[…] an unsere eigene Faulheit, an Gleichgültigkeit und intellektuelle Wirrheit.
Populär und bewusst parteiisch geschriebener biographischer Essay um einige Figuren der Hauptphase der französischen Aufklärung. Das Hauptgewicht der Darstellung liegt auf Denis Diderot, als eigentliches Zentrum der Darstellung benutzt Blom aber den Salon des Baron Holbach, der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts einer der wichtigen Orte der intellektuellen Auseinandersetzung in Paris darstellte. Leider erfährt der Leser zu wenig über die allgemeine Pariser Salonkultur dieser Zeit, so dass er sich kein Bild davon machen kann, wie typisch bzw. außergewöhnlich der Salon der Holbachs war. Aber das ist noch das geringste Manko des Buches.
Für ein Buch, das über Philosophen und ihre Ideen berichtet, ist es immer schon ein schlechtes Zeichen, wenn sein Autor die Bedeutung grundlegender philosophischer Termini offenbar nicht kennt: So bedeuten transzendent und transzendental sehr unterschiedliches und können nur in ganz seltenen Fällen synonym verwendet werden. Auch sonst bleibt Bloms Darstellung der philosophischen Inhalte meist völlig unkritisch, entweder getragen von einem begeisterten Pathos oder von scharfer Ablehnung, je nachdem wie es dem Geschmack des Autor gerade entspricht. So ist Bloms Kritik der Positionen Rosseaus, so richtig sie in der Sache auch sein mag, stets durchsetzt mit mokanten und polemischen Bemerkungen, die auf die psychische Verfassung oder die persönliche Lebensführung Rousseaus zielen:
Rousseau war fasziniert von der kindlichen Entwicklung (solange sie sich nicht in seinem Haus vollzog, möchte man hinzufügen)
Nein, man möchte es nicht nur hinzufügen, man fügt es hinzu, und das einzig und allein in polemischer Absicht. Im Gegensatz dazu ist alles, was Diderot tut, wohlgetan. Während Rousseaus Gesellschaftsutopie wegen ihrer diktatorischen Konsequenzen scharf angeprangert wird, werden vergleichbare Ansichten Holbachs und Diderots verharmlosend kommentiert: Befürwortung der Todesstrafe durch Diderot? Naja, er hatte eben kein echtes Interesse an der Frage, und ansonsten hat er auch bedauert, dass so etwas notwendig sei. Und sowieso seien 300 Hinrichtungen pro Jahr in Frankreich ja auch keine so bedeutende Sache gewesen. Immerhin wird Friedrich Melchior Grimms These, dass »das Recht des Stärkeren […] die einzige Legitimität« schaffe, zitiert, bleibt aber unkommentiert stehen, anstatt als gesellschaftspolitische Konsequenz jener Ethik der Lust begriffen und kritisiert zu werden, die Blom zuvor seitenweise in den höchsten Tönen als Alternative zur christlichen Tugendlehre gepriesen hat.
Das Buch scheitert letztlich an den atheistischen und antichristlichen Affekten des Autors. Anstatt die historische Lage Mitte des 18. Jahrhunderts als die wichtige Stufe in der Entwicklung der modernen ethischen Theorien zu begreifen, die sie darstellt, versucht er eine einzelne, höchst disparate philosophische Position dieser Zeit zu verabsolutieren. Dabei legt er höchsten Wert auf den Atheismus der Vertreter dieser Position; selbst David Hume, dem er einen gewissen Rang im philosophiegeschichtlichen Prozess nicht abstreiten kann, muss leider abgewertet werden, da er nur Agnostiker gewesen ist und den Atheismus aus erkenntnistheoretischen Bedenken heraus ablehnte. Es ist dann kein Wunder, dass das, was Blom über die kantische Ethik schreibt, blanker Unfug ist und er über Kant und Hegel ansonsten nur anzumerken weiß, sie seien »wie Heilige verehrt« worden. Weder findet sich eine Auseinandersetzung mit der Lessingschen Geschichtsauffassung – einer der wichtigsten deutschen Reaktionen auf die Ideen der Aufklärung – noch mit der Kantischen Bestimmung der Pflicht. Stattdessen wird dem Leser nahegelegt, eines der pornographischen Romänchen Diderots für eine emanzipatorische Kampfschrift
gegen die Verschwendung der Leben der hinter Klostermauern sequestrierten Frauen, gegen die unnatürliche und »nutzlose Tugend« des Zölibats, gegen unterdrückte Leidenschaft und kirchliches Dogma
halten zu sollen. Diderot hätte mit der Leidenschaft der von ihm imaginierten Nonnen sicherlich besseres anzufangen gewusst.
