Arno Schmidt ist für viele Leser wohl weniger ein deutscher Autor des 20. Jahrhunderts als vielmehr ein Schreckgespenst von Schwierigkeit und Unzugänglichkeit. Die Gerüchte, die über ihn umgehen, sind zwar nicht vollständig unbegründet, aber sie zeichnen doch ein sehr übertriebenes Bild dieses Autors und seines Werks. Ich zitiere nicht gern Günter Grass, aber wenn er in seiner Laudatio auf Arno Schmidt von 1964 feststellte, man könne „ihn in der Küche schmökern wie Gullivers Reisen“, so trifft das eine wichtige Eigenschaft der Bücher Schmidts: Schmidt zu lesen macht Spaß.
Natürlich ist es so, dass es Aspekte seiner Bücher gibt, die sich erst einer sehr gründlichen und wahrscheinlich wiederholten Lektüre eröffnen. Auch kann es sein, dass sich eher bequeme oder wenig flexible Leser vom äußeren Erscheinungsbild der Texte abgestoßen fühlen. Doch all das kann man erst einmal getrost beiseite lassen: Weder muss man Schmidts Texte auf Anhieb vollständig verstehen (es gibt Seiten im Werk, von denen ich vermute, dass sie bis heute noch niemand auf der Welt wirklich verstanden hat), noch muss man begreifen, warum der Autor Wert darauf gelegt hat, seine Texte in einer etwas seltsamen äußeren Erscheinungsform drucken zu lassen. Zu allererst kann und soll man Arno Schmidt einfach nur lesen.
In den meisten Fällen stößt der Leser dann auf eine recht konventionelle Liebesgeschichte, die in einer merkwürdigen Mischung aus innerlicher Zart- und äußerlicher Grobheit erzählt wird. Besonders in seinen frühen Veröffentlichungen liefert Schmidt zugleich ein sehr reiches Zeitbild, das von den 30er bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts reicht. Hier und da entdeckt man vielleicht auch einen Zukunftsroman (Schmidt schrieb eher Utopien, weniger Science Fiction), der Schmidts ganz eigene und immer originelle Sicht auf seine Lebenswelt widerspiegelt. Immer aber wird man einen Autor von ungewöhnlichem Humor finden. Ob man sich schließlich an das Spätwerk Schmidts machen wird, hängt sicherlich von ganz vielen Umständen ab, auch davon, wieviel Zeit man bereit ist, in diesen durch und durch originären Autor zu investieren.
Wer aber meint, nach einer ersten Bekanntschaft mit Arno Schmidts Büchern doch von dem einen oder anderen Hinweis eines Kenners profitieren zu können, hat derzeit nicht so sehr viele Möglichkeiten, sich über den Autor allgemein und gut lesbar zu informieren. Meine eigene Einführung in das erzählerische Werk ist inzwischen mehr als 10 Jahre alt und nicht mehr im Druck, die Rowohlt-Biographie von Wolfgang Martynkewicz ist auch seit langem vergriffen und wird bis auf weiteres wohl nicht ersetzt werden, und andere aktuelle biographische Veröffentlichungen – wie etwa Joachim Kerstens „Arno Schmidt in Hamburg“ – konzentrieren sich nur auf Teilaspekte der Biographie.
Nun legt mit Friedhelm Rathjen einer der besten Arno-Schmidt-Kenner einen ebenso kurzen wie umfassenden „Wegweiser“ zu Arno Schmidt vor. Der knapp 170 Seiten umfassende Band enthält eine Darstellung des kompletten Werks Arno Schmidts einschließlich der Nachlass-Veröffentlichungen; sogar die bis dato veröffentlichten Bände der Briefwechsel werden besprochen. Grundlage des Bandes sind zum einen lexikalische Einträge, die für den Reclam Verlag verfasst wurden, zum zweiten überarbeitete und erweiterte Zeitungsrezensionen und zum letzten Artikel, die eigens für diesen Band verfasst wurden. Zahlreiche der kurzen Artikel sind ergänzt um ein ausführliches Verzeichnis von Sekundärliteratur, wobei sich auch hier Rathjens Kennerschaft zeigt: Es handelt sich durchaus nicht um eine unkritische Ansammlung der existierenden Forschung, sondern um eine mit Bedacht vorgenommene kritische Auswahl.
