Unter diesem Titel hat Rainer Schmitz, Kulturredakteur beim Focus, ein – im Sinne des Wortes – wundervolles, über 1700 Seiten mit je zwei engbedruckten Spalten umfassendes Lesebuch zur Literatur verfasst. Es kommt zwar als Lexikon daher, ist aber schon aufgrund der zum Teil obskuren Lemmata als solches nur in Einzelfällen zu gebrauchen. Aber es ist eine unerschöpfliche Fundgrube dessen, was der Untertitel verspricht: »Alles, was Sie über Literatur nicht wissen«. Einiges weiß man dann zwar doch, aber vieles eben doch nicht oder doch nicht so genau. Es ist beinahe gleichgültig, wo man das Buch aufschlägt, man setzt gleich mit dem Lesen ein und taucht ein in eine Welt von Anekdoten, skurrilen Geschichten, Wissenssplittern, Kürzestgeschichten usw. usf.
Dabei ist das Buch im Detail durchaus unzuverlässig und flüchtig geschrieben, auch finden sich schnell echte »Böcke«:
Tausendundeine Nacht. Das schönste, märchenhafteste, exotischste, orientalischste, meistübersetzte, meistillustrierte, meistverfilmte und auch vielfach vertonte (Turandot) Werk der Weltliteratur – die Erzählungen aus tausendundeiner Nacht – sind dem weltweit größten, bedeutendsten, umfangreichsten Nachschlagewerk zur Literatur – dem 22bändigen, mit 22.203 eng bedruckten Seiten gefüllten Kindlers Neues Literaturlexikon (München 1988 bis 1998) – keine einzige Erwähnung wert.
Das wäre freilich ein hübscher Fund, wenn es denn stimmen würde; tut es aber natürlich nicht. In Band 18 (Anonyma) des KNLL, also da, wo es hingehört, findet sich auf den Seiten 97 bis 101 unter dem Lemma »Alf laila wa-laila« ein ausführlicher Eintrag über die »1001 Nächte«. Der Artikel ist auch ohne Arabisch-Kenntnisse gut zu finden, wenn man in dem richtigen Register des KNLL, nämlich dem für »Anonyme Werke«, nach »Tausendundeine Nacht« sucht.
Aber solche Fehler und auch die in manchen Fällen unkritische Übernahme von Gerüchten, literarischen Legenden und offensichtlich erfundenen Anekdoten tun dem Buch wenig Abbruch: Es ist ein Märchenbuch für Literaturbeflissene, ein Lesebuch für die Zeit zwischen zwei Romanen, ein Band zum Schmökern und eine wahre Fundgrube von Anregungen, Verweisen und Lesetipps. Nur als Nachschlagewerk sollte man es eben nicht benutzen. Darf in keinem »echten« Bücherschrank fehlen!
Rainer Schmitz: Was geschah mit Schillers Schädel? Alles, was Sie über Literatur nicht wissen. Frankfurt/M.: Eichborn, 2006. Pappband, 1827 Seiten, zwei Lesebändchen. 39,90 €.
Der Autor teilt mir mit, dass es sich bei dem von mir monierten »Bock« keineswegs um einen solchen handele, sondern um eine absichtlich gelegte Plagiatsfalle. Zum Thema Plagiatsfalle liest man in »Was geschah mit Schillers Schädel?«:
Wir glauben’s gern!
Zumindest die Frage, ob einer der beiden Kandidaten tatsächlich Schillers Schädel ist, nähert sich der Beantwortung:
Der „Friedrich-Schiller-Code“