Capote am Wendepunkt

capoteWenn sich ein Film eines durch und durch literarischen Themas annimmt, so soll er auch in einem Buch-Blog besprochen werden. Bennett Miller hat im Jahr 2005 mit »Capote« einen Welterfolg gedreht, dessen überragender Hauptdarsteller 2006 nicht nur den Golden Globe, sondern auch den Oscar für sein außergewöhnliches Porträt Truman Capotes gewonnen hat. Der Film liegt jetzt auch in Deutschland als DVD vor.

Der Film konzentriert sich auf eine Phase im Leben Capotes, die letztendlich nicht nur seinen Weltruhm begründet hat, sondern auch der Anfgng von seinem Ende als Autor war. Die Geschichte beginnt im November 1959 mit der Ermordung einer vierköpfigen Familie, der Clutters, in Holcomb, Kansas. Die Täter hatten im Haus eine große Summe von Geld vermutet und wollten eigentlich nur einen Raubüberfall vornehmen, der aber eine für die Opfer tödliche Wendung nimmt. Capote, der als Autor von »Frühstück bei Tiffany« schon einen gewissen Ruhm genießt, stößt in der »New York Times« auf eine Meldung dieses ungewöhnlich grausamen Verbrechens, dessen Täter zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt sind. Er entschließt sich, für das Magazin »The New Yorker« als Reporter nach Kansas zu fahren. Er wird begleitet von seiner langjährigen Bekannten Harper Lee, die zu dieser Zeit für ihr Buch »Wer die Nachtigall stört« einen Verleger zu finden.

Die Begegnung Capotes mit den Menschen von Holcomb, den den Fall untersuchenden Beamten und schließlich auch den Tätern läßt in ihm die Idee zu einem neuen Buch entstehen, einer Mischung aus Dokumentation und Fiktion, die das Verbrechen in seiner Vorgeschichte, seiner Durchführung und seinen Folgen sowohl für die Freunde und Nachbarn der Opfer als auch für die Täter darstellt. Das Buch wird nicht nur Truman Capote zu einem weltberühmten und reichen Autor machen, die Erfahrungen, die Capote in den sechs Jahren der Auseinandersetzung mit dem Verbrechen und den Verbrechern macht, werden ihn so verändern, dass er in eine ernste Lebenskrise stürzte, von der er sich nie wieder wirklich erholen sollte.

»Capote« ist einer der Glücksfälle im Filmgeschäft, bei dem ein exzellentes Drehbuch (von Dan Futterman) auf einen inspirierten Regisseur trifft und in den Hauptrollen hervorragend besetzt werden kann. Überragend Philip Seymour Hoffman, der nicht nur das auffällige Gebaren Truman Capotes – das für deutsche Zuschauer sicherlich gewöhnungsbedürftiger ist als für die Amerikaner, die in vielen Fällen Truman Capote noch von seinen zahlreichen Fernsehauftritten in Erinnerung haben dürften – in unglaublich genauer Manier reproduziert, sondern der auch verständlich werden lässt, was an diesem Menschen so faszinierend war und weshalb so viele Menschen sich ihm anvertraut haben. Capote muss ein wirklich außergewöhnliches Individuum gewesen sein, und Hoffman gelingt es, diese Ausnahmeerscheinung lebendig werden zu lassen. Dabei liegt dem Film jede Glorifizierung seines Protagonisten fern: Capote wird auch als berechnender, eigennütziger und feiger Nutznießer des Vertrauens eines der Mörder vorgeführt; dass er sich selbst diese Rolle später sehr übel nehmen wird, deutet der Film mehr an, als er es vorführt. Die persönliche Katastrophe, die für Capote dem Ruhm folgte, bleibt im Film ausgeblendet.

Auch die anderen Rollen sind hervorragend besetzt: Catherine Keener als Nelle Harper Lee, Chris Cooper als Alvin Dewey, einer der Beamten, die den Fall untersucht haben, und nicht zuletzt Clifton Collins jr. als Perry Smith, einer der beiden Mörder, um nur einige wichtige Rollen des Films zu nennen. Ein solch harmonisches Ensemble auch bis in kleinere Rollen hinein, ist tatsächlich selten. Ein ruhiger und unaufgeregter Film, der unter die Haut geht; ein beeindruckendes und schonungsloses Autorenporträt. Wenn irgend möglich sollte man den Film im englischen Original anschauen, um die Leistung Hoffmans möglichst unverfälscht genießen zu können. Kino für Leser at it’s best!

Capote. Kanada, 2005. Sony Pictures Classic. DVD. Länge ca. 110 Minuten. Sprachen: Englisch und Deutsch. Extras: Zwei Kommentar-Tracks (Regisseur und Hauptdarsteller, Regisseur und Kameramann), eine Dokumentation und ein mehrteiliges »Making of«. Ca. 18,– €.

Aber wehe, wenn er losgelassen!

Im September 1905 veröffentlichten die »Annalen der Physik« einen Aufsatz Albert Einsteins, in dem der Zusammenhang zwischen Materie und Energie auf die handliche Formel E = mc² gebracht wird. Damit war die Idee geboren, dass Materie in irgendeiner Weise vollständig in Energie umgewandelt werden könnte und dass dabei gewaltige Mengen von Energie freigesetzt würden.

