Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer

Seit Ende der 50er Jahre hat Hans Blumenberg seine Metaphorologie sowohl durch systematische Sammlung von Paradigmen als auch theoretisch entwickelt. Allerdings muss ihm bald vor dem sich abzeichnenden Umfang des Projektes gegraut haben, denn Ende der 70er Jahre plant er zusammen mit dem Suhrkamp Verlag, die Metaphorologie zuerst peu à peu in einzelnen Taschenbüchern erscheinen zu lassen und diese Teile erst nachträglich zusammenzuführen.

So erschien 1979 als erster Teil dieses Projekts das Bändchen »Schiffbruch mit Zuschauer«, das die von Lukrez geprägte Metapher von dem am sicheren Land stehenden stoischen Betrachter des Schiffbruchs der anderen im Meer der Welt durch diverse Wandlungen hindurch bis ins 20. Jahrhundert hinein verfolgt. Ergänzt wird der historische Gang um einen Essay, der so etwas wie die Grundlegung einer Metaphorologie als Theorie der Unbegrifflichkeit liefert. Allein die verständige Lektüre dieser knapp 20 Seiten erspart einem die ganzer Kompendien.

So wird wiederum Wittgenstein die Philosophie als beruhend auf der Bevorzugung von Gleichnissen, ohne zureichende Begründung für deren Wahl, beschreiben. Auf der Bevorzugung gewisser Gleichnisse beruhe überhaupt ein viel größerer Teil der Gegensätze unter Menschen als es den Anschein habe.

Was den eigentlich historischen Gang der Entwicklung der Metapher angeht, so erweist sie sich als überaus geschmeidig und anpassungsfähig. Es wundert nicht, dass im 19. Jahrhundert der Glaube, es gäbe einen sicheren Standpunkt auf Land, von dem aus sich das katastrophische Geschehen in der Welt kontemplieren lasse, aufgegeben wird: Heine und Börne fahren gerade noch auf zwei Schiffen aneinander vorbei, und im 20. Jahrhundert bleibt gar nurmehr der Schiffbrüchige übrig, der sich nach dem Untergang an eine Planke klammert. Allerdings hegt er noch die Hoffnung, aus den umherschwimmenden Trümmern ein Floß, wenn nicht gar ein neues Schiff zimmern zu können. Mit welchem Werkzeug, fragt man sich unwillkürlich.

»Schiffbruch mit Zuschauer« war kein Erfolg, weswegen Blumenberg den Plan einer systematischen Fortsetzung aufatmend fallen lassen konnte. Er hat dann den gesammelten Stoff zu zahlreichen Zeitungsbeiträgen verarbeitet, die Suhrkamp wiederum zu ganz wundervollen Bändchen zusammengestellt hat.

Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Bibliothek Suhrkamp 1263. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 22000. Pappband, Fadenheftung, Lesebändchen, 106 Seiten. 12,90 €.

(Eine kürzere Fassung dieser Besprechung ist auch in
der Reihe 100 Seiten beim Umblätterer erschienen.)

Margot Berghaus: Luhmann leicht gemacht

Berghaus_LuhmannWährend meines Philosophie-Studiums in den 80er Jahren war Luhmanns Systemtheorie gerade der neuste Schrei. Ich war nun zu der Zeit mehr an antiker Philosophie, Kant, Hegel und Wittgenstein interessiert und auch im Nebenbei kam Luhmann nicht vor. Doch neugierig bin ich immer geblieben. Und da der Ort des Verbrechens mich nicht loszulassen scheint, kehrt immer wieder einmal das alte Interesse an reiner Theorie zurück. Zum Einstieg habe ich Margot Berghaus durchweg gelobte Einführung angelesen und kann mich der allgemeinen Meinung nur anschließen. Die Illustrationen der Autorin sind zwar etwas zu niedlich und in einem strengen Sinne sicherlich überflüssig, aber sonst ist alles an dieser Einführung gelungen. Sie ist geeignet für absolute Einsteiger, die es wahrscheinlich sogar etwas leichter haben werden, als philosophisch oder anderweitig kommunikationstheoretisch vorgebildete Leser, da Luhmann zentrale Begriffe der Kommunikation doch recht ungewöhnlich fasst. Berghaus zielt auf Studierende der Soziologie und Kommunikationswissenschaften (ihr wichtigstes praktisches Beispiel sind die Massenmedien). Ich selbst habe vergeblich nach einer Einführung aus philosophischer Sicht gesucht und kann auch nicht einschätzen, welche Rolle Luhmanns Systemtheorie innerhalb der aktuellen Philosophie überhaupt spielt.

