Prinz Garibald zählte. Er zählte nicht Fliegen, Fenster, Autos oder was immer; er zählte abstrakt. Er hatte sich, als er achtzehn Jahre alt war, zur Lebensaufgabe gestellt, zu zählen. Das war 1922 gewesen. Er zählte manchmal laut, manchmal zählte er nur innerlich für sich; meist zählte er ganz leise und bewegte dabei ein wenig die Lippen. Aber immer zählte er gewissenhaft. In einem kleinen Notizbuch vermerkte er, mit welcher Zahl er aufgehört hatte. Am nächsten Tag (genauer gesagt: am nächsten Werktag) fing er mit der darauffolgenden Zahl weiterzuzählen an. Er habe keine anderen Interessen und Neigungen, sagte der Prinz. Zum militärischen oder geistlichen Stand fühle er keine Berufung. Wissenschaftliche oder künstlerische Betätigung langweile ihn. Die Jagd sei ihm zu unbequem. Das Zählen fülle ihn aus.
Herbert Rosendorfer
Deutsche Suite
Der Tod dieses erstklassigen Satirikers hat mich an meine erste Bekanntschaft mit seinen Romanen erinnert. Sie begann vor 25 Jahren in Rom und hat meinen Lesegeschmack mit geprägt. Mein liebster Rosendorfer ist „Ein Liebhaber ungerader Zahlen“, er spielt natürlich in Rom und der Kleppermantel fehlt natürlich auch nicht. Leider ist das Buch nur noch antiquarisch erhältlich.