Ich habe aufgegeben. Ich habe tapfer bis etwa zur Mitte des Buches durchgehalten, bis in das vierte Kapitel hinein, das weitgehend mit der Aufzählung diverser Frauenmorde angefüllt ist. Dann habe ich noch kursorisch im letzten Kapitel herumgelesen und es dann aufgegeben. Ich habe nicht verstanden, warum ich das lesen soll; es hat mich aufrichtig nicht interessiert. Mag sein, ich habe da etwas nicht verstanden, mag auch sein, es gibt da nichts zu verstehen, sondern man soll all diesen Text hinnehmen, wie man auch das Leben hinnimmt. Nur dass das ein Irrtum wäre – ein Buch ist nicht das Leben, und es wäre auch überflüssig, wenn es das wäre. Und das Leben ist viel, viel witziger als dieses Buch.
Das Buch zerfällt auf natürlichem Wege in fünf Teile. Teil 1 langweilt uns mit der Erzählung von vier Literaturwissenschaftlern – einer Frau und drei Männern –, dem harten, internationalen Kern der Archimboldi-Forschung. Benno von Archimboldi ist ein fiktiver deutscher Autor, dessen Biografie wir in Teil 5 zu lesen bekommen. Teil 2 erzählt aus dem Leben des Philosophieprofessors Amalfitano, dem drei der vier oben genannten Archimboldi-Forscher in der nordmexikanischen Stadt Santa Teresa begegnet sind. Amalfitano hängt ein Geometriebuch an einer Wäscheleine auf. Teil 3 stellt uns einen US-amerikanischen Journalisten vor, der einen verstorbenen Kollegen vertreten muss und in Santa Teresa von einem Boxkampf berichten soll. Er lernt dort unter anderem Rosa Amalfitano kennen, die Tochter des Professors. Teil 4 ist hauptsächlich angefüllt mit der unverbundenen Aufzählung zahlreicher Morde an Frauen in Santa Teresa, von denen immer wieder vermutet wird, sie würden miteinander zusammenhängen, obwohl dies augenscheinlich nicht der Fall ist – so wie die Teile des Romans. Teil 5 erzählt auf gut 300 Seiten das Leben von Hans Reiter, der sich als Schriftsteller Benno von Archimboldi nennt.
Das ganze ist in einer etwas umständlichen Sprache geschrieben, die hier und da zu Ausreißern neigt:
… als würde ein Schwall stinkender Luft in eine Damen-Bindenwerbung fahren …
Oder:
Der Abendhimmel erinnerte an eine fleischfressende Pflanze.
Glücklich, wer sich dabei etwas Konkretes vorstellen kann.
Das Buch soll in der spanischsprechenden Welt und den USA ein riesiger Erfolg gewesen sein, was ich nicht bezweifle. Was ich bezweifle oder nicht recht verstehe, ist, wer das Buch lesen soll, wem es Spaß macht, dieser mäandernden Erzählung über mehr als 1.000 Seiten zu folgen, ohne dass ein Ziel erkennbar wäre, eine Ordnung des Erzählten oder auch nur der Hauch eines Sinns. Wie schon gesagt: Wahrscheinlich habe ich das Buch nicht verstanden oder irgendwo irgendeine entscheidende Wendung verpasst. Ich jedenfalls habe aufgegeben.
Roberto Bolaño: 2666. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. München: Carl Hanser, 2009. Bedruckter Pappband, Farbschnitt an drei Seiten (nur bei der ersten Auflage), Fadenheftung, Lesebändchen, 1096 Seiten. 29,90 €.
Ohje. Jetzt habe ich es gerade gekauft. Lese ich doch einfach sofort Ellroys „Blut will fließen“. Aber bei dessem letzten 800er-Seiter habe ich auch in der Mitte aufgegeben. Hm.
Naja, zum einen kann es auch wirklich an mir liegen, zum anderen macht es doch ein eindrucksvolles Präsent. Schenk es halt wem, den Du nicht magst. 😉
Bin ebenfalls im etwas zähen Teil 4 – Nabokovs Laura hat sich dazwischen gedrängt – aber ich habe schon ein paar Fäden in der Hand und werde es weiterlesen.
Meinem Ältesten, der ein polyglotter Bücherfresser ist, habe ich zu Weihnachten die spanische Ausgabe geschenkt und er ist sehr angetan …
Ohne hier einen Chat aufmachen zu wollen, würde ich doch gern zurückfragen, ob er vielleicht in zwei drei Sätzen sagen kann, was für ihn die Qualität des Buches ausmacht, außer dass es dick ist.
War mir bisher unschlüssig, werde mir das Buch jetzt aber auf absehbare Zeit sparen.