Patricia Highsmith: Ripley Under Ground

Tom wußte es. Er war ein mystischer Ursprung, ein Quell des Bösen.

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Erst im Jahr 1970, also 15 Jahre nach dem Auftakterfolg „Der talentierte Mr. Ripley“ liefert Patricia Highsmith den zweiten Roman um den Betrüger, Hochstapler und Mörder Thomas Ripley. Die Handlung spielt wahrscheinlich im Jahr 1968 in der Hauptsache in einem kleinen Dorf in Nordfrankreich und London. Tom Ripley führt inzwischen ein zurückgezogenes und unauffälliges Leben als amerikanischer Neureicher in Europa: Er ist verheiratet mit Héloïse, Tochter aus reichen Hause, und vertreibt sich seine Zeit zumeist mit Lesen, Gartenarbeit und Malen. Seine Einkünfte stammen nicht nur aus dem Erbe Dickie Greenleafs, das er sich am Ende des Vorläuferromans zu erschwindeln gewusst hatte, sondern auch aus einem kleinen Kunstfälscherring, den zu gründen er die Idee hatte und dessen stiller Teilhaber er ist.

Die Hauptakteure der Kunstfälscher sitzen in London und sind drei Freunde des verstorbenen Malers Philip Derwatt, der sich vor etwa acht Jahren in Griechenland umgebracht hat. Die Freunde – unter ihnen der Maler Bernard Tufts –, die zuerst erfolgreich Bilder aus dem Nachlass Derwatts auf den Markt brachten, fangen zuerst an, den Nachlass durch Fälschungen Tufts zu erweitern und lassen schließlich, auf Anregung Tom Ripleys, Derwatt, dessen Leiche nie gefunden wurde, wieder auferstehen, um die Geschäfte fortführen zu können: Derwatt lebe angeblich zurückgezogen in einem kleinen Dorf in Mexiko, von wo aus er seine Gemälde regelmäßig nach London expediere, um sie über die Galerie seiner Freunde Ed und Jeff verkaufen zu lassen. Darüber hinaus partizipieren die Freunde und Ripley auch an einer Firma, die Künstlerbedarf unter dem Namen Derwatts vertreibt und einer Derwatt-Kunstschule in Perugia.

Die Handlung des Romans setzt ein, als der amerikanischer Sammler Thomas Murchison den Verdacht entwickelt, bei einem von ihm erworbenen Derwatt-Gemälde handele es sich um eine Fälschung: Murchison ist aufgefallen, dass für das von ihm erworbenen Bild eine Farbe verwendet wurde, die Derwatt zuvor bereits aufgegeben und durch eine Mischung anderer Farben ersetzt hatte. Tom Ripley hat den Einfall, sich als Derwatt zu verkleiden und überraschend in London zu erscheinen, um Murchison die Echtheit seines Bildes persönlich zu garantieren. Murchison fällt zwar auf die Verkleidung herein, lässt aber nicht von seiner Theorie ab, sondern ist eher geneigt zu glauben, Derwatt selbst könne in das Geschäft mit den Fälschung verwickelt sein, um seine lukrative Produktion auf diese Weise zu erweitern. Ripley wechselt  daraufhin die Strategie, sucht nun unverkleidet die Bekanntschaft Murchisons und überredet ihn, ihn nach Frankreich zu begleiten, um dort zwei weitere Bilder Derwatts zu begutachten.

Im Hause Ripleys erweist sich Murchison als immun gegen die Überredungskünste Ripleys, so dass diesem am Ende nichts besseres mehr einfällt, als Murchison in seinem Keller zu erschlagen und die Leiche in der Nähe seines Hauses zu vergraben. Das Gepäck Murchisons fährt er zum Flughafen Orly und lässt es dort einfach auf dem Bürgersteig stehen, in der Hoffnung, dass es bald gestohlen werde.

Dies alles macht etwa das erste Drittel des Romans aus; die restlichen zwei Drittel erzählen zum einen von Toms Anstrengungen, den Nachforschungen der französischen und englischen Polizei zu entkommen, zum anderen von seinen Bemühungen, den nervösen und depressiven Fälscher Bernard Tufts unter Kontrolle zu halten, der durch das Auftauchen Murchisons in Panik versetzt worden ist. Tufts ist die psychologisch bei weitem interessanteste Figur des Romans: Sein Erfolg als Fälscher des von ihm bewunderten Derwatt stört nachhaltig sein Selbstbild. Im Grunde ist er der Überzeugung, Derwatt malerisch nicht das Wasser reichen zu können, sieht aber zugleich, dass erst seine Fälschungen Derwatts Erfolg begründet haben. Sein eigenes Werk hat sich im Gegensatz zu dem Derwatts in den Jahren der Fälschertätigkeit nicht weiterentwickelt; außerdem ist er tief in seinem Inneren davon überzeugt, dass er das künstlerische Vermächtnis Derwatts durch die Fälschungen trivialisiert hat.

Die Kombination aus Angst vor der Entdeckung, Gewissensbissen und Identitätsverlust treibt Tufts an den Rand des Wahnsinns. Nachdem er von Tom Ripley zu einem Komplizen des Mordes an Murchison gemacht wurde, versucht er, Tom umzubringen, begräbt den vermeintlich Toten in dem ehemals für Murchison bestimmten Grab – aus dieser Episode ergibt sich der Titel des Romans – und flieht. Da Tom befürchten muss, dass Tufts sich der Polizei offenbaren wird, um die für ihn unerträgliche Situation zu beenden, macht er sich auf die Suche nach ihm; er stellt ihn nach Umwegen schließlich in Salzburg. Auch hier sei natürlich der Verlauf des Finales und Toms abschließende Lösung all seiner Schwierigkeiten nicht verraten.

„Ripley Under Ground“ ist eine beeindruckende Fortsetzung des Stoffs: Während „Der talentierte Mr. Ripley“ ein ironisches Spiel mit dem Coming-of-Age-Muster (das einen Aspekt des klassischen Entwicklungsromans variiert) darstellte, liefert der Nachfolger nicht nur ein psychologisch weit spannenderes Figurenensemble – und bereitet in einer Nebenhandlung die Fortsetzung der Romanreihe vor–, er hebt auch die Figur Ripleys auf eine andere Ebene. Der zuvor etwas unsichere, suchende junge Mann hat sich in einen selbstsicheren und mit sich und seiner Stellung in der Welt im Reinen befindlichen Erwachsenen verwandelt, der nur eben leider seine Einkünfte aus nicht ganz legalen Geschäften bezieht. Es ist nur dieses unglückliche Detail, das ihn immer wieder dazu nötigt, das zu tun, was andere als das Böse ansehen, er selbst aber nur als unvermeidliche Folge ungünstiger Umstände begreift. Er ist kein Verbrecher aus Leidenschaft (und auch kein Serienmörder, als der er ab und an bezeichnet wird), sondern ein Mensch, dem all das Mühe und Unannehmlichkeiten bereitet, die er lieber vermieden hätte. Das einzige, was ihm wirklich fehlt, ist ein Gewissen, aber gerade das ist es, was ihn in seinem Geschäft so erfolgreich macht. Wahrscheinlich ist es die bis auf diesen einzigen Aspekt weitgehende Normalität Ripleys, die uns diese Figur mehr als gerade noch erträglich macht.

Patricia Highsmith: Ripley Under Ground. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz. detebe 23414. Zürich: Diogenes, 2003. Broschur, 443 Seiten. 11,90 €.

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