Merkwürdigerweise war sie eine der kompromisslosesten Skeptikerinnen, denen er je begegnet war, und möglicherweise (dies war eine Theorie, die er aufgestellt hatte, um sich Rechenschaft über sie abzulegen, die in mancher Hinsicht so durchschaubar, in anderer so rätselhaft war), möglicherweise sagte sie sich: Da wir eine zum Untergang verurteilte Rasse sind, an ein sinkendes Schiff gekettet (ihre Lieblingslektüre als Mädchen waren Huxley und Tyndall gewesen, und die mochten solche nautischen Metaphern), da das Ganze ein schlechter Scherz ist, wollen wir wenigstens unsere Rolle spielen; die Leiden unserer Mitgefangenen lindern (wiederum Huxley); das Verlies mit Blumen und Luftkissen schmücken; so anständig sein, wie wir können. Diese Rohlinge, die Götter, sollen ihren Willen nicht in allem durchsetzen – ihrer Vorstellung nach waren die Götter, die keine Gelegenheit ungenutzt ließen, Menschenleben zu versehren, zu behindern und zu verderben, ernstlich empört, wenn man sich trotz allem wie eine Dame benahm. Diese Phase setzte gleich nach Sylvias Tod ein – jener schrecklichen Geschichte. Mit eigenen Augen ansehen zu müssen, wie die eigene Schwester von einem umstürzenden Baum getötet wurde (alles Justin Parrys Schuld – alles seine Fahrlässigkeit), noch dazu ein Mädchen auf der Schwelle zum Leben, die Begabteste unter ihnen, wie Clarissa immer sagte, das genügte, um zu verbittern. Später war sie sich vielleicht nicht mehr so sicher; sie glaubte, es gebe keine Götter; niemand habe Schuld; und so entwickelte sie die Religion der Atheisten: Gutes zu tun um der Güte willen.
Virginia Woolf: Mrs. Dalloway. Stuttgart: Reclam, 2012. S. 88 f.