Dürrenmatts Auseinandersetzung mit dem Ödipus-Stoff. Der Text entstand zwischen 1974 und 1976 innerhalb des sogenannten Mitmacher-Komplexes, der aus dem Stück Der Mitmacher, einem umfangreichen Nachwort zum Stück und einem Nachwort und einem Nachwort zum Nachwort besteht. Die selbstgestellte Aufgabe der Erzählung besteht darin, den Ödipus aus dem Schicksalhaften ins Zufällige zu übersetzen. Ödipus wird daher nicht Opfer des Ratschlusses der Götter, sondern der delphischen Orakelpriesterin, der Pythia, die, um Ödipus von seinem Aberglauben an die Orakelsprüche zu heilen, ihm eine gänzlich unwahrscheinliche Zukunft voraussagt.
Natürlich erweist sich der Orakelspruch als ein Volltreffer, wenn auch nicht in dem Sinne, wie uns der Ödipus-Mythos durch die Sophokleische Tragödie bekannt ist. Dürrenmatt behandelt im Gegenteil diese klassische Deutung des Mythos als oberflächlichste Variante, der er eine psychologische, eine politische und eine individualistische zur Seite stellt. Das ganze ist sehr überzeugend gemacht und darf wohl als eine der originellsten und intelligentesten Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts mit dem Ödipus-Stoff gelten.
Friedrich Dürrenmatt: Das Sterben der Pythia. In: Der Sturz, Abu Chanifa und Anan ben David, Smithy, Das Sterben der Pythia. detebe 23064. Zürich: Diogenes, 1998. 162 Seiten. 7,90 €.
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