Bill Bryson: At Home

Victorian rigidities were such that ladies were not even allowed to blow out candles in mixed company, as that required them to pucker their lips suggestively.

978-0-552-77753-3Nach seinem Bestseller »Eine kurze Geschichte von fast allem« liefert Bryson nun ein weiteres umfangreiches Sachbuch, das sich im Wesentlichen als eine Kulturgeschichte des Alltags im 19. Jahrhundert liest. Sein Titel verdankt sich der Grundidee, das Buch durch einen Gang durch sein eigenes Haus zu strukturieren. Bryson lebt in einem Pfarrhaus in Norfolk, das Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Anhand der Baupläne und der tatsächlich existierenden Räumlichkeiten erzählt Bryson eine breit gefächerte Kulturgeschichte, deren Fokus auf den Entwicklungen und Erfindungen im England des 19. Jahrhunderts liegt, sich aber bei einzelnen Themen auch bis in die Antike zurückbegibt.

Wie schon im Vorgänger erweist sich Bryson nicht nur als ein begabter Erzähler, der ein exzellentes Gespür dafür hat, was erzählt werden muss und was fortgelassen werden kann, sondern auch als ein brillanter Rechercheur und Organisator des Materials. Obwohl das Buch zu Abschweifungen neigt, die sich oft nur mehr sehr locker an das vom gerade besprochenen Raum vorgegebene Thema anschließen, ist die Lektüre stets unterhaltsam und kurzweilig, von den unzähligen kuriosen Informationen, die dabei abfallen, ganz zu schweigen. Ein gutes, erschließendes Register rundet die englische Ausgabe ab; ich will für die deutschen Leser hoffen, dass auch die Übersetzung mit einem ausgestattet sein wird.

Bill Bryson: At Home. A Short History of Private Life. London: Black Swan, 2011. Broschur, 700 Seiten. 9,– €.

Allen Lesern ins Stammbuch (43)

Fast durchweg heißt es, die Gelehrten ergingen sich in Paradoxien, wenn sie, betroffen ob eines historischen Irrtums, diesen zu berichtigen suchen; allein für jeden, der sich gründlich mit der neueren Geschichte befaßt, steht fest, daß die Historiker privilegierte Lügner sind, die ihre Federn populären Anschauungen leihen, gerade wie heutzutage die Mehrzahl der Zeitungen nur die Meinung ihrer Leser wiedergibt.

Honoré de Balzac
Katharina von Medici

Aus meinem Poesiealbum (XI) – Computer

now it’s computers and more computers
and soon everybody will have one,
3-year olds will have computers
and everybody will know everything
about everybody else
long before they meet them
and so they won’t want to meet them.
nobody will want to meet anybody
else ever again
and everybody will be
a recluse
like i am now.

Charles Bukowski

Allen Lesern ins Stammbuch (41)

Mag dem indeß sein, wie ihm wolle, so bleibt es doch heut zu Tage mit der Dichterei überall bedenklich, weil es so wenig Verrückte mehr giebt, und ein solcher Überfluß an Vernünftigen vorhanden ist, daß sie aus ihren eigenen Mitteln alle Fächer und sogar die Poesie besetzen können. Ein rein Toller, wie ich, findet unter solchen Umständen kein Unterkommen. Ich gehe deshalb auch nur jetzt blos noch um die Poesie herum, das heißt, ich bin ein Humorist worden, wozu ich als Nachtwächter die meiste Muße habe. –

»Nachtwachen« von Bonaventura

Aus meinem Poesiealbum (X) – Frühling

Beckett’s life and work taught others the lesson he said he learned from Joyce: the meaning of artistic integrity. His vision never yielded. Even on a sunny day in London, as he strolled through a park in evident pleasure, when a friend remarked that it was a day that made one glad to be alive, Beckett turned and said, “I wouldn’t go that far.”

William A. Henry III

Patrick Bahners: Die Panikmacher

978-3-406-61645-7Die in diesen Zeiten der religiösen Hysterie, von denen ich noch vor 15 Jahren behauptet hätte, dass sie nie wieder zurückkehren würden, notwendige Stimme der Vernunft. Bahners beschäftigt sich sachlich, manchmal zu sachlich, mit den Herr- und Frauschaften Sarrazin, Kelek, Broder, Schwarzer, Irmer und was der Gestalten mehr sind. Ein prickelndes Buch ist dabei nicht gerade herausgekommen, denn die bekämpften Dummheiten wiederholen sich rasch und die Argumentationslinien und –fronten sind relativ schnell klar. Ich selbst hätte mir gewünscht, dass Bahners ein stärkeres Gewicht auf die historische Genese der jetzigen Situation legen würde und sich nicht als letzte Ressource zumeist auf das Grundgesetz zurückzieht. Warum, frage ich mich, reden in der jetzigen Situation nur so wenige über Lessing und die deutsche Aufklärung? Und dann sind auch noch die Hälfte davon konservative Katholiken. Ist die Ringparabel und das, was sie meint, tatsächlich so spurlos an all den deutschen Abiturienten vorbeigerauscht? Überlassen wir den Anspruch, in der Tradition der Aufklärung zu stehen, tatsächlich so Nasen wie Matthias Matussek?

