Der seltene Fall eines Buches über die Frage nach der Urheberschaft von Shakespeares Werken, das von einem Stratfordianer verfasst ist.
Wie auch hier bereits dargestellt, gibt es seit dem 19. Jahrhundert eine breite populär- und fachwissenschaftliche Diskussion der Frage nach dem Autor von Shakespeares Werken. Es stehen derzeit wohl in der Hauptsache noch drei Kandidaten zur Diskussion: Francis Bacon, Christopher Marlowe und Edward de Vere. Shapiro geht nur auf zwei dieser Kandidaten ausführlich ein, während er den Fall Marlowe, der allerdings auch auf extrem spekulativen Grundlagen beruht, für erledigt zu halten scheint. Auch Bacon behandelt er eher als historische Position, da mit der Spekulation um dessen Autorenschaft der erste ernsthafte und umfangreiche Versuch unternommen wurde, den Stratforder Kaufmann durch eine Person zu ersetzen, die den modernen Ansprüchen an einen Autor besser gerecht wird. Die einzige noch lebendige Theorie aber dürfte die um Edward de Vere sein, wenn auch hier einige der extremeren Spielarten, in denen Edward de Vere kurz davor ist, als sein eigener Großvater aufzutreten, ebenfalls als weitgehend erledigt angesehen werden dürfen.
Shapiros Darstellung verfolgt zwei Ziele: Zum einen möchte er die historische Entwicklung der alternativen Verfassertheorien darstellen und auf diese Weise verständlich machen, warum Menschen überhaupt auf den Gedanken verfallen, sich einen besseren Autor für Shakespeare Stücke zu wünschen. Zum anderen führt er in einem eigenen Kapitel eine ganze Reihe von Argumenten auf, die insbesondere Edward de Vere als Verfasser ausschließen. In einem Epilog findet sich zudem eine Kritik an der allgemein weitgehend spekulativen biographischen Tradition, in der auch die meisten Biographien des Stratforders stehen. Das seit dem 18. Jahrhundert Stufe für Stufe entstandene Bild vom Zusammenhang zwischen der Biographie und dem Werk eines Autors wird zu Recht für die Elizabethanische Zeit als nicht zielführend zurückgewiesen.
Das Buch beweist nicht in einem positivistischen Sinne – und will dies auch gar nicht –, dass der Stratforder William Shakespeare der Autor der ihm zugeschriebenen Werke ist. Es zeigt aber einleuchtend auf, dass zum einen die vorgeschlagenen Alternativen noch sehr viel unwahrscheinlichere Kandidaten sind, und dass es zum anderen zwischen etwa 1592 und 1610 einen wohlbekannten Londoner Schauspieler und Stückeschreiber gegeben hat, dem ein gebildeter Teil des Publikums und zahlreiche Kollegen die unter dem Namen Shakespeare veröffentlichten Stücke zugeschrieben und zugetraut haben und von dem zumindest einige dieser Kollegen wussten, dass er aus Stratford stammt. Man kann sich nun dagegen wehren wollen und all dies auch weiterhin einer Art von Verschwörung zuschreiben, allerdings muss man dabei wohl zugleich eingestehen, dass es auch nicht ein einziges authentisches, auf eine solche Verschwörung hinweisendes Dokument gibt.
Am Ende bleibt es dabei: Wir verstehen es nicht, aber es scheint tatsächlich so zu sein, wie es zu sein scheint.
James Shapiro: Contested Will. Who wrote Shakespearte? London: Faber and Faber, 2010. Pappband, Fadenheftung, 367 Seiten. Derzeit wohl nur im Taschenbuch für ca. 13,– €.