Noch bevor eine technische Anwendung dieser Idee auch nur absehbar war, erschien 1922 in der Tschechoslowakei ein utopischer Roman von Karel Čapek: »Továrna na absolutno«, auf deutsch »Das Absolutum oder die Gottesfabrik«. Čapek lässt im Jahr 1943 einen Ingenieur das Problem der Materieumwandlung lösen: Er baut eine Maschine, den Karburator, der in einem geregelten Prozess Materie vollständig in Energie überführt. Leider hat dieser Prozess einen unangenehmen und nicht vorhergesehen Nebeneffekt.

Es stellt sich nämlich heraus, dass die Pantheisten mit ihrer Theorie richtig lagen: Die Materie ist aufs Engste mit dem Göttlichem, dem Absoluten verbunden, und der Karburator, der die Materie vollständig verschwinden läßt, setzt das in ihr gebundene Absolutum frei. Freies Absolutum hat nun in der Hauptsache zwei Effekte: Es verwandelt Menschen, die ihm ausgesetzt sind, in religiöse Eiferer, und es setzt den göttlichen Drang zum Erschaffen in eine ungebremste Tätigkeit um. Das Absolutum übernimmt die Maschinen der Fabriken, in denen ein Karburator eingesetzt ist, und produziert ungebremst und in höchster Geschwindigkeit riesige Mengen aller möglichen Güter. Es lässt sich leicht denken, dass dies binnen kurzem zum Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystem führt. Parallel dazu verschenken die vom Absolutum durchtränkten Bankangestellten alles verfügbare Geld an Arme und Bedürftige – in nur wenigen Monaten ist das Chaos perfekt.

Binnen Jahresfrist bricht ein Weltkrieg aus, der bis in den Herbst 1953 andauert und 198 Millionen Todesopfer kostet.

Sehen Sie, das ist Geschichte. Ein jeder von diesen hundert Millionen kämpfender Menschlein hatte vorher seine Kindheit, seine Lieben, seine Pläne; er hatte manchmal Angst, wurde manchmal zum Helden, war aber gewöhnlich zu Tode ermattet und hätte sich gern friedlich auf dem Bette ausgestreckt; und wenn er starb, so tat er’s gewiß nicht gern. Und aus dem allen kann man nur eine Handvoll trockener Begebenheiten herausnehmen: hier und dort eine Schlacht, soundso viel Verletzte, dieses oder jenes Resultat. Und zu alldem hat dieses Resultat gar keine Entscheidung gebracht.

Zum Glück ist es das vornehmste Ziel aller kriegsführenden Parteien, feindliche Karburatoren zu zerstören. Erst als annähernd alle Karburatoren vernichtet sind, erschöpft sich der Krieg. Am Ende treffen sich die letzten 13 Krieger unter einer Birke und beschließen spontan, es nun gut sein zu lassen und heim zu gehen. Mit der Zerstörung des wahrscheinlich letzten kleinen Karburators schließt der Roman.

Das Buch könnte nach der Dürrenmattschen Regel geschrieben sein, jedes Stück habe zu zeigen, was wahrscheinlich geschieht, wenn etwas Unwahrscheinliches geschieht, und müsse dabei die schlimmstmögliche Wendung nehmen. Die Satire Čapeks hat keinen exakten Fokus, sondern spielt auf verschiedenen Ebenen den ebenso einfachen, wie weitreichenden Einfall durch, was geschähe, wenn Gott tatsächlich auf Erden wandeln würde. Dass die moderne Welt und der Mensch schlechthin dabei nicht besonders gut abschneiden, versteht sich beinahe von selbst. Keine besonders überraschende Erkenntnis, aber ein beinah prophetischer kleiner Roman.

Karel Čapek: Das Absolutum oder die Gottesfabrik. Aus d. Tschech. von Anna Auredničková. Berlin: Das Neue Berlin, 1976. 256 Seiten.

Das Buch ist derzeit nicht lieferbar.

Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne

44685324_7c3f526210Ein merkwürdig unausgeglichener Text, der den Eindruck macht, der Autor wisse eigentlich nicht genau, wovon er erzählen will. Natürlich hängen alle Stränge irgendwie miteinander zusammen, aber ob ich in einem Buch über Stevenson und seine Schatzinsel, das zudem die These vertreten möchte, dessen Schatzinsel habe bei Samoa gelegen, dann aber diese These wie viele andere lieber doch nicht vertreten mag, die Geschichte des aus »Remscheid bei Solingen« stammenden Gouverneurs von Cocos Island lesen möchte, scheint mir höchst zweifelhaft. Aber: Der Autor hat es gewußt, also ist es auch ins Buch hinein gekommen. Darüber hinaus ist das Buch sprachlich unausgewogen; einige Kapitel kommen sehr holprig daher.

Capus, Alex: Reisen im Licht der Sterne. Eine Vermutung
Knaus, 2005; ISBN 3-8135-0251-1
Gebunden
240 Seiten – 20,0 × 12,5 cm – 18,00 Eur[D]