Für mich persönlich war die Einführung nach etwa einem Drittel dann doch etwas zu grundlegend, und ich werde es in absehbarer Zeit mit Luhmanns eigener Einführungsvorlesung zur Systemtheorie probieren. Von da aus werde ich versuchen, mir die Theorie langsam von den Rändern her anzueignen.

Margot Berghaus: Luhmann leicht gemacht. Eine Einführung in die Systemtheorie. UTB 2360. Köln u.a.: Böhlau 32011. Broschur, 314 Seiten. 19,90 €.

Philipp Blom: Böse Philosophen

[…] an unsere eigene Faulheit, an Gleichgültigkeit und intellektuelle Wirrheit.

978-3-446-23648-6Populär und bewusst parteiisch geschriebener biographischer Essay um einige Figuren der Hauptphase der französischen Aufklärung. Das Hauptgewicht der Darstellung liegt auf Denis Diderot, als eigentliches Zentrum der Darstellung benutzt Blom aber den Salon des Baron Holbach, der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts einer der wichtigen Orte der intellektuellen Auseinandersetzung in Paris darstellte. Leider erfährt der Leser zu wenig über die allgemeine Pariser Salonkultur dieser Zeit, so dass er sich kein Bild davon machen kann, wie typisch bzw. außergewöhnlich der Salon der Holbachs war. Aber das ist noch das geringste Manko des Buches.

Für ein Buch, das über Philosophen und ihre Ideen berichtet, ist es immer schon ein schlechtes Zeichen, wenn sein Autor die Bedeutung grundlegender philosophischer Termini offenbar nicht kennt: So bedeuten transzendent und transzendental sehr unterschiedliches und können nur in ganz seltenen Fällen synonym verwendet werden. Auch sonst bleibt Bloms Darstellung der philosophischen Inhalte meist völlig unkritisch, entweder getragen von einem begeisterten Pathos oder von scharfer Ablehnung, je nachdem wie es dem Geschmack des Autor gerade entspricht. So ist Bloms Kritik der Positionen Rosseaus, so richtig sie in der Sache auch sein mag, stets durchsetzt mit mokanten und polemischen Bemerkungen, die auf die psychische Verfassung oder die persönliche Lebensführung Rousseaus zielen:

Rousseau war fasziniert von der kindlichen Entwicklung (solange sie sich nicht in seinem Haus vollzog, möchte man hinzufügen)

Nein, man möchte es nicht nur hinzufügen, man fügt es hinzu, und das einzig und allein in polemischer Absicht. Im Gegensatz dazu ist alles, was Diderot tut, wohlgetan. Während Rousseaus Gesellschaftsutopie wegen ihrer diktatorischen Konsequenzen scharf angeprangert wird, werden vergleichbare Ansichten Holbachs und Diderots verharmlosend kommentiert: Befürwortung der Todesstrafe durch Diderot? Naja, er hatte eben kein echtes Interesse an der Frage, und ansonsten hat er auch bedauert, dass so etwas notwendig sei. Und sowieso seien 300 Hinrichtungen pro Jahr in Frankreich ja auch keine so bedeutende Sache gewesen. Immerhin wird Friedrich Melchior Grimms These, dass »das Recht des Stärkeren […] die einzige Legitimität« schaffe, zitiert, bleibt aber unkommentiert stehen, anstatt als gesellschaftspolitische Konsequenz jener Ethik der Lust begriffen und kritisiert zu werden, die Blom zuvor seitenweise in den höchsten Tönen als Alternative zur christlichen Tugendlehre gepriesen hat.

