Betrachtet man die Mehrzahl der beklagenswerthen Köpfe, welche heut zu Tage die belletristischen Recensenten spielen, und sie bloß deshalb spielen können, weil das Drucken eben so leicht geworden ist, als in einer Thee-Versammlung den Mund aufzuthun und zu schwatzen, so begreift es sich, wie diese Leute, wo sie eine Autorität sehen, derselben durch Dick und Dünn nachfolgen, wie die Esel einem vorgehaltenen Bündel von Disteln. […] Großentheils bestehen die ästhetischen Recensenten, Referenten, die romantischen Erzähler, die Dichterlinge, aus überspannten Menschen, welche dadurch zu ihren Kritiken und Productionen gelangt sind, daß sie in der Jugend echte Bildung versäumten, lieber Romane lasen als Kunst und Wissenschaft studirten, und daß sie jetzt, wo sie nirgends nütz und einheimisch sind, sorgen müssen, durch armseelige Productionen ihr bischen Brod zu verdienen. Wären unter diesem Volke nur noch Genie oder Gedanken, die Geist verriethen, man verziehe ihm die albernen und leider so oft lügenhaften Faseleien. Das Gesindel hätte denn doch den Geschmack ausbilden sollen, weil Jeder, der nicht ganz bornirt ist, das kann. Dieses geht bei einigem Fleiße. Aber man lese, man spreche die Leute, – (Gott behüte mich davor, ich habe Beispiele,) schwerlich 12 unter ihnen, die nicht nach alter Weise frech über Homer, Sophokles, Dante, Shakspeare, Schiller, Goethe ableierten, ohne die Schriftsteller selbst zu kennen, – schwerlich 6 belletristische Blätter in denen nicht jedesmal auf der 3ten Seite ein grober Schnitzer gegen Kunst oder Wissen enthalten wäre. Ein Journal über die Journale, welches deren Fehler aufzeichnete, würde dicker als manches der besten derselben. Bloß Journalliteratur ist die Wissenschaft der meisten Journalcorrespondenten, – der Leser hat in der Regel etwas Ernsthafteres zu thun, als weitläuftig ihren Fehlern und Lügen nachzuspüren, – er nimmt ihre Aussagen als ein Amusement auf Glauben an. Ein schlechtes Amusement verdirbt aber zuletzt den Geist auch.
HKA IV, S. 106 f.
Christian Dietrich Grabbe
Etwas über den Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe