Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat zur Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Infinite Jest von David Foster Wallace für 100 Tage ein Leserblog aufgemacht. Hier darf eine handverlesene Auswahl von Autoren seine Leseeindrücke des Buches niederschreiben. Im Grunde eine richtige Idee: Warum sollen solche Initiativen nicht von den Verlagen ausgehen? Und warum sollen nicht einige gute Leser (und viele Autoren sind gute Leser) den Ton vorgeben, in dem über ein Buch gesprochen wird?
Auf den ersten Blick ist das alles auch eine Bereicherung, die Beiträge sind bunt gemischt vom Erlebnisbericht bis zur theoretischen Auseinandersetzung. Leider ist das alles aber auch einmal mehr sehr deutsch geraten. In ihrem heutigen Beitrag schreibt die Berliner Schriftstellerin Annett Gröschner das folgende:
Doofe Sportarten
Ich mag amerikanische Autoren, seitdem ich lesen kann, aber ich habe ihrer Vorliebe für Baseball nie irgendetwas abgewinnen können und mir auch nie die Mühe gemacht, die Regeln zu verstehen. Mit Football und Tennis geht es mir ähnlich. In der Hochzeit der deutschen Tennisleidenschaften der Achtziger mit ganzen Nächten voller Grand-Slam-Turniere und Wimbledon-Wettbewerbe im Fernsehen, bin ich lieber zum Fußball gegangen. Tennis ist immer irgendwie mit Boris Becker verbunden und das spricht nicht gerade für diesen Sport.
Ich schwächele etwas mit meinem Spaß, weil das Tennisturnier im Roman nicht aufhören will. Ich habe vor lauter Langeweile vorgeblättert, das geht noch 40 Seiten so weiter und dann kommt Orin mit Football. Auch nicht gerade meine Lieblingssportart. Ich sehne mich nach einem blutigen Boxkampf oder einer grundsoliden 100-m-Freistil-Staffel, aber leider wäre Hal sowohl als Boxer als auch als Schwimmer eher unglaubhaft. O.K., ich muss da jetzt durch.
Das ist nun nichts als Doofes Gemaule; soll sie doch was anderes lesen oder weiterblättern, wenn ihr die verständliche Vorliebe des Autors für bestimmte nationale Sportarten nicht passt.
Ich habe also spontan einen Kommentar abgesetzt:
Wenn einem ein Buch so gar nicht passt, sollte man sich vielleicht einfach ein eigenes schreiben. Es ist aber zu befürchten, dass Figuren wie Lothar Matthäus oder Lukas Podolski ebenso wenig für den Fußball sprechen wie Boris Becker für das Tennis.
Es mag nicht ganz genau dieser Wortlaut gewesen sein, aber es ist ziemlich nahe dran. Der Kommentar wurde einfach gelöscht. Es ist das gute Recht eines Bloginhabers, so etwas zu tun. Habe ich also einen zweiten Kommentar geschrieben:
Darf ich fragen, warum mein Kommentar gelöscht wurde?
Durfte ich offensichtlich auch nicht, denn auch dieser Kommentar verschwand im digitalen Orkus. Also eine Mail an den Verantwortlichen Guido Graf geschrieben:
Sehr geehrter Herr Graf,
ich habe heute versucht, einen Kommentar auf http://www.unendlicherspass.de/2009/09/07/doofe-sportarten/ abzugeben. Er ist gelöscht worden, obwohl er – meiner unmaßgeblichen Meinung nach – keinen anstößigen Inhalt hatte. Auch meine Nachfrage, warum der Kommentar gelöscht worden sei, wurde kommentarlos gelöscht.
Ist das die Art, wie KiWi mit seinen Lesern umzugehen wünscht? Ich bin ein wenig vor den Kopf gestoßen.
Mit bestem Gruß, Marius Fränzel
Und gleich bekam ich eine zackige Antwort:
Sehr geehrter Herr Fränzel,
wo der Spaß endet – darüber kann man sicher streiten, aber in diesem Fall schien meiner – leider maßgeblichen – Meinung nach die Grenze überschritten.
Ich möchte Sie nicht davon abhalten, das mit Helge Malchow zu diskutieren. Meine – s.o. – Meinung ist nicht automatisch identisch mit der des Verlags.
Beste Grüße,
Guido Graf
Tja, selbst der Unendliche Spaß endet an den Grenzen des deutschen Humors!
schön, Herr Fränzel, dass Sie hier im Zitat Ihres „spontan abgesetzten Kommentars“ das Gepöbel gegen Annett Gröschner unterschlagen – insofern hätte ja die Löschung Ihres Kommentars auf unendlicherspass.de dann auch hier, auf Ihrer eigenen Site ihren Zweck erfüllt –
Bitte, lieber Herr Graf, stellen Sie mir doch den originalen Wortlaut meines ersten Kommentars zur Verfügung. Sie werden Ihn ja noch in Ihrem Papierkorb haben. Ich stelle ihn dann gerne mit dem angeblichen Gepöbel hier ein.
Herr Graf bleibt den Nachweis meines angeblichen Gepöbels schuldig. Er habe das schon gelöscht. Auch eine Art von deutschem Humor!
Das muss nicht unbedingt böser Wille sein: Wenn Du hier in Deinem Blog einen Kommentar löschst, dann ist der auch unwiederbringlich futsch. – Unabhängig davon hat GG anscheinend überreagiert. Aber mei, wenn’s sche macht.