Auch geistesgeschichtlich bleibt Bloms Darstellung naiv: So scheint ihm jeglicher Sinn dafür zu fehlen, dass die im 18. Jahrhundert zum paradigmatischen Referenzbegriff werdende Natur nur eine Metapher mehr ist, aus der die sich emanzipierende bürgerliche Kultur ihre Berechtigung, ja, Überlegenheit abzuleiten versucht. Es handelt sich bei der Natur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts eben nicht um einen objektiven Gegenstand empirischer Forschung, sondern um ein inhaltlich höchst flexibles metaphysisches Konzept, das dazu dient, das propagierte neue Menschenbild als unverfälscht und echt auszuzeichnen. In diesem Sinne hätte auch der Terminus Naturwissenschaft bzw. Wissenschaft historisch eingeordnet werden müssen, anstatt stillschweigend so zu tun, als bestehe zwischen unserem Konzept empirischer Forschung und dem des 18. Jahrhunderts eine ungebrochene Kontinuität.
Und nicht zuletzt muss Blom darin widersprochen werden, das Erbe dessen, was er radikale Aufklärung nennt, sei vergessen worden. Das eben ist es nicht, sondern es ist im Prozess der historischen Entwicklung zur Moderne aufgehoben worden. Dass es in seiner kompromisslosen Idealität und Radikalität für die heraufziehende bürgerliche Gesellschaft unbrauchbar war, erkennt sogar Blom an. Und der Glaube, dass die von Blom angepriesene Ethik der Lust praktisch überhaupt geeignet sei, eine funktionierende Gesellschaft zu begründen, setzt ein so illusionäres Menschenbild voraus, dass selbst Blom an jenen Stellen Bedenken zu hegen scheint, an denen sich seine radikalen Aufklärer in allzumenschliche Affären und Streitigkeiten verwickeln.
So bleibt Bloms Darstellung bei aller Detailkenntnis leider polemisch und geschmäcklerisch und kann außer für jene, die darin bestätigt finden wollen, was sie ohnehin schon immer denken, nicht empfohlen werden.
Philipp Blom: Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. München: Hanser, 2011. Pappband, Lesebändchen, 400 Seiten. 24,90 €.
Ein sehr guter Artikel. Ich kenne das Buch leider nicht, aber Philipp Blom ist mir bislang als Journalist bekannt. Mir scheint, das Buch ist nun eher populärphilosophisch und hat leider nicht ganz so das akademische Niveau, das Sie daran anlegen. Ich würde von einem Journalisten und Historiker gerade nicht erwarten, daß er transzendent und transzendental auseinanderhalten kann, daß er Diskontiniutäten im Wissenschaftsbegriff von heute und dem 18. Jahrhundert zu unterscheiden vermag. Das sind schon recht fachakademische Studien, die Sie da im Hinterkopf haben. Wenn das Buch natürlich tendendiös ist, ist das auch für einen Journalisten ein Armutszeugnis. Und auch der Atheismus des 18. Jahrhundert und gerade der neue Atheismus lassen sich wunderbar auf ihren metaphysischen Gehalt hin kritisch abklopfen.
Wenn einer transzendent und transzendental nicht auseinanderhalten kann, soll er halt nicht über Philosophie schreiben. Und dass einer Journalist ist, bedeutet – auch entgegen dem hierorts des öfteren verbreiteten Vorurteil – nicht automatisch, dass er auch notwendig inkompetent sein muss, wie etwa das Beispiel des von mir hoch geschätzten Johannes Willms zeigt.
@DesertHamburg
Ich erwarte von jedem, der über ein Thema ein Buch schreibt, dass er elementarste Begriffe dieser Thematik beherrscht. Zudem habe ich als Leser keine Lust in der Biographie desjenigen herumzustöbern, um evtl. mildernde Umstände für seine mangelnden Kenntnisse zu suchen.
Im vorliegenden Fall frage ich mich, wo da ein Lektor geblieben ist – falls es überhaupt einen gab.
@Gregor Keuschnig
Die Lektoren sind in der Regel ganz froh, wenn ein Buch interessant, tendenziös ist und nicht zu sehr ins Detail geht, weil es dann besser verkauft wird. Und je mehr Identifikationspotential (Stichwort Kontinuität) eine vergangene Epoche für das breite Publikum hat, desto besser… wäre ja schlimm, wenn auch noch die Natur sich änderte!
