Das schmale Bändchen enthält 19 fiktive Briefe eines Briefwechsels zwischen dem amerikanischen Kunsthändler Max Eisenstein und seinem nach Deutschland zurückgekehrten Freund und ehemaligen Geschäftspartner Martin Schulse. Der Briefwechsel beginnt mit einem Schreiben vom 12. November 1932 und endet mit dem amtlichen Stempel »Adressat unbekannt« vom 18. März 1934. Die Erzählung ist 1938 zum ersten Mal erschienen und war sofort ein Verkaufserfolg, der sich bei der Wiederveröffentlichung im Jahr 1995 wiederholt hat. Auch die deutsche Ausgabe aus dem Jahr 2000 wurde ein Bestseller.
Erzählt wird die Geschichte zweier Freunde, die in San Francisco gemeinsam eine Kunsthandlung betrieben haben. Martin Schulse entschließt sich 1932 nach Deutschland zurückzukehren, besonders um seine Kinder wieder auf eine deutsche Schule schicken zu können. Er wird innerhalb kurzer Zeit von einem Mitläufer der politisch erfolgreichen Nationalsozialisten zu einem bekennenden Anhänger der »Bewegung« und macht Karriere als Bankbeamter. Ganz konsequent bricht er den Kontakt zu seinem jüdischen Freund und Geschäftspartner in Amerika ab und kündigt ihm die Freundschaft auf.
Verwickelt wird die Geschichte dadurch, dass Max Eisensteins Schwester Giselle als Schauspielerin von Österreich nach Deutschland kommt und in Berlin rassistischen Repressionen ausgesetzt wird. Sie flieht aus Berlin nach München, wird offenbar auch dort erkannt und flüchtet sich vor einem Trupp SA-Männer zur Villa ihres ehemaligen Geliebten Martin Schulse. Der lässt sie aus Sorge um seine Reputation und Stellung nicht ins Haus, sondern rät ihr, durch den Garten zu fliehen, wo sie dann von der SA gestellt und ermordet wird. Der Brief, in dem er diese Tatsache seinem ehemaligen Freund mitteilt, beginnt mit den Worten:
Heil Hitler! Ich bedaure sehr, Dir schlechte Nachrichten übermitteln zu müssen. Deine Schwester ist tot.
Nach diesem Brief beginnt Max Eisenstein mit einem Telegramm und Briefen, die er an Martin Schulses Privatadresse richtet und von denen er weiß, dass sie von der nationalsozialistischen Zensur gelesen werden, den deutschen Behörden eine Verwicklung Martin Schulses in eine illegale, gegen den Staat gerichtet Verschwörung zu suggerieren. Er erfindet eine »Gesellschaft Junger Deutscher Maler«, mit der Schulse vorgeblich in Zusammenhang steht und die offensichtlich Waffenlieferungen aus den USA erhält. Außerdem suggeriert er eine in Amerika lebende jüdische Verwandschaft Schulses. Schulse wird – wie wir aus einem letzten, verzweifelten Schreiben an Max Eisenstein erfahren – daraufhin von den Behörden vorgeladen und aufgefordert, den Code für die Briefe zu liefern, was er natürlich nicht kann, da er nie zuvor von einer »Gesellschaft Junger Deutscher Maler« gehört hat und auch sonst nichts zu den erfundenen Vorgängen sagen kann. Max Eisenstein Racheplan funktioniert: Seinen letzten Brief an Martin Schulse vom 3. März 1934 erhält er mit dem amtlichen Stempel »Adressat unbekannt« vom 18. März 1934 zurück. Wie bereits zuvor im Fall von Max’ Schwester Giselle soll dieser Stempel besagen, dass Martin Schulse von den Nationalsozialisten ermordet wurde oder zumindest in einem KZ gelandet ist.
Die Erzählung ist fraglos »gut gemacht«. Sie ist dicht gearbeitet und die dramatische Entwicklung konsequent und ökonomisch vorangetrieben. Große Schwierigkeiten habe ich allerdings mit ihrer Moral: Sicherlich ist es einerseits so, dass die Perversität und Menschenverachtung des nationalsozialistischen Machtstaates sich gerade darin zeigt, dass es einem Außenstehenden mit wenigen Briefen gelingt, einen treuen und begeisterten Nationalsozialisten zu verleumden und der Vernichtungsmachinerie des von ihm verherrlichten Systems auszuliefern. Andererseits handelt es sich bei den Briefen Max Eisensteins um eine Intrige zum Zweck einer privaten Rache, die ihn moralisch beinahe ununterscheidbar werden lässt von dem, den er dem Untergang ausliefert.
Immanuel Kant gibt uns in seiner »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« unter anderen folgende einprägsame Formulierung des kategorischen Imperativs:
Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest. [BA 66 f.]
