Ödön von Horváth: Der ewige Spießer

Überhaupt entwickle sich die Technik kolossal, erst neulich habe ein Amerikaner den künstlichen Menschen erfunden, das sei wirklich großartig, daß der menschliche Geist solche Höhen erklimme, und sie werde es ja auch noch erleben, daß, wenn das so weitergehe, alle echten Menschen zugrund gehen würden.

Horvath-Prosa

Horváths kleiner Roman „Der ewige Spießer“ ist wahrscheinlich aufgrund des griffigen Titels sein bekanntester erzählender Text. Horváth war seinen Zeitgenossen in erster Linie als Bühnenautor bekannt; „Der ewige Spießer“ ist seine erste längere Erzählung. Sie enthält drei locker miteinander verknüpfte, anekdotisch angelegte Teile:

Der erste und umfangreichste enthält die Geschichte einer Barcelona-Reise des Münchner Gebrauchtwagenhändlers Alfons Kobler (und der Leser mag alle negativen Geschäftspraktiken, die sich im populären Vorurteil mit diesem Berufsstand verbinden, auf Kobler projizieren), der seinen Gewinn aus dem betrügerischen Verkauf eines Sportwagens in seine Zukunft zu investieren versucht, indem er sich auf der Weltausstellung in Barcelona (1929) eine reiche Erbin oder Witwe angeln will. Die Reise per Eisenbahn über Österreich, Norditalien, Südfrankreich nach Spanien bringt zahlreiche Bekanntschaften, unter anderem auch die zu dem Schriftsteller und Journalisten Rudolf Schmitz, mit dem er zusammen in Marseilles frisst, säuft und ein Bordell besucht. Noch auf der Fahrt lernt Kobler die Frau seiner Träume, die Tochter eines Industriellen aus dem Ruhrgebiet, kennen, die sich, in Barcelona angekommen, auch planmäßig von ihm verführen lässt, nur um ihm am nächsten Morgen ihren überraschend angereisten Verlobten vorzustellen, einen reichen Amerikaner, auf dessen Geld das Geschäft ihres Vater angewiesen ist. Nach dieser enttäuschenden Fehlinvestition reist Kobler ohne Zögern zurück nach München.

Im zweiten und dritten Teil steht eine der ehemaligen Geliebten Koblers im Mittelpunkt: Anna Pollinger wird aufgrund eines Firmenbankrotts arbeitslos und gerät aus Zufall und ein wenig gegen ihren Willen in die Prostitution. Sie macht dann die Bekanntschaft des ebenfalls arbeitslosen Josef Reithofer, der ihren Status als Prostituierte nicht erkennt und von dem sie sich – quasi unter falschen Voraussetzungen – ins Kino einladen lässt. Als Reithofer endlich begreift, dass für eine nähere Bekanntschaft die Aufnahme einer geschäftlichen Beziehung die Voraussetzung bildet, ist er zu Recht erbost, dass sich Anna eine Einladung ins Kino erschwindelt hat. Dennoch vermittelt Reithofer Anna noch in derselben Nacht eine Stelle als Näherin, von der er durch eine zufällige Bekanntschaft in einer Kneipe erfahren hat; dies ist die einzige selbstlose Handlung im ganzen Roman.

Den ewigen Spießer des Titels findet man mit wenigen Ausnahmen in allen Figuren des Buchs (ein einzelner Fahrgast im Zug, Anna und Reithofer sind vielleicht ausgenommen), er zeigt sich in allen Facetten vom nationalistischen Grantler bis zum rückgratlosen Opportunisten, vom betrügerischen Geschäftsmann bis zum aalglatten Sohn eines Kriegsgewinnlers. Menschlichkeit und Mitleid existieren, aber sie sind Ausnahmen in einer Welt, in der jede und jeder ob freiwillig oder erzwungen an seinen Vorteil denkt beziehungsweise denken muss.

Sprachlich erscheint der Text auf den ersten Blick leger und nahe der Umgangssprache, aber hier und da blitzen sehr präzise Spitzen auf, die deutlich machen, wie exakt Horváth gearbeitet hat:

»›Ihr junge Generation habt keine Seele‹, hat er gesagt. Quatsch! Was ist das schon, Seele?« Er knöpfte sich die Hosen zu.

Bei aller Schwäche in der Form ein kleines inhaltliches und sprachliches Meisterstück.

Ödön von Horváth: Der ewige Spießer. In: Prosa und Stücke. Suhrkamp Quarto. S. 124–230. Frankfurt: Suhrkamp, 2008. Broschur, 1514 Seiten. 25,– €.

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