Es ist nur zu hoffen, dass Bahners Buch wenigstens halb so viele Leser findet, wie Sarrazins Buch Käufer hatte. Es ist aber zu befürchten, dass die Stammtisch-Schwätzer dieses Thema noch für lange Zeit besetzt halten werden.

Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift. München: C. H. Beck, 2011. Pappband, 320 Seiten. 19,95 €

Aus meinem Poesiealbum (VIII)

»Verrätst du mich aber«, sagte Neary, »so wirst du den Weg Hippasos’ gehen.«
»Des Akusmatischen, nehme ich an«, sagte Wylie. »Seine Strafe fällt mir gerade nicht ein.«
»In einem Pfuhl ertränkt«, sagte Neary, »weil er ausgeschwatzt hatte, daß Seite und Diagonale inkommensurabel sind.«
»So gehen alle Schwätzer zugrunde«, sagte Wylie.

Samuel Beckett
Murphy

Allen Lesern ins Stammbuch (35)

Dann wird mit einem Mal der Staub auf den Büchern sichtbar. Sie sind alt, stockfleckig, riechen moderig, sind eines vom anderen abgeschrieben, weil sie die Lust genommen haben, in anderem als in Büchern nachzusehen. Die Luft in Bibliotheken ist stickig, der Überdruß, in ihr zu atmen, ein Leben zu verbringen, ist unausbleiblich. Bücher machen kurzsichtig und lahmärschig, ersetzen, was nicht ersetzbar ist. So entsteht aus Stickluft, Halbdunkel, Staub und Kurzsichtigkeit, aus der Unterwerfung unter die Surrogatfunktion, die Bücherwelt als Unnatur. Und gegen Unnatur sind allemal Jugendbewegungen gerichtet. Bis dann die Natur wieder in deren Büchern steht.

Hans Blumenberg
Die Lesbarkeit der Welt

Aus meinem Poesiealbum (V)

Weltverbesserung

»Zu ungleich ist’s in dieser Welt,
Das Kleine muß vom Großen leiden –
Wie wäre alles wohlbestellt,
Wenn Gleichheit herrschte zwischen beiden!«

So klingt das Klagelied der Tadler,
Sie finden alles schlecht umher,
Die winzige Mücke schmäht den Adler,
Weil sie nicht fliegen kann wie er.
Der Riese soll wie Zwerge klein,
Der Zwerg so groß wie Riesen sein.

Verbessern wir der Schöpfung Fehler:
Hinfort soll Gleichheit sein auf Erden,
Die Berge sollen tief wie Täler,
Die Täler hoch wie Berge werden.

Was groß ist, soll sich nun verkleinern,
Besonders sich verallgemeinern,
Die Klugheit soll der Dummheit weichen,
Der Diamant dem Kiesel gleichen,

Und wenn das alles ist geschehn,
Ruft mich – das Wunder möcht’ ich sehn!

Friedrich von Bodenstedt

Nicholson Baker: Menschenrauch

978-3-498-00661-7Beeindruckende Sammlung von Quellen im Wesentlichen vom Ende des ersten Weltkriegs bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941. Dokumentiert werden sowohl die Bestrebungen der Kriegstreiber als auch die vergeblichen Bemühungen der Kriegsgegner, den nächsten Krieg zu verhindern bzw. so rasch wie möglich zu beenden. Neben der offiziellen Geschichte werden nahezu gleichrangig Tagebücher und Erinnerungen von Opfern dokumentiert. Einen breiten Raum nehmen auch Zitate aus zeitgenössischen Tageszeitungen ein.

Diese Fleißarbeit Bakers erzeugt ein bislang nicht dagewesenes musivisches Bild der Entwicklung zum Zweiten Weltkrieg hin und der ersten Kriegsjahre. Für Leser, die sich in dieser Zeit einigermaßen gut auskennen, bereichert die Lektüre des Buches ihren Blick auf überraschende Weise. Besonders die Aktivitäten der Pazifisten und Kriegsgegner waren wenigstens mir so präsent nicht. Auch der nicht nur in Deutschland, sondern weltweit verbreitete Antisemitismus tritt sehr deutlich hervor.

Ein wenig ist allerdings zu befürchten, dass sich Leser, die sich mit Hilfe dieses Buches erstmals mit der Epoche auseinandersetzen, ein etwas eigentümliches Bild zusammenstellen könnten. Besonders als Deutscher hegt man Zweifel, ob sich etwa zur Judenvernichtung ein historisch korrekter Eindruck ergibt, wenn pseudorationale Argumente von Antisemiten oder Nationalsozialisten scheinbar gleichrangig neben Klagen von Juden oder jüdischen Hilfsorganisationen stehen. Da die Quellen zudem im Dezember 1941 enden, wird die entsetzlichste Phase des Holocaust nach der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 ausgeblendet. Die Sammlung zeichnet von daher trotz aller dargestellten Gräuel ein schiefes Bild der deutschen Verbrechen an den Juden. Hier liegen Grenzen der auf den ersten Blick durchaus faszinierenden Methode des Buches, die Quellen weitgehend selbst sprechen zu lassen.

Nicholson Baker: Menschenrauch. Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete. Deutsch von Sabine Hedinger und Christiane Bergfeld. Reinbek: Rowohlt, 2009. Pappband, Lesebändchen, 639 Seiten. 24,90 €.