Das Buch scheitert letztlich an den atheistischen und antichristlichen Affekten des Autors. Anstatt die historische Lage Mitte des 18. Jahrhunderts als die wichtige Stufe in der Entwicklung der modernen ethischen Theorien zu begreifen, die sie darstellt, versucht er eine einzelne, höchst disparate philosophische Position dieser Zeit zu verabsolutieren. Dabei legt er höchsten Wert auf den Atheismus der Vertreter dieser Position; selbst David Hume, dem er einen gewissen Rang im philosophiegeschichtlichen Prozess nicht abstreiten kann, muss leider abgewertet werden, da er nur Agnostiker gewesen ist und den Atheismus aus erkenntnistheoretischen Bedenken heraus ablehnte. Es ist dann kein Wunder, dass das, was Blom über die kantische Ethik schreibt, blanker Unfug ist und er über Kant und Hegel ansonsten nur anzumerken weiß, sie seien »wie Heilige verehrt« worden. Weder findet sich eine Auseinandersetzung mit der Lessingschen Geschichtsauffassung – einer der wichtigsten deutschen Reaktionen auf die Ideen der Aufklärung – noch mit der Kantischen Bestimmung der Pflicht. Stattdessen wird dem Leser nahegelegt, eines der pornographischen Romänchen Diderots für eine emanzipatorische Kampfschrift

gegen die Verschwendung der Leben der hinter Klostermauern sequestrierten Frauen, gegen die unnatürliche und »nutzlose Tugend« des Zölibats, gegen unterdrückte Leidenschaft und kirchliches Dogma

halten zu sollen. Diderot hätte mit der Leidenschaft der von ihm imaginierten Nonnen sicherlich besseres anzufangen gewusst.

Auch geistesgeschichtlich bleibt Bloms Darstellung naiv: So scheint ihm jeglicher Sinn dafür zu fehlen, dass die im 18. Jahrhundert zum paradigmatischen Referenzbegriff werdende Natur nur eine Metapher mehr ist, aus der die sich emanzipierende bürgerliche Kultur ihre Berechtigung, ja, Überlegenheit abzuleiten versucht. Es handelt sich bei der Natur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts eben nicht um einen objektiven Gegenstand empirischer Forschung, sondern um ein inhaltlich höchst flexibles metaphysisches Konzept, das dazu dient, das propagierte neue Menschenbild als unverfälscht und echt auszuzeichnen. In diesem Sinne hätte auch der Terminus Naturwissenschaft bzw. Wissenschaft historisch eingeordnet werden müssen, anstatt stillschweigend so zu tun, als bestehe zwischen unserem Konzept empirischer Forschung und dem des 18. Jahrhunderts eine ungebrochene Kontinuität.

Und nicht zuletzt muss Blom darin widersprochen werden, das Erbe dessen, was er radikale Aufklärung nennt, sei vergessen worden. Das eben ist es nicht, sondern es ist im Prozess der historischen Entwicklung zur Moderne aufgehoben worden. Dass es in seiner kompromisslosen Idealität und Radikalität für die heraufziehende bürgerliche Gesellschaft unbrauchbar war, erkennt sogar Blom an. Und der Glaube, dass die von Blom angepriesene Ethik der Lust praktisch überhaupt geeignet sei, eine funktionierende Gesellschaft zu begründen, setzt ein so illusionäres Menschenbild voraus, dass selbst Blom an jenen Stellen Bedenken zu hegen scheint, an denen sich seine radikalen Aufklärer in allzumenschliche Affären und Streitigkeiten verwickeln.

So bleibt Bloms Darstellung bei aller Detailkenntnis leider polemisch und geschmäcklerisch und kann außer für jene, die darin bestätigt finden wollen, was sie ohnehin schon immer denken, nicht empfohlen werden.

Philipp Blom: Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. München: Hanser, 2011. Pappband, Lesebändchen, 400 Seiten. 24,90 €.

Hans Blumenberg: Die Verführbarkeit des Philosophen

Es gibt nicht viele große, entscheidende Schritte der Philosophie, trotz des Aufwandes und Windes, den sie durch die Geschichte hindurch gemacht hat.

978-3-518-29355-3Eine der zahlreichen Editionen aus dem Nachlass von Hans Blumenberg. Dort fand auch eine Mappe mit dem Titel des Buches, der auch der Titel eines der darin gesammelten Essays ist. Thematisch hängt die Sammlung nur locker zusammen: Es geht um Gefälligkeit von Philosophen und Philosophien, um Martin Heidegger und seine nationalsozialistischen Verstrickungen, es geht aber auch um Sigmund Freud – der Essay »Dies ist in Wirklichkeit nur jenes« enthält eine der knappsten und präzisesten Analysen der Freudschen Psychoanalyse, die ich kenne – und Arthur Schnitzler, um Hegel und das Holstentor.

