»Mein Gott, Mademoiselle, ob die Bruchbude oder eine andere, sie sind sich alle gleich. Wer heutzutage die eine kennengelernt hat, der kennt auch die andere. Alles Schweine und Konsorten.«
Der zehnte Band der Rougon-Macquart, der im Original den Titel »Pot-Bouille« trägt, was in etwa mit »Gemüseeintopf« zu übersetzen wäre. Allerdings hätte der deutsche Titel bei weitem nicht den Reichtum an Konnotationen wie der Originaltitel, so dass bislang alle Übersetzungen eine Alternative gewählt haben. »Ein feines Haus« ist angesichts des Inhalts des Buches eine gute Wahl, besonders auch wegen seines ironischen Potenzials.
Erzählt werden die Ereignisse der Jahre 1862 und 1863 in einem Pariser Mietshaus in der Rue de Choiseul. Erzählanlass ist das Eintreffen Octave Mourets, des ältesten Sohn des Ehepaars François und Marthe Mouret aus »Die Eroberung von Plassans«, der in Marseille eine Ausbildung zum Kaufmann durchlaufen hat und nun nach Paris kommt, um die Stadt zu erobern, wie er selbst sagt. In die Rue de Choiseul kommt er, da die dort lebende Frau Campardon, die Gattin eines Architekten, eine alte Bekannte aus Plassans ist. Doch Octave, der die Verbindung zur Familiengeschichte der Rougon-Macquart bildet, ist nur eine Figur eines ganzen Ensembels, von denen die meisten im Haus leben oder dort regelmäßig aus und ein gehen. Da sind der Hausbesitzer, der zusammen mit Tochter und Schwiegersohn wohnt, zwei weitere Söhne des Hausbesitzers, von denen einer bereits verheiratet ist, die Familie eines Angestellten, dessen Frau sich dringend darum sorgt, ihre beiden heiratsfähigen Töchter an den Mann zu bringen, was ihr wenigstes mit einer gelingt: Berthe heiratet Auguste, den anderen Sohn des Hausbesitzers und Eigentümer eines Stoffgeschäfts. Zu dieser Familie gehört auch Onkel Bachelard, ein reicher Kaufmann, von dem man sich die Mitgift für die Töchter erhofft. Weiter oben im Haus leben noch eine alleinstehende Frau, der der Mann entlaufen ist, und die ärmliche Familie eines kleinen Beamten. Unter dem Dach finden sich die Dienstboten-Quartiere, die eine wichtige Gegenwelt zu den bürgerlichen Haushalten bilden.
Es ist nicht wirklich wichtig, die Handlung dieses Romans in aller Breite nachzuerzählen: Octave hat mehrere Abenteuer, nicht alle von Erfolg gekrönt, aber er wird schließlich mit der frisch verheirateten Berthe in flagranti überrascht, was einen bedeutenden Anteil der Aufregungen des Buches ausmacht. Wesentlicher als die konkrete Handlung ist der beißende satirische Ton, den Zola bei der Beschreibung des Bürgertums anschlägt. Letzten Endes erweist sich unter diesen Menschen alles als Geschäft; sollte jemand tatsächlich einmal wahre Gefühle hegen, so wird er sehr rasch auf den Boden der ökonomischen Tatsachen zurückgeholt. Ehen sind Geschäftsabschlüsse, in denen es darum geht, dass der Bräutigam eine Mitgift zu erhalten sucht, die die Familie der Braut nach Möglichkeit nicht oder wenigstens nur teilweise auszahlt. Legt Mann sich eine Geliebte zu, so wird er entweder ausgenommen wie eine Weihnachtsgans oder hintergangen oder auch beides. Selbst da, wo sexuelle Verhältnisse nicht pekuniär motiviert sind, sind sie letzten Endes nichts anderes als Ausbeutung. Gefühle sind in dieser bürgerlichen Welt nur eine Schwäche, die einen selbst im besten Falle nur lächerlich erscheinen lassen. Gleichzeitig führen diese einander betrügenden, belügenden und ausnutzenden Bürger ständig die Maximen einer christlichen Moral und hohen Sittlichkeit im Munde.
Als Pendant beschreibt Zola die Sphäre der Dienstboten als eine von Schmutz, Gemeinheit, Promiskuität und Dummheit. Hier ereignen sich wie nebenbei echte Tragödien, so die Geschichte von der Schuhstepperin, die als alleinstehende Frau im Haus lebt und der, da sie schwanger wird, gekündigt wird. Wir erfahren später, dass sie ihr Kind umgebracht hat und dass der Hausbesitzer, der sie in ihrem hochschwangeren Zustand auf die Straße gesetzt hat, nun als Richter ihrem Kindsmords-Prozess vorsitzt. Einen Höhepunkt hat der Roman sicherlich in der Beschreibung der Niederkunft von Adèle, die allein und gänzlich unerfahren unter Qualen eine Tochter gebiert, die sie nach der Geburt aus Desinteresse und Erschöpfung sterben lässt und deren Leiche sie im Morgengrauen beseitigt. Einzig die im zweiten Stockwerk des Hauses lebende Familie eines Schriftstellers bleibt von Zolas Kritik verschont, weil sie mit den übringen Bewohnern des Hauses keinen Umgang hat und daher unbeschrieben bleibt.
»Ein feines Haus« ist ein furioses satirisches Meisterwerk, voll erzählerischer Bosheit und gnadenlos genauer Beobachtungen. Ganz nebenbei werden auch die liberalen bürgerlichen Intellektuellen – in der Person eines Doktors – und die christliche Kirche in die Kritik dieser bürgerlichen Welt mit einbezogen. Der Roman macht den Eindruck, als habe sich Zola mit »Nana« freigeschrieben und schwinge sich hier zu einer neuen Stufe seines literarischen Talents auf. Der Roman stellt auch insoweit eine Zäsur dar, als mit ihm die Mitte des Zyklus der Rougon-Macquart erreicht ist. Es ist nur passend, dass Zola gerade hier seine Überzeugung von einem Bürgetum, das dem Untergang geweiht ist, illustriert. Einer der besten Romane des Zyklus und sicherlich zu Unrecht weniger bekannt als »Nana« oder »Germinal«.
Übersichtsseite zur Rougon-Macquart
Émile Zola: Die Rougon-Macquart. Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich. Hg. v. Rita Schober. Berlin: Rütten & Loening, 1952–1976. Digitale Bibliothek Bd. 128. Berlin: Directmedia Publ. GmbH, 2005. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 64 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000, XP oder Vista) oder MAC ab MacOS 10.3; 256 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk.
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