Gemessen an diesem Leitsatz handelt Max Eisenstein ebenso verwerflich wie zuvor sein Pendant Martin Schulse, und ich bin durchaus nicht sicher, ob dies von der Autorin auch so intendiert wurde. Auch spielt – soweit ich sehe – dieser Aspekt in den deutschen Besprechungen des Buches keine Rolle.
Immerhin lässt Kant der zitierten Passage den bedenkenswerten Satz folgen: »Wir wollen sehen, ob sich dieses bewerkstelligen lasse.« Im vorliegenden Fall war dem wohl nicht so. – Ein Buch, dessen verstörende Ambivalenz wahrscheinlich nicht von allzu vielen Lesern wahrgenommen wird.
Kressmann Taylor: Adressat unbekannt. Aus dem Amerikanischen von Dorothee Böhm. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2000. Pappband, 69 Seiten. 10,– €.
Das wichtige an dem Buch ist, dass der Jude zurückschlägt und zwar mit den Waffen de Täter. Diesen Gedanken können wir heute kaum ertragen – da muss Kant zitiert werden. Was wäre denn aus uns geworden, wenn die Juden gemerkt hätten, dass sie diekenigen, die in Massen ihre Möbel in ihre Wohnungen schleppen, selbst an den Pranger liefern kann. Was wäre aus den vielen deutschen und sauberen Familien, die von nichts etwas gewußt zu haben vorgeben, geworden, wenn im Ausland lebende Juden die Deutschen massenhaft in die KZ’s getrieben hätten.
Nun – die Geschichte ist zum Glück nur fiktiv. Die Juden sind gar nicht auf eine so geniale Idee gekommen, die Henker den Henkern auszuliefern – aber dieser Gedanke, kommt wohl den wenigsten Menschen. Obwohl eine solche Rache aus meiner Sicht verständlich gewesen wäre. Denn Deutsche haben ehemals jüdische Wohnungen bezogen, haben sich der geraubten Kleider bemächtigt, haben das Zahngold eingeschmolzen, haben die Transporte mitbekommen – meine Eltern haben es mir selbst berichtet. Sie standen auch Nachts hinter der Gardine und waren froh, dass sie nicht dieses schreckliche Schicksal teilen mussten. Aber es läßt sich leichter die Täterschaft verdrängen und auch die Mitwisserschaft leugnen, als selbst betroffen zu sein. Nein ein sich währender Jude erscheint uns Deutschen ´heute unethisch – und so soll es bleiben. Mir schient, Juden haben einfach kein Recht sich zu verteidigen.
Max Eisenstein ist kein von den Nazis verfolgter Jude, und er nimmt persönliche Rache für den Tod seiner Schwester, den Martin Schulse nur mittelbar mitverschuldet. Nichts davon trifft Ihre Brandrede für das Recht der deutschen Juden, ihr Leben zu verteidigen. Aber wie man an der allgemeinen Rezeption des Buches sieht, ist Pauschalisieren einfacher, als genau hinzuschauen. – Ich hoffe, ich bin nichts schuldig geblieben!
Es müsste eigentlich jeden Leser des Buchs erstaunen, dass, soviel ich bisher mitbekomme, im Internet nichts von dem völlig überraschenden negativen Judenbild in diesem „Roman“ steht. Da wird gerade am Anfang, wo von einem Vergehen des nichtjüdischen Deutschen nicht im Geringsten die Rede sein kann, wo die Freundschaft noch echt gegenseitig ist, die schäbige Praxis der finanziellen Übertölpelung der reichen jüdischen Klientele durch die jüdische Galerie vergnügt ausgebreitet. Dass auch der Deutsche offensichtlich an diesen einträglichen Betrügereien beteiligt war, kann nichts daran ändern, dass hier antisemitische Klischees offen bedient werden, und zwar durch einen Juden – genauer gesagt, durch die Verfasser des Buchs, das Ehepaar Taylor. Wie ist DAS zu verstehen?
Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Kommentar freigeben soll, besonders, weil ich das Buch derzeit nicht greifbar habe und deshalb zu diesem Punkt nicht konkret antworten kann. Ich werde aber in den nächsten Tagen wieder Zugriff auf den Text haben und dann auch in der Sache antworten. Was ich hier aber nicht zulassen werde, ist eine ideologische Diskussion über das Problem »Antisemitismus in der Literatur«.
Ich habe mir nun den Text daraufhin noch einmal angeschaut und kann keinerlei antisemitische Klischees erkennen. Eher wird ein Klischee des Kunsthandels bedient, der Gewinn aus der Dummheit seiner Kunden zieht, was aber nichts spezifisch Jüdisches an sich hat. Man denke etwa an die Feststellung Krischan Buddenbrooks, bei Kaufleuten handele es sich doch eigentlich durchweg um Betrüger. Es wird ja zudem auch noch betont, dass Martin Schulse die für die Betörung der Kundschaft notwendigen Eigenschaften in noch weit höherem Maße aufweist als sein Geschäftspartner Max Eisenstein (S. 11).