Mit einem besonderen Gruß an den Buchladen Zur Schwarzen Geiß.
Ich möchte schweigen, aber ich soll nicht schweigen und ich kann nicht schweigen.
Fritz Mauthner (1849–1923) dürfte sich hart an der Grenze des kulturellen Gedächtnisses bewegen. Während meines Studiums waren seine »Beiträge zu einer Kritik der Sprache« noch viel besprochen, wenn auch wenig gelesen. Damals erschien auch noch einmal seine umfangreiche Geschichte des Atheismus im Abendland, und sein als Wörterbuch unbrauchbares, als Lektüre aber anregendes »Wörterbuch der Philosophie«, das er selbst als eine Fortsetzung der »Beiträge« verstand, war bei Diogenes als überdimensioniertes Taschenbuch lieferbar. Vom Dichter Fritz Mauthner wollte man aber schon damals nichts mehr wissen. Um so mehr überraschte es mich, dass mir jetzt eine Neuausgabe seiner Erzählung um den Tod Gautama Buddhas in die Hände fiel.
Der 1913 erstmals erschienene Text ist eine direkte Reaktion auf die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einsetzende Popularisierung buddhistischen Gedankengutes in Europa. Erzählt werden die letzten Tage Gautama Buddhas, stofflich weitgehend orientiert an den Legenden. Inhaltlich allerdings nimmt Mauthner, ähnlich wie es später auch Hermann Hesse in seinem »Siddhartha« tun wird, eine deutlich distanzierte Haltung zu der offenbar als zu pessimistisch empfundenen Lehre ein. Mauthner lässt seinen Buddha nicht nur die Abkehr von allem Weltlichen hin zu einer Bewunderung der Schönheit der Welt und des Lebens überwinden, er erfindet auch eine letzte Lehrpredigt Buddhas hinzu, die sogenannte Schmetterlings-Predigt, in der die bunten Flattermänner zum großen Paradigma einer lebensbejahenden Existenz ohne Wollen und Denken geraten.
Etwas spannender als diese religiöse Gymnastik gerät die Beschreibung der Jünger des Erleuchteten. Während sich Buddha um letzte Einsichten und die Überwindung des Sterbens bemüht, finden unter seinen Schülern die ersten Verteilungskämpfe um Macht und Einfluss in der zukünftigen buddhistischen Kirche statt. Hier findet sich Mauthners eigentliche Absage an den Buddhismus: Die Lehre Buddhas ist diskutabel, der kirchlich organisierte Buddhismus ist es nicht.
Ergänzt wird die Erzählung durch einige Seiten mit Anmerkungen, in denen Mauthner auf die Quellenlage und die moderne Rezeption des Buddhismus im Westen eingeht. Sprachlich dürfte die Erzählung, ebenso wie Hesses Pendant, heute als etwas schwülstig empfunden werden, ansonsten ist sie ein nettes, kleines Schmuckstück für alle, die sich ein wenig für Buddhismus oder Fritz Mauthner interessieren. Hervorzuheben wäre auch die typographische Gestaltung des Bandes, die das gängige Niveau deutlich überragt; wenn nur das Büchlein nicht so viele Druckfehler hätte.
Fritz Mauthner: Der letzte Tod des Gautama Buddha. Konstanz: Libelle, 2010. Pappband, 125 Seiten. 18,90 €.
(Geschrieben für die Reihe 100 Seiten beim Umblätterer, wo
eine leicht gekürzte Fassung dieses Textes erschienen ist.)
Danke für die Buchempfehlung. Fritz Mauthner scheint sich ja einiges ausgedacht zu haben, was mit dem historischen Buddha Shakyamuni (Siddhartha Gautama) nichts zu tun hat. Im Web kann man die von Mauthner ausgedachte „Schmetterlingspredigt“ lesen, darin von Buddhas Seele die Rede ist. Im Buddhismus gibt es keine Seele, eine buddhistische Kirche gibt es bis heute nicht und wird es niemals geben. Vielleicht hat Mauthner den Buddha als literarische Figur nur benutzt, um uns irgendwas mitzuteilen. ich weiß es nicht. Pessimistisch ist der Buddhismus keineswegs. Trotz allem besteht natürlich der Reiz, diese Erzählung zu lesen. Literatur ist eben auch Fantasie.
Wie viele Intelektuelle seiner Zeit hat Mauthner den Buddhismus nicht wirklich verstanden, sondern ihn hauptsächlich durch die Optik der abendländischen Philosophie wahrgenommen. Aber um den Buddhismus geht es in der Erzählung ja vermutlich auch gar nicht. Hesses „Siddharta“ habe ich in meiner Jugend gerne gelesen; es ist dasjenige seiner Bücher, das (in meinen Augen) am meisten „Stil“ hat, weil es ganz aus dem Geist der Upanishaden und Lehrreden heraus geschrieben ist – wenn auch mit einem Schuss schwäbischen Schwulsts versehen, den ich aber gar so schlimm nicht finde. Heute würde ich sagen: wenn schon Indisches aus dem Blickwinkel des Europäers, dann Thomas Manns Erzählung „Die vertauschten Köpfe“, die so lustig und subtil-ironisch ist, daß ich nach der Lektüre jedesmal mit breitem Grinsen im Sessel sitze.
Als Intellektueller meiner Zeit bin ich aufgrund der logischen Struktur des Buddhismus nicht so ganz sicher, ob man ihn überhaupt wirklich verstehen kann.
Als europäischer Intellektueller kann und muß man das vielleicht auch nicht. Es ist immer mißlich, eine Lehre von einem Kulturkreis in einen anderen zu verpflanzen, wenn diese sich in ihren geistigen und emotionalen Grundlagen so fundamental unterscheiden (ich bin in Indien gewesen und darf das deshalb vielleicht so sagen). Von daher bleibt alles, was von diesen östlichen Lehren bei uns floriert, doch immer nur Salon-Buddhismus und Hobby-Krishnatum.