit und sollte weiter verfolgt werden.
Wer mag engelmeier zum Schiedsrichter im »Konflikt zwischen Dwars und Bonaventura« berufen haben? Woher mag engelmeier wissen, worüber Bonaventura »gearbeitet« hat? Ob engelmeier selbst nur zu dem »gearbeitet« hat, zu dem er auch veröffentlicht hat? Wann mag man engelmeiers offenbar maßgeblichen Meinung nach überhaupt »zu etwa gearbeitet« haben? Was für ein selbstgefälliger Schwätzer.