@bonaventura:
Ich gebe Ihnen durchaus recht in Ihren Ansprüchen, doch: Dann dürften Sie auch die meisten deutschen Philosophen heute nicht mehr lesen, weil diese nicht mehr Philosophie machen, sondern Philosophiegeschichte.
@DesertHamburg
Verwechseln Sie Lektorat nicht mit Marketing?
@DesertHamburg
Man konnte noch nie »die meisten Philosophen« lesen, weil die meisten Philosophen schon immer keine Philosophen waren. Zurzeit lese ich viel Blumenberg.
@Gregor Keuschnig,
ich verwechsle nichts. Die Marketingabteilung reicht heute bis ins Lektorat. Und das ist so neu auch nicht.
@bonaventura,
Blumenberg ist der Bodybuilder der Begriffsgeschichte und der Mensch-Mängelwesen-Gemeinplätze. Ich muß zugeben: „Die Legitimität der Neuzeit“ zu lesen hat sogar mir Spaß gemacht. Eine clevere und tiefsinnige Exegese der abendländischen Geschichte.
Doch leider ist das Buch ein Produkt der Koselleck-, Conze-, Löwith-Cliquenwirtschaft, ein Intertext einer philosophiefernen Begriffsnarratologie. Da saß die Begriffshistoriker-Zunft mal wieder bei einem Bier beisammen und zockte untereinander ihre Epochenschwellenprofile aus… bei Blumenberg führte dies zur „Legitimität der Neuzeit“. Sie können den Handschuh gerne aufgreifen…:-)
Aber stellen Sie sich vorher nur einmal kurz vor, Sie hätten Kant vorgerechnet, er würde die Begriffe intellectus und ratio verwechseln, was er faktisch getan hat in seiner Zeit… wohin hätte es geführt, wenn Kant dann auf Sie gehört hätte? (Natürlich vergleiche ich Blom nicht mit Kant…)
Was ich damit sagen will: mir ist ein kreatives Mißverständnis oder kreatives (begriffs)-geschichtliches Nicht-Wissen (ignorantia) eines Philosophen lieber als diese ewigen begriffsgeschichtlichen Exegesen, die nichts weiter sind als ein regressus ad infinitum, welchen die antike Philosophie noch zu vermeiden suchte. Und weshalb tat sie das: Damit sie auch mal zu ein paar brauchbaren Ergebnissen kommt.
Zu welchen Ergebnissen kommt Blumenberg? Der Mensch der Neuzeit, unbehaust, Selbstbehauptung, metaphysisch obdachlos, Mängelwesen, Höhle, Sterne, Haus, Schiffbruch mit Zuschauer, Zwang zur Naturbeherrschung…. Ich find das ja ein bißchen fad und ein bißchen dünn, was aus der tollen Analyse für den neuzeitlichen Menschen rauskommt. Im Grunde ist es nur ein kosmischer Weltschmerz, der substantiell die Neuzeit ausmacht. Kann das sein, daß das synthetisch ein wenig einfallslos ist? Er versucht die Neuzeit zwar stark zu machen, aber trauert doch dem an der Gnosis gescheiterten Mittelalter hinterher. Und damit hat doch eigentlich schon wieder das Mittelalter gegenüber der Neuzeit gewonnen. Die einzig gute Nachricht ist die für die Neuzeit selbst. Sie hat endlich gegen die Gnosis gewonnen und ist als Epoche selbständig. Yipee!
@DesertHamburg
Die Marketingabteilung reicht heute bis ins Lektorat. Und das ist so neu auch nicht.
Ja, das Ergebnis sieht man dann u. a. in solchen Büchern.
Ich habe im sogenannten Einlesebuch zum neuen Eco einen Aufsatz von Blom über Verschwörungstheorien gelesen. Das hätte ein Abiturient mit einer gewissen Recherchezeit auch geschafft; vermutlich sogar besser. Es spricht Bände, dass Sie mangelnde Kenntnisse als kreatives Nicht-Wissen aufhübschen und indirekt Blom gegen Blumenberg ausspielen wollen.
Gregor Keuschnig,
argumentieren Sie, statt persönlich zu werden, dann halte ich auch mal für wissend. Ich spiele Blom gegen Blumenberg aus. Lesen Sie statt zu projizieren.