Insgesamt wie immer bei Blumenberg eine sehr anregende Lektüre, die in diesem Fall zwischen einem gehobenen feuilletonistischen und maßvollen philosophischen Niveau pendelt. Eine anspruchsvolle Lektüre für den Nachttisch.

Hans Blumenberg: Die Verführbarkeit des Philosophen. stw 1755. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2005. Broschur, 208 Seiten. 10,– €.

Michael Buselmeier: Wunsiedel

Es war ein schwerer Fehler gewesen, dem Lockruf des alten Intendanten zu folgen und nach Wunsiedel zu fahren, eine fatale Dummheit, die aber nun nicht mehr rückgängig zu machen war.

978-3-88423-362-7Wunsiedel ist der Ort, an dem Jean Paul und der Mörder Carl Sand geboren wurden und Rudolf Heß begraben lag. Es ist auch der Ort, an den der ehemalige Schauspieler  Moritz Schoppe nach 44 Jahren zurückkehrt. 1964 hatte er in Wunsiedel bei den Luisenburg-Festspielen seine Karriere als Schauspieler begonnen, es aber nur schlecht ertragen, dort nicht die intellektuell herausragende Position zugewiesen zu bekommen, derer er sich würdig dünkt. Inzwischen ist er Schriftsteller geworden, eine Profession, die es ihm erlaubt, ausgiebig auf die alten Kollegen und deren Geistesferne zu schimpfen. Dass er dies im Ton Thomas Bernhards versucht, soll wohl der Sache eine ironische Distanz verleihen, tut es aber nicht, sondern bleibt nur eine der Stilübungen, von denen der Roman voll ist.

Neben der Enttäuschung des jungen Schauspielers, nicht unmittelbar als Genie erkannt zu werden, plagt ihn das Heimweh – er vermisst besonders seine ihn allein erzogen habende Mutter – und er wird von seiner Freundin Ulla, einer Neurotikerin aus reichem Elternhaus, per Briefpost verlassen. Während der Erzähler einerseits behauptet, darüber verzweifelt zu sein, unternimmt er andererseits mit einem Kollegen Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der Gegend. Gegen Ende verliert der Roman dann auch noch an formaler Geschlossenheit und der Erzähler erzählt noch rasch ein paar Träume und was ihm sonst noch so einfällt.

Ganz nett sind die Naturbeschreibungen. An einer Stelle gerät der Autor sogar in Versuchung, einen romantischen Geist auftreten zu lassen, aber er traut sich oder auch dem Leser dann doch nicht und plaudert alles aufs Platteste aus. Kein wirklich schlechtes Buch, aber eben auch nicht gelungen. Es wirkt wie ein Produkt aus einer Creative-Writing-Klasse: Der Autor hat gut aufgepasst und weiß nun wie es geht; er hat viel recherchiert und sich einen spannungsreichen Charakter ausgedacht; er schreibt, was er erlebt hat, und mit einer biegsamen Feder und vermag zahlreiche Töne zu treffen, und dennoch fühlt man Absicht und man ist verstimmt.

Michael Buselmeier: Wunsiedel. Theaterroman. Heidelberg: Wunderhorn, 2011. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, 159 Seiten. 18,90 €.

Hans Blumenberg: Löwen

Ein Löwe, wie dürfte es anders sein, ist so gleich wie der andere, und wenn es schon einmal Christen zu fressen gegeben hatte, dann eben auch für alle.

978-3-518-22454-0Wie bereits gesagt, hat Hans Blumenberg zahlreiche kurze Essays für Tageszeitungen geschrieben, die unter anderem auch in der Bibliothek Suhrkamp in einige hübschen Sammelbänden gedruckt worden sind. Angeregt durch die Lektüre von Sibylle Lewitscharoffs »Blumenberg« habe ich natürlich zu »Löwen« gegriffen. Das Bändchen umfasst, wie der Titel schon andeutet, eine Auswahl von Texten, in denen mehr oder weniger zentral jeweils von Löwen bzw. einem Löwen die Rede ist. Blumenbergs früheste Löwen, wenigstens der biographischen Chronologie nach, dürften jene beiden Lübecker Löwen gewesen sein, zwischen denen hindurch schon Tonio Kröger das »erste Haus am Platz« in seiner Heimatstadt betreten hatte und die Hans Blumenberg und seine Schulkameraden zu reiten pflegten, bis sie der Portier des Hotels einmal mehr davon jagte.

