Auch Stewart O’Nan ist mir bislang vollständig entgangen, obwohl er seit mehr als 20 Jahre publiziert und seit über 10 Jahren seine Bücher auch auf Deutsch erscheinen. Nun ist mir aber endlich von meinem aufmerksamen Buchhändler sein in diesem Jahr auf Deutsch erschienenes Letzte Nacht empfohlen worden, wobei sich herausstellte, dass die englische Hardcover-Ausgabe preiswerter ist als die deutsche.
Das Buch ist ein Musterstück einer Pars-pro-toto-Erzählung: Erzählt wird von einem einzigen Abend in einem Restaurant der Kette »Red Lobster«. Es ist kurz vor Weihnachten, und das Restaurant hat seinen letzten Öffnungstag. Es wird wegen angeblich mangelnder Rentabilität geschlossen. Im Mittelpunkt der personalen Erzählung steht Manny, der Manager des Restaurants, der mit einer zusammengeschrumpften Belegschaft diesen letzten Tag ordentlich über die Bühne bringen möchte. Einerseits ist er bemüht, es als einen Tag wie jeden anderen zu nehmen, andererseits liegt in jeder Handlung das melancholische Bewusstsein, dass dies alles zu Ende geht.
Draußen schneit es den ganzen Tag, und gegen Abend entwickelt sich ein regelrechter Schneesturm, so dass es mittags für einen Samstag ruhig ist und zum Abendessen nur ein älteres Ehepaar vorbeikommt, das auf der Durchreise ist. Manny hat also, obwohl er den ganzen Tag über beschäftigt ist, genug Zeit, um nachzudenken und Erinnerungen nachzuhängen.
Das Buch enthält eine ungewöhnlich ruhig und gelassen erzählte Geschichte, deren Höhepunkte in Missgeschicken, kleinen Unfällen, ungewöhnlichen Begebenheiten bestehen. In einem wesentlichen Sinne passiert in diesem Buch nichts als das Alltägliche in seinen ewig wiederkehrenden Variationen. Hier und da sprengt etwas diesen Rahmen, aber insgesamt ist dieses Buch sensationell alltäglich. Es bezeichnet das große erzählerische Talent O’Nans, dass er für all dies einen Erzählton und ein -tempo gefunden hat, die die Erzählung in einer erstaunlichen Balance halten. Hinzukommt ein Detailrealismus, der dem Leser eine genaue Vorstellung der Abläufe im Restaurant vermittelt. Obwohl in diesem Buch nichts im traditionellen Sinne Spannendes vorkommt, habe ich mich keine Sekunde bei der Lektüre gelangweilt.
Ein erstaunlich artistisches und zugleich unauffällig daherkommendes Buch. Allen Lesern gediegener und unaufgeregter Prosa nachdrücklich empfohlen.
Stewart O’Nan: Last Night at the Lobster. New York: Viking, 2007. Pappband, 147 Seiten. Ca. 12,– €.