Und so ist Rathejns Buch für jeden Leser Arno Schmidts geeignet: Schmidt-Einsteiger finden anhand der knappen und präzisen Artikel rasch Orientierung zu Einzeltexten oder dem Gesamtwerk; wer sich schon „am Haken“ findet, kann sich einen umfassenden Überblick verschaffen; der Kenner schließlich findet konzise und zuverlässige Bibliographien, die das Auf- und Wiederfinden bestimmter Sekundärtexte ermöglichen bzw. erleichtern.
Für jeden an Schmidt Interessierten rundum zu empfehlen.
Friedhelm Rathjen: Arno Schmidt lesen! Orientierungshilfe für Erstleser und Wegweiser im Literaturdschungel. Südwesthörn: Ǝdition RejoycE, 2014. Bedruckte Broschur, 168 Seiten. 17,– €. Bestellung per E-Mail direkt beim Verlag.
Es gibt Seiten in Schmidts Werk, bei denen ich vermute, dass sie nicht einmal Schmidt verstanden hat … Ich habe hier „Zettel’s Traum“ herumliegen – ich werde bei Gelegenheit berichten…
Ich warte gespannt!
Ich auch…
Ich sehe Zettel’s Traum als literarische Endmoräne – als Trümmerhaufen einer mentalen Eruption von gewaltiger, ja fast gewalttätiger Schubkraft. Problematisch ist vor allem die ungeheure Lebens- und Lesezeit, die das Buch einem abverlangt. Ich habe es in den letzten 30 Jahren immerhin 2 Mal ganz gelesen (das erste Mal im zarten – und jedem literarischen Konventionsbruch aufgeschlossenen – Alter von 18). Meine Strategie lautete: 1 ZT-Buch lesen (nicht mehr als 10 S. täglich), daneben nur leichte Lektüre, danach erst einmal 2-3 andere literarische Bücher. 6 Wochen später dann weiter mit dem nächsten ZT-Buch. Das ergab bei mir eine Brutto-Lesezeit von 12 Monaten, ohne daß ich mich überanstrengt hätte. (Zu Hife kam mir noch die Tatsache, daß ich Poe, Freud und Joyce bereits gelesen hatte, bevor ich Schmidt kannte, und die englische Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts ohnehin mein Steckenpferd war.)
Die anläßlich der gesetzten Ausgabe begonnene 3. Lektüre habe ich vorerst abgebrochen. Schmidt begleitet mich zwar schon fast mein ganzes Leben, aber ich bin auch bei Liebligsautoren Polytheist – es gibt soviel anderes, das mir derzeit wichtiger ist. Also stellte sich die Frage, ob ich ZT mit seinen ellenlangen Zitaten, endlos-angehäuften Etym-Fudern und konstruierten Streitgesprächen über Poe unbedingt noch ein weiteres Mal lesen mußte? Eine Frage, die ich klar mit Nein beantwortet habe. Dabei gibt es – neben den obligatorischen „Rüpelszenen“ – Stellen von von einer Komik, einem Sprachwitz und zuweilen einer ganz anrührenden menschlichen Zartheit in ZT, die zum Besten gehören, was Schmidts Werk zu bieten hat – man muß auf der Reise durch die widerborstige Textmasse nur zu ihnen vordringen!
Wer weiß – vielleicht gönne ich mir als Rentner nochmal einen Durchgang.
Ja, „Zettel’s Traum“ als Lektüreproblem. Auch ich bin zweieinhalb Mal durch das Buch und habe dann mit einigem Enthusiasmus versucht, einen dritten vollständigen Durchgang zu starten, als die gesetzte Fassung erschien. Wie bekannt, bin ich rasch hängen geblieben, und habe mich bis dato nicht aufraffen können, die Lektüre fortzusetzen. (Das Buch liegt seitdem konsequent auf dem Stehpult und nimmt Platz weg.) . Innerlich rede ich mich damit heraus, dass ich auf die CD-ROM warte, damit ich die Zitate nicht abtippen muss …
Und auch den Rest könnte ich – mit der kleinen Einschränkung, dass die besten Stellen Schmidts in „Abend mit Goldrand“ stehen 😉 – einfach so unterschreiben.
O.K. – ja, stimmt: AmG ist vielleicht sogar mein Lieblingsbuch von Schmidt.