Die Themen sind breit gestreut und reichen von Reflexionen über biblische Stoffe und Legenden über philosophische Miniaturen und literarische Anmerkungen bis hin zu Anekdoten und Zeitgeschichtlichem. Manchmal steht der Löwe im Zentrum, manchmal schleicht er sich gerade noch am Rande in den Essay hinein. Eine schöne kleine Sammlung, die man ruhig peu à peu lesen sollte, und die, wie fast alle kurzen Texte von Hans Blumenberg, neugierig auf mehr macht.

Hans Blumenberg: Löwen. Bibliothek Suhrkamp 1454. Berlin: Suhrkamp, 2010. Pappband, Lesebändchen, 130 Seiten. 12,80 €.

Sibylle Lewitscharoff: Blumenberg

Gerhard war ein lieber, kluger Kerl, aber sie brauchte einen Mann, der sie mit Stumpf und Stiel ausrottete.

978-3-518-42244-1Beginnen wir mit dem Positiven: Natürlich ist es verdienstvoll, wenn eine der bekannteren jungen Autorinnen einen Roman einem der unbekannteren deutschen Philosophen widmet. Hans Blumenberg (1920–1996) ist eine wirkliche Berühmtheit als deutscher Philosoph, wie sie etwa Jürgen Habermas oder Hans Georg Gadamer erlangt haben (an Darsteller wie Peter Sloterdijk oder Rüdiger Safranski wollen wir hier gar nicht erst denken), erspart geblieben. Dazu war Hans Blumenbergs anthropologisches Denken wohl nicht recht geeignet, da sich aus seiner Position nur schlecht handfeste und eingängige gesellschaftliche Thesen ableiten ließen. Überhaupt behindert Blumenbergs tiefes Misstrauen gegen alle starken systematischen Zugriffe auf die Welt eine schlagwortartige Aufbereitung seines Denken, die ja in den meisten Fällen die Grundlage einer breiteren Popularisierung einer Philosophie bildet. Wer hat nicht schon alles vom Ding an sich, dem Weltgeist, der Dialektik der Aufklärung oder der Diskurs-Ethik geschwatzt, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, worum es dabei eigentlich geht.

Auf der anderen Seite handelt es sich bei Hans Blumenberg zugleich um einen der zugänglichsten deutschsprachigen Philosophen des 20. Jahrhunderts, da man bei ihm eine sehr niedrige Einstiegsschwelle zum Werk findet: Blumenberg hat zahlreiche kurze Texte für Tageszeitungen verfasst, sehr oft Miniaturen, die wenig Vorwissen und nahezu keine philosophische Vorbildung voraussetzen. Der Suhrkamp Verlag hat eine reiche Auswahl dieser Texte in der Bibliothek Suhrkamp wieder abgedruckt, die eine beinahe unverbindliche Bekanntschaft mit diesem originellen Denker ermöglichen. (Ich werde hier zeitgleich mit dieser Besprechung eine des Bändchens »Löwen« veröffentlichen.)

Lewitscharoffs Erzählung beginnt im Jahr 1982, also nur wenige Jahre bevor Hans Blumenberg emeritiert. Zu Anfang entdeckt Blumenberg nächtens in seinem Arbeitszimmer einen Löwen, der sich allerdings nicht weiter um ihn kümmert. Auch am nächsten Tag erscheint der Löwe bei einer Vorlesung, doch scheint ihn außer Blumenberg keiner wahrzunehmen. Als Blumenberg eines Tages einen auf den Tod kranken Freund besucht und ihn der Löwe dabei begleitet, trifft er auf eine Nonne, die den Löwen ebenfalls sehen kann und mit Blumenberg einige lobende Worte über ihn wechselt. Später sieht Blumenberg den Löwen wieder in seinem Arbeitszimmer. Er wagt es aber nicht, mit einem befreundeten Journalisten über die Erscheinung des Löwen zu sprechen. Noch später stirbt Blumenberg.

Blumenberg hat naturgemäß auch Studenten. Isa ist in Blumenberg verliebt und sitzt bei allen seinen Vorlesungen in der ersten Reihe. Sie hat eine Liebelei mit Gerhard. Isa springt von einer Brücke vor einen Laster. Keiner versteht warum; auch der Leser nicht. Gerhard wird Philosophie-Professor und stirbt an einem Schlaganfall. Wenigstens da kann man sich für einen Moment lang einbilden, man verstehe warum. Richard ist Gerhards Freund und macht eine kleine Erbschaft, die es ihm erlaubt, in Südamerika ermordet zu werden. Hansi ist niemandes Freund und schreibt Gedichte, die sich reimen und die er in Gaststätten vorträgt. Er schnappt über und bricht, als man ihn abführt, tot zusammen. Nachdem alle tot sind, treffen sie sich in einer Höhle (vielleicht sogar der platonischen?) wieder und die Autorin raunt noch ein paar weitere Seiten zusammen, bevor das Buch dann endlich aus ist.