Das ist eindeutig böser Wille: Wenn ich in meinem Blog einen Kommentar lösche, habe ich immer noch die E-Mail, mit der ich über diesen Kommentar benachrichtigt worden bin, und wenn es nur im Papierkorb meines E-Mail-Clients ist. Und in dieser Benachrichtigung steht der vollständige Text des Kommentars. Und bei GGs Blog handelt es sich ebenfalls um ein WordPress-Blog. Er kann mir bloß den Originalkommentar nicht liefern, weil in dem kein Gepöbel zu finden ist, was seine Verleumdung bloßstellen würde. Wie gesagt: Deutscher Humor!
Wirklich total daneben, diesen Kommentar zu löschen, selbst wenn es sich um Gepöbel handelt. Wenn KiWi schon Marketing mit Blog-Unterstützung btreibt, dann muss sich der Verlag auch den Spielregeln des Web unterwerfen: Kritik ausdrücklich erwünscht! Schwach, sehr schwach. Ich werde den Post auf meinem Blog verlinken.
„eindeutig böser Wille“
die Kränkung muss ja ziemlich tief sitzen – aber anders als Sie das offenbar tun, lasse ich mich nicht über jeden Kommentar per Mail benachrichtigen – es kommen eh schon genug Mails am Tag – insofern müssen Sie es schon so hinnehmen – ich habe Ihren Kommentar gelöscht und damit ist er weg – lustig allerdings finde ich, dass Sie den ersten, von mir keineswegs bemängelten Teil ihres Kommentars noch wörtlich zitieren können, nicht aber die beiden, wenn ich mich recht erinnere, folgenden Sätze, in denen Sie Annett Gröschner schmähen und sie auffordern, doch erst mal selber ein Buch zu schreiben – was sie im übrigen, wie Sie vermutlich selbst wissen, schon mehrfach getan hat – wenn das eine Überreaktion darstellt, Kommentare zu löschen, die darauf hinaus laufen, jemanden persönlich anzugehen, dann habe ich kein Problem damit, solche Überreaktionen zu zeigen – insofern würde ich zwei Dinge vorschlagen, Herr Frenzel: stehen Sie doch einfach zu dem, was Sie geschrieben haben, und konstruieren Sie keine abenteuerlichen Verschwörungstheorien von zensurwütigen Verlagsblogs – und zum anderen: für anders geartete Kommentare sind Sie jederzeit willkommen auf unendlicherspass.de
Tja, Herr Graf, wie tief die Kränkung bei Ihnen sitzt, lässt sich dann wohl daran ermessen, dass Sie sich irgendwelche zusätzlichen Sätze zusammenfantasieren, die es im Kommentar nie gegeben hat. Der erste Kommentar bestand aus zwei Sätzen, genau wie oben. Und es war nicht die Aufforderung, erst mal selber ein Buch zu schreiben, sondern genau wie es oben steht, sich selbst eines zu schreiben, wenn sie gerne eines hätte, in dem es um Fußball statt um Tennis und American Football geht.
Und nun lassen Sie es bitte gut sein.
Das Thema „Zensur“ in Blogs wurde neulich schon auf http://diewahrheit.at/video/poster-haben-keine-rechte besprochen. (Die im Video gezeigte Meinungsumfrage ist übrigens aus http://www.scienceblogs.de/mathlog/2009/08/volksabstimmung-zur-relativitatstheorie.php , weshalb ich auf das Video auch erst aufmerksam geworden bin.)
Wenn Du etwas anderes geschrieben hast als er behauptet, kannst Du natürlich darauf bestehen, daß er das richtigstellt.
Grundsätzlich finde ich aber schon, daß es die Entscheidung des Blogbetreibers ist, welche Diskussionen er in seinem Blog haben will und welche nicht. Schließlich beeinflußt der Kommentarteil ja auch das Image des Blogs und nicht das der z.T. anonymen Kommentarschreiber. (Auch aus juristischer Sicht ist übrigens der Blogbetreiber und nicht der Kommentarschreiber für die Kommentare verantwortlich, wobei das hier natürlich nicht das Thema ist.) Es ist sein Blog und er kann entscheiden, worüber er dort diskutieren will und welche Meinungen er dort veröffentlicht sehen möchte. Im konkreten Fall könnte ich mir vorstellen, daß der Betreiber schlicht fürchtet, in Zukunft keine Gastautoren mehr zu finden, weil die von solchen Diskussionen vielleicht abgeschreckt werden. Letztlich ist seine Motivation aber auch egal. Genauso wie man bei einer privaten Diskussion außerhalb des Internet das Recht hat, sich begründungslos auszusuchen, wer mitreden darf, gilt das auch bei Diskussionen im Internet. (Natürlich auch für diesen Kommentar.)
1. Der Erste, der hier etwas von Zensur geschrieben hat, war Guido Graf. Ansonsten hat hier keiner von Zensur gesprochen, und Zensur ist auch nicht das Thema.
2. Dass der Blogbetreiber bestimmt, welche Kommentare er zulässt, ist selbstverständlich. Steht oben auch ausdrücklich:
3. Thema ist die Reaktion Grafs auf meine E-Mail, und »wo der Spaß endet«.
Nun, wie wär’s denn mit einem Missverständnis … soll’s ja geben.