Eine alte Frau schreibt ihre Erinnerungen auf. Sie ist Überlebende des Holocaust, hat ein Buch über diese Erfahrung geschrieben, das ein Bestseller geworden ist in Deutschland und dann auch in der Welt. Nun wird uns eine Fortsetzung angeboten. Woran erinnert sie sich? Da hat sie einer nicht gegrüßt, als er ihr Haus betrat. Ein anderer hat sie nicht in seinem Seminar haben wollen. Ein dritter hat sie zwar gefördert, sie aber nicht so ernst genommen, wie sie ernst genommen werden wollte. Wieder andere haben ihr nicht das soziale Umfeld bereitet, das sie sich erhofft hatte. Noch andere haben sie als berufliche Konkurrentin wahrgenommen und behandelt. Sie alle stehen unter dem Generalvorwurf, zumindest Frauenfeinde zu sein, wahrscheinlicher aber Antisemiten.
Warum war ich ihnen zuwider? Frau oder Jüdin? Zufall war’s nicht …
Und dann steht da plötzlich dieser eine Satz:
Ich frage mich allerdings, warum die Frauen immer meinen, sie könnten es besser als ihre Vorgängerinnen, anstatt sich vor geschiedenen Männern zu hüten.
Ein solcher Satz kann einem ein ganzes Buch zerschlagen. Das ist von einer so bodenlosen zwischenmenschlichen Dummheit, dass ich ganz fassungslos werde. Das schreibt eine Frau, deren Söhne angeblich nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen, deren Schwiegertochter jeden Kontakt mit ihr vermeidet, deren Enkel ihr zu distanziert sind, mit der die meisten Kollegen keinen Umgang haben wollten und der dennoch eines ganz sicher ist: Am Scheitern von Ehen sind die Männer schuld, und wem einmal eine missraten ist, der trägt ein Stigma.
Der Autorin selbst ist hier kein Vorwurf zu machen, aber denen, die mit ihrer Bekanntheit Geld verdienen, die nicht eingegriffen haben, das Manuskript nicht behutsam zur Seite gelegt haben, sondern die es gedruckt haben in dem klaren Bewusstsein, damit einen Bestseller zu produzieren. Das ist ekelerregend, und es ist verächtlich. Ich habe selten ein so peinliches Buch in der Hand gehabt.
Ruth Klüger: unterwegs verloren. Erinnerungen. Wien: Zsolnay, 2008. Pappband, 238 Seiten. 19,90 €.
Fakt ist, dass immer die gleichen Frauen bei Männern auflaufen. Motto: der anderen ist er fremdgegangen, aber ich bin was besonderes 😛 . Vermutlich hat die Autorin das auch gemeint.
Nein, das hat sie nicht gemeint.