Ich gebe zu, dass meine Zusammenfassung etwas knapp geraten ist. Immerhin erfährt der nicht eingeschlafene Leser noch, dass das Ehepaar Blumenberg mit einem befreundeten Ehepaar und deren Mercedes in Ägypten war. Und dass Blumenberg gern Auto fährt. Wer aber hofft, auch nur Rudimentäres über Blumenbergs Philosophie zu erfahren oder mehr als zufällige Fragmente seiner Biographie, der wird sich enttäuscht finden. Am Ende weiß man fast mehr vom Löwen als über die Figuren, von Hans Blumenberg ganz zu schweigen.

Kollege Mangold vermutet, das Buch berge ein Geheimnis, das es nicht preisgebe. Ich vermute, die Autorin hat nicht so recht herausgefunden, was sie denn eigentlich erzählen will und sich ins Raunen gerettet; wenn sie es wenigstens noch in gutem Deutsch getan hätte. Ganz am Ende des Buchs bittet die Autorin um »Nachsicht«; verbuche ich die 21,90 € also unter Milde Gaben.

Sibylle Lewitscharoff: Blumenberg. Berlin: Suhrkamp, 2011. Bedruckter Pappband, 221 Seiten. 21,90 €.

Allen Lesern ins Stammbuch (45)

Nehmt einige Bogen Papier und schreibt drei Tage hintereinander ohne Falsch und Heuchelei alles nieder, was euch durch den Kopf geht. Schreibt, was ihr denkt von euch selbst, von euern Weibern, von dem Türkenkrieg, von Goethe, von Fonks Kriminalprozeß, vom Jüngsten Gerichte, von euern Vorgesetzten – und nach Verlauf der drei Tage werdet ihr vor Verwunderung, was ihr für neue, unerhörte Gedanken gehabt, ganz außer euch kommen. Das ist die Kunst, in drei Tagen ein Originalschriftsteller zu werden!

Ludwig Börne
Die Kunst, in drei Tagen
Originalschriftsteller zu werden

Alan Bennett: Miss Fozzard findet ihre Füße

Als er endlich wieder herunterkommt, sagt er: »Sie halten das Haus aber in Ordnung.« »Ich war mal Lehrerin«, sage ich. »Und was haben Sie unterrichtet?«, fragt er. »Kinder«, sage ich. »Haben Sie welche?«, fragt er. »Sieht es hier so aus?«, frage ich.

978-3-8031-1276-7Fortsetzung des Bandes Ein Kräcker unterm Kanapee,die beide im Original des Titel »Talking Heads«, also Redende Köpfe tragen. Auch diesmal handelt es sich um Monologe, hier sieben an der Zahl, darunter auch das erste Stück »Eine Frau ohne Bedeutung«, mit dem Bennett die Form begründet hat. Geschrieben wurden alle Talking Heads für die BBC. Dieses Mal sind die Monologisierenden:

  • eine Antiquitätenhändlerin, die das Geschäft ihres Lebens verpasst,
  • eine Verkäuferin, die mit ihren Füßen einen lukrativen Nebenerwerb findet,
  • ein Kinderschänder,
  • die reinliche Frau eines Serienmörders,
  • die botanisierende Gattin eines Voyeurs,
  • eine an Alzheimer Erkrankte und
  • »Eine Frau ohne Bedeutung«.

Auch in diesem Band sind die Monologe geprägt von stiller Tragik und Selbstvergessenheit der Hauptfiguren und beziehen ihre Kraft aus der unglaublichen Verblendung der Protagonistinnen, von der der Leser zugleich begreift, dass es gerade so in den Köpfen der meisten zugehen muss, damit ihnen ihre Existenz überhaupt erträglich ist.

Alan Bennett: Miss Fozzard findet ihre Füße. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Berlin: Wagenbach, 2011. Leinen, Fadenheftung, 138 Seiten. 15,90 €.