Hier fängt die Geschichte an.
Es ist ein gewagtes Spiel, das Walter Moers mit seinem neuesten Zamonien-Roman treibt: »Das Labyrinth der Träumenden Bücher« setzt die Geschichte aus »Die Stadt der Träumenden Bücher« (2004) fort. Während dort der ich-erzählende Held Hildegunst von Mythenmetz, ein schreibender Lindwurm von der Lindwurmfeste, als junger, unbekannter Autor auf seine erste Aventiure auszieht, so ist er nun, 200 Jahre später, ein arrivierter Bestseller-Lieferant, eingebildet, eitel und dick, der längst des Orms, der zamonischen Quelle aller wahren Inspiration, verlustig gegangen ist. Da reißt ihn ein geheimnisvoller Brief aus seiner selbstzufriedenen Lethargie heraus, und er begibt sich ein weiteres Mal auf die Reise nach Buchhaim, das am Ende des letzten Buches einem verheerenden Feuer zum Opfer gefallen war. Inzwischen wieder aufgebaut, ist es weitgehend zu einer Touristenfalle verkommen, bietet aber auch noch letzte Reste der alten Buchkultur. Hier trifft Hildegunst einige alte Freunde wieder, ja Moers entblödet sich nicht, anlässlich einer Aufführung in einem Puppentheater in aller Breite die Geschehnisse des ersten Romans noch einmal zu erzählen. Als Hildegunst dann endlich wieder an jenem Ort angelangt ist, der, wenigstens dem Titel nach zu urteilen, den Hauptinhalt des Buches liefern sollte, sind die gut 400 Seiten voll fabuliert und das Buch ist aus. In einem kurzen Nachwort vertröstet Moers seine Leser auf den nächsten Band, in dem dann hoffentlich endlich so etwas wie Handlung zu finden sein wird.
Zugeben werden muss, dass das alles nicht ohne Witz gemacht ist: Moers erfindet im Zuge der vollständig anekdotisch bleibenden Fabel in Wort und Bild detailliert die Buchhaimer Kultur, die sich in der Hauptsache um Bücher und Puppentheater dreht. Den Höhepunkt bildet das Unsichtbare Theater, das einzig im Kopf der Zuschauer entsteht und das nichts anderes ist als die Spiegelung dessen, womit Moers am Ende seine Leser allein lässt: Der Held ist angekommen am Ort seiner schlimmsten Ängste, er ist dort allein gelassen und einer ungewissen Zukunft ausgesetzt, alles könnte Inszenierung sein oder auch tödlicher Ernst: Was wird nun geschehen? Die dankbareren unter den Moers-Lesern werden dieses Spiel sicherlich genussvoll mitspielen und nun in Foren und Chats zwei Jahre lang aufgeregt an ihrer jeweils eigenen Fortsetzung spinnen. Weniger dankbare oder auch ältere Leser wie ich werden eher enttäuscht mit den Schultern zucken und sich denken: Was soll schon geschehen? Das was immer geschieht.
Alles in allem ein nettes Buch mit einem etwas enttäuschenden Ende. Noch ist es Walter Moers nicht gelungen, an seinen großen Wurf der »Stadt der Träumenden Bücher« anzuschließen.
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher. Ein Roman aus Zamonien von Hildegunst von Mythenmetz. Aus dem Zamonischen übertragen und illustriert von Walter Moers. München: Knaus, 2011. Bedruckter Pappband, Lesebändchen, 430 Seiten. 24,99 €.
Nun,
es gibt die verbreitete Methode, gegen eine Schreibblockade dadurch anzukämpfen, dass man über eben diese schreibt.
Vielleicht also ist Moers eben das passiert, was Hildegunst passiert ist: Ihm ist das Orm abhanden gekommen. Ich fand bereits den Schrecksenmeister ungewohnt uninspiriert.
Das Buch handelt von keiner Schreibblockade. Aber ich stimme zu, was den »Schrecksenmeister« angeht: https://www.bonaventura.blog/2007/walter-moers-der-schrecksenmeister/
Mhm,
da war ich wohl mißverständlich. Ich erwähnte die Schreibblockade nur als Analogie. So wie man gegen eine Schreibblockade anschreiben will, indem man darüber schreibt, so mag es vielleicht so sein, gegen den Verlust der Inspiration anzuschreiben, indem man genau diesen zum Thema macht.
Auch wenn es freilich vermessen wäre, dies als Motiv zu unterstellen, aber ein Roman, der einen ausgebrannten Schriftsteller thematisiert und dabei so wirkt, als wäre sein Autor selbst etwas ideen- und lustlos geworden, legt diesen Gedanken nahe. Dies mögen dann aber die künftigen Generationen der Moers-Exegeten endgültig klären. Mir hat die Lektüre nichtsdestotrotz Freude gemacht, gerade als Akteur der irdischen Buchbranche findet man doch immer wieder bemerkenswerte Parallelen zu den zamonischen Verhältnissen. 😉
Schade! Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, es wieder einmal mit Moers zu versuchen. Na, vielleicht fange ich stattdessen doch endlich mal mit Prousts „Recherche“ an …
Der Schrecksenmeister ist fraglos ein Tiefpunkt und über weite Strecken ausgesprochen langweilig, aber das „Labyrinth“ zeigt hin und wieder die alte Form.
Hildegunst ist einfach eine schöne Erzählerfigur, Buchhaim ein wunderbarer Handlungsort. Die Probleme mit dem „Labyrinth“ liegen auch eher darin, dass es halt nur ein erster Teil ist – und dass die nicht enden wollenden Ausführungen zum Puppetismus, die größtenteils als matte Satire auf den Theater- und Kunstbetrieb daher kommen, zur Langeweile tendieren und gefühlte 100 Seiten zu lang sind.
Dass Moers den Plot der „Stadt“ noch einmal erzählt, fand ich keine so dumme Idee – ich zumindest wusste nicht mehr so genau, was da eigentlich los war ;-). Auch die Art und Weise, wie Moers das einfließen lässt, halte ich für pfiffig. Dass ihm das ganze dann allerdings 60 Seiten lang gerät, ist eher ermüdend.
Zum Teil 2: ich kann mir gut vorstellen, dass das „Nachwort des Übersetzers“ durchaus einen wahren Kern hat: „Als ich zu der Erkenntnis kam, dass der Roman nicht fristgerecht fertig würde, blieb mir nichts anderes übrig, als den Verlag zu alarmieren. Der Verleger reagierte unerwartet heftig, ja geradezu unsensibel, und bedrohte mich mit juristischen Konsequenzen. Ich musste nicht nur eingestehen, dass ich das Projekt falsch eingeschätzt hatte, sondern auch mit einer alternativen Lösung aufwarten.“
Übrigens hat Hildegunst vom Mythenmetz auch eine Facebook-Seite, auf der man erfahren kann, dass die Fortsetzung „Das Schloss der träumenden Bücher“ heißen und „spätestens 2013“ erscheinen wird. „Spätestens“ heißt in solchen Fällen erfahrungsgemäßg „nicht vor Ende“. Ich tippe mal auf die Buchmesse 2013. Es stehen uns also rund zwei zamonienfreie Jahre bevor.
Na ja, nach dem Anlauf muss Moers aber auch gewaltig weit springen! Da kann es bis zur Landung schon mal etwas dauern. 😉
Hoffen wir, dass es ihm nicht geht wie dem Tiger, der machtvoll absprang, um als Bettvorleger zu enden.