Eure Geschichte, Mönch Medardus! fing er an: ist die verwunderlichste die ich jemals vernommen.
Noch während Hoffmann 1814 und 1815 an der Zusammenstellung und Ergänzung der Fantasiestücke arbeitet, entsteht parallel sein erster Roman Die Elixiere des Teufels, so dass nahezu unmittelbar nachdem der letzte Band der Fantasiestücke erschienen ist (Juni 1815), bereits der erste von zwei Bänden der Elixiere vorliegt (September 1815). Die Elixiere sind ein Moderoman, sie greifen die Form der in England bereits im Abklingen befindlichen Welle des Schauerromans (Gothic Novel) auf und liefern gemäß dem Genre eine Schauer- und Mordgeschichte mit einem Mönch als Protagonisten. Da das Genre in Deutschland in der Hauptsache immer noch aus Übersetzungen der englischen Vorlagen bekannt war, konnten Hoffmann und sein Verleger zu Recht auf einen bedeutenden Verkaufserfolg hoffen.
Natürlich hat der Text, so wie es sich für die Zeit gehört, eine Herausgeberfiktion, die die Geschichte in eine unbestimmte Vergangenheit verlegt: Erzählt wird im Rückblick und in seinen eigenen Worten die Lebensgeschichte des Knaben Franz, der als Mönch unter dem Namen Medardus in ein Kapuzinerkloster eintritt. Da er sich als frommer Bruder auszeichnet, wird ihm bald die Reliquiensammlung des Klosters anvertraut, in der sich neben anderem Firlefanz auch eine geheimnisvolle Weinflasche befindet, die aus dem Besitz des heiligen Antonius stammen soll. Mit dem Öffnen dieser Flasche beginnt Medardus Sündenfall. Er wird aus dem Kloster in die Welt geschickt und verwickelt sich augenblicklich in eine der unwahrscheinlichsten Geschichten, die man sich ausdenken kann: Sein zufälliges Zusammentreffen mit einem Doppelgänger (der sich als sein Halbbruder erweisen wird) führt ihn in ein erstes Abenteuer, in dem er die Identität des Doppelgängers annimmt und das in einem Doppelmord endet. Die Flucht aus diesem Abenteuer führt notwendig ins nächste und von diesem Zeitpunkt an flieht Medardus nicht nur seinen klösterliche, sondern auch seine doppelgängerische Identität, erlügt sich eine dritte, wird beinahe entlarvt, dann aber durch das unerwartet Auftauchen seines vermeintlich toten Doppelgängers errettet, verfällt dem Wahnsinn, dann der Reue und Buße und landet am Ende wieder in dem Kloster, von dem aus er in die Welt gezogen ist. Das Buch wimmelt von exaltierten Figuren, wobei Medardus immer die exaltierteste von allen ist. Der Leser erfährt die sündhafte Geschichte der Herkunft Medardus’, die der eigentliche Auslöser all seiner Abenteuer sein soll. Insofern spielen die titelgebenden Elixiere des Teufels im ganzen Roman kaum ein direkte, allerhöchstens eine metaphorische Rolle.
Ich muss zugestehen, dass mir das Buch bei der Wiederlektüre deutlich weniger auf die Nerven gefallen ist als damals während des Studiums; offensichtlich hat meine Toleranz gegen Schauer- und Mordgeschichten mittlerweile doch deutlich zugenommen. Das ändert nichts daran, dass der Roman gleich an zwei Symptomen leidet: Nicht nur ist die Anhäufung gänzlich unwahrscheinlicher Koinzidenzen schon für sich genommen störend, die zweite Hälfte des Romans krankt zudem daran, dass der Erzähler mit dem Erklären und Aufarbeiten dieser Zufälle einen gehörigen Teil des Textes füllen muss. Gekontert wird dieses triviale Herumgerenne mit durchaus interessanten Reflexionen zu Fragen der Identität; zum Teil wird die Handlung derart auf die Spitze getrieben, dass sich selbst der Leser fragt, ob nicht doch auf irgendeine Weise ein Anderer die Taten des Medardus begangen haben könnte. Auch der Fall des Ich-Erzählers in Wahn und Bewusstlosigkeit ist durchaus überzeugend gestaltet und reicht deutlich über die Trivialmuster der Zeit hinaus.
Für alle Freunde des Schauerromans ein historisches Muss, aber auch für all jene, die an der Entwicklung von Begriffen wie Identität, Wahn oder Unheimliches interessiert sind, ein gewichtiges Stück Geistesgeschichte.
E. T. A. Hoffmann: Die Elixiere des Teufels. Nachgelassene Papiere des Bruders Medardus eines Capuziners. In: Sämtliche Werke 2/2. Hg. v. Hartmut Steinecke. Frankfurt: Deutscher Klassiker Verlag, 1988. Leinen, Fadenheftung, zwei Lesebändchen, 759 Seiten. Diese Ausgabe ist derzeit auch als Taschenbuch lieferbar.