Ich-Erzählung eines indischen Halbjuden, der in den spanischen Alpujarras in Gefangenschaft sitzt und genötigt wird, die Geschichte aufzuschreiben. In der ersten Hälfte ist das Buch eine Variation auf den Familienroman, vielleicht eine direkte Reaktion auf Vikram Seths Eine gute Partie, vielleicht auch auf ein anderes Werk der anglo-indischen Literatur. Nach der Geburt des Erzählers verliert das Buch rasch an Form und nähert sich für eine Weile der Tradition des picarischen Romans an, wird dann zu einer Variation des Mafia-Romans, um schließlich ins Traum- und Alptraumhafte abzuschweifen. Ganz zum Schluss soll die Mär von der Gefangenschaft des Erzählers, der nach einem alten literarischen Muster durchs Erzählen sein Leben erhält, die allgemeine Formlosigkeit und Beliebigkeit des Romans rechtfertigen.
Das Buch ist reich an motivischen Einfällen und lebt von der Reichhaltigkeit seines Personals. Einzelne Motive sind überzeugend durchgeführt, so die Familienlegende von der Abkunft des Erzählers einerseits von Vasco da Gama und andererseits von Muhammad XII., dem letzten arabischen Herrscher Granadas. Andere Motive erscheinen eher willkürlich, was aber auch daran liegen kann, dass ich die entsprechenden literarischen Quellen Rushdies nicht kenne. Für einen in der anglo-indischen Literatur eher nur mäßig Bewanderten ist vieles nicht exakt einzuordnen. Insgesamt war die zweite Hälfte des Romans eine ermüdende Lektüre für mich. Auch sekundär erarbeitete Zusammenhänge mit der Nachkriegsgeschichte Indiens und speziell Bombays machten das Buch für mich nicht spannender, weil mir die entsprechenden historischen Vorgänge nicht vertraut genug wurden. Aber da gehöre ich wohl einfach nicht in die Zielgruppe des Autors.
Der durchgängig phantastische Ton des Romans, der besonders auch gegen Ende recht volle Töne erzeugt, trägt das Buch nicht wirklich – dafür ist es einfach zu lang geraten. Natürlich begründet sich die Länge des Buches aus der oben schon angeführten existentiellen Situation des Erzählers, der um sein Leben schreibt. Interessant wäre es vielleicht, diese Struktur auf das Leben des Autors zurückzuprojizieren: Rushdie befand sich in einem gewissen Sinne in der Zeit der Bedrohung durch die Fatwa in einer ähnlichen Lage wie der, in der sein Protagonist um sein Leben schreibt. Hier ist biographisch sicherlich noch einiges zu heben.
Ein eher anstrengendes Buch, das in einigen Passagen zur »Pflichtlektüre« geriet.
Salman Rushdie: Des Mauren letzter Seufzer. Aus dem Englischen von Gisela Stege. rororo 24121. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2006. 619 Seiten. 9,90 €.