Hanns Dieter Hüsch hat einmal beiläufig vorgeschlagen, einen Verein zum Schutz aussterbender Tonarten zu gründen; immer wenn er zum Beispiel etwas in C-Dur bringe, sage ihm irgendein Musiker, das können man nicht mehr machen. Solch »aussterbende Tonarten« gibt es – cum grano salis – natürlich auch in der Literatur. Eine von ihnen ist in gewissem Sinne die Liebesgeschichte, die zwar wohl nie aus der Literatur verschwinden wird, heute aber mehr denn je unter dem Generalverdacht von Trivialität und Verkitschtheit steht – nicht zu Unrecht, wenn man sich den überwiegenden Teil der Produktion einmal anschaut.
Was also macht ein Autor, wenn ihm eine Liebesgeschichte zufällt, und noch dazu eine, die unter einer heftigen Neigung zum Klischee leidet: Da vergißt einer die erste Verliebtheit seiner Jugend sein Leben lang nicht und beschäftigt sich deshalb jahrelang mit dem Wetter an dem Urlaubsort seiner Eltern, an dem er dieser Jugendliebe begegnet ist. Schließlich tritt er mit seinem obskuren Spezialwissen bei »Wetten, dass..?« auf und knüpft auf diesem Weg wieder an seine alte Liebe an. Er fährt an den alten Urlaubsort, nur um dort seine ehemalige Geliebte kurz vor der Hochzeit mit seinem ehemaligen Erzrivalen zu finden. Die Geschichte spitzt sich dann noch dramatisch zu, und einige Offenbarungen und späte Einsichten stehen ins Haus. Alles in allem für einen einigermaßen ernsthaften Schriftsteller wahrscheinlich ein Fall der Kategorie »Kann man nicht mehr machen«.
Was unternimmt nun ein intelligenter Autor in einem solchen Fall? Lässt er die Finger von dem Stoff und vergisst die Sache? Wolf Haas hat eine Form gefunden, die Geschichte zu erzählen und dabei ihre und seine Integrität zu bewahren: »Das Wetter vor 15 Jahren« beruht auf der Fiktion, Haas habe ein Buch mit dieser Geschichte tatsächlich bereits geschrieben, und präsentiert nun ein fünftägiges Gespräch zwischen dem Autor und der Journalistin einer Literaturbeilage, in dessen Verlauf nicht nur die Geschichte peu à peu erzählt wird, sondern der Autor auch reichhaltiges Material zum Prozess des Schreibens, zur Literaturkritik, zur Kunst der Interpretation und einigem anderen liefert. Für den Schluss hebt sich Haas noch eine zusätzliche, kleine Pointe auf, die hier nicht verraten werden soll.
Ein außergewöhnliches Buch, wie man selten auf eines stößt: intelligent erfunden, gut geschrieben, reich Gedanken und doch nirgends überladen. Bon!
Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren. Hoffmann und Campe, 2006. Pappband, 224 Seiten. 18,95 €.