… Das Ende vom Lied. Drei Erzählungen Joseph Conrads, die in dieser Zusammenstellung zum ersten Mal 1902 erschienen sind. In dem mitgelieferten Vorwort Conrads aus dem Jahr 1917 weist der Autor jegliche Idee einer zyklischen Anlage der Sammlung zurück und betont, dass die Texte nur aufgrund ihrer in etwa zeitgleichen Entstehung zusammengehören. Karriere gemacht hat bekanntlich Herz der Finsternis, das spätestens durch die freie Variation in Apocalypse Now in der westlichen Kultur Kultstatus bekommen hat.
Allerdings lag bislang keine wirklich gute Übersetzung vor. Ich selbst hatte mir nach der ersten Lektüre der englischen Originale Conrads eigentlich vorgenommen, keine weiteren Übersetzungen seiner Bücher ins Deutsche zu lesen. Doch als mir letztens von meinem Buchhändler der hier vorgestellte Band in die Hand gedrückt wurde, war ich erstaunt, wie genau der Ton der ersten Seite von Herz der Finsternis meiner Erinnerung an das Original entsprach. Dieser erste Eindruck hat sich gehalten: Die Übersetzungen haben durchgängig ein hohes Niveau und ein genaues Gespür für die von Conrad tonal erzeugten Stimmungen. Das lässt sich natürlich nicht in allen Fällen nachbilden, ist aber hier besser gelungen, als ich es bislang in irgend einer der älteren Übersetzungen gefunden habe.
Die beiden ersten Erzählungen haben eine Rahmenerzählung, in der Conrads Erzählerfigur Marlow in einem Kreis Londoner Bekannter eigene Erlebnisse berichtet: Jugend von seiner ersten Fahrt als Zweiter Offizier auf einem heruntergekommenen Frachter, der schließlich auf hoher See Opfer eines Schwelbrandes in der Ladung wird, Herz der Finsternis von seiner Zeit als Kapitän auf dem Kongo und seiner Begegnung mit dem Handelsagenten Kurtz, der – halb wahnsinnig, halb hybrider Philosoph – im Kern die Faszination und begriffliche Hilflosigkeit der Weißen angesichts der Konfrontation mit dem schwarzen Kontinent widerspiegelt.
Die wohl insgesamt weniger bekannte Erzählung Das Ende von Lied (deren Originaltitel The End of the Tether den sprichwörtlichen Geduldsfaden mit ins assoziative Spiel bringt), ist die Geschichte des alternden Kapitän Whalley, der sich, um seine verheiratete Tochter finanziell unterstützen zu können, noch einmal für drei Jahren als Kapitän verpflichtet. Dies erweist sich für ihn als ein Wettlauf mit der Zeit und der eigenen Gesundheit. Diese Erzählung kann als ein Musterstück retardierenden Erzählens gelesen werden, denn die Fabel bleibt wesentlich anekdotisch und ließe sich ohne großen Verlust auf zwei Seiten zusammenfassen. Doch die ausführliche Beschreibung zahlreicher Nebenfiguren, ihrer Motive und Geschichte sowie die beinah quälende Verzögerung der Auflösung des Rätsels um Kapitän Whalley machen diesen Text mit beinahe 130 Seiten zum längsten des Bandes.
Wer mit der Lektüre Conrads beginnen möchte, dem sei dieser Band ans Herz gelegt; die anderen, die Conrad nicht im Original lesen, mögen hier nachschauen, was einem sorgfältigen Übersetzer im Deutschen möglich ist.
Joseph Conrad: Jugend / Herz der Finsternis / Das Ende vom Lied. Aus dem Englischen von Manfred Allié. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2007. Pappband, Lesebändchen, 379 Seiten. 19,90 €.
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