Die Illusion der Klarheit kommt zustande, sagte Linda, weil der Text immer deutlicher ist als das Leben dessen, der ihn geschrieben hat. Der Text ist sogar klarer als das Leben jedes beliebigen Lesers. Darin liegt die fürchterliche Verlockung der Literatur; das Leben soll endlich dem Text folgen, es soll sich in Klarheit verwandeln.
Wilhelm Genazino
Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
schreibe einen text. jetzt
entferne sämtliche lügen.
cia rinne
Wie progressiv mein Deutschunterricht gewesen ist, begriff ich erst, als mir klar wurde, dass die Kenntnis von Gedichten Ernst Jandls oder Gerhard Rühms durchaus nicht zur Allgemeinbildung der meisten deutschen Gymnasiasten gehörte. Dass jene Gedichte, die ich unter dem Schlagwort „Konkrete Poesie“ kennengelernt hatte, eine sehr moderne Spielart der Lyrik waren, war mir klar; eine wie schmale Spalte sie bildeten dagegen nicht. Und noch später fand ich dann erst die Vorläufer, die spätestens seit der Barocklyrik existieren. Dass diese Spielart des Wortspiels überhaupt so bekannt ist, wie sie es ist, verdankt sich zu einem wesentlichen Teil auch der Sammlung Eugen Gomringers, die 1972 zum ersten Mal erschien und eine essentielle Auswahl vorstellte. Reclam hat nun im vergangenen Jahr eine erweiterte Neuauflage des Bändchens aufgelegt, die zusätzlich Gedichte von neun weiteren Autoren liefert.
konkrete poesie – das sind texte zum meditieren, zum spielen und mitspielen. sie helfen das gesicht der wörter wieder zu entdecken, im trivialen das komplexe, im komplexen das triviale.
Die Sammlung zeigt eine erstaunliche Breite an Stilen und Ansätzen, die von rein formalen Spielen über rhetorische Studien bis zu sehr direkt politischen Gedichten reicht. Natürlich kann immer nur ein sehr schmaler Ausschnitt aus dem lyrischen Werk der Autoren aufgenommen werden, aber der Band ist ein idealer Einstieg in diese Form moderner Lyrik, von dem ausgehend sich ganz eigene Welten entdecken lassen.
a short history of life
(en vers, tout calculé)
verehren
verkehren
verzehren
vermehren
vers ehren
gegen ehren
(so kann das nicht weitergehen)
cia rinne
Ergänzend hat Gomringer im Jahr 1996 den Band „visuelle poesie“ zusammengestellt, dessen Beiträge einen deutlich stärkeren optischen Einschlag haben. Wer sich den einen Band besorgt, sollte auch gleich den anderen mit bestellen.
konkrete poesie. anthologie von eugen gomringer. Erweiterte Neuausgabe. RUB 19554. Stuttgart: Reclam, 2018. Broschur, 271 Seiten. 8,80 €.
visuelle poesie. anthologie von eugen gomringer. RUB 9351. Stuttgart: Reclam, 1996. Broschur, 153 Seiten. 4,80 €.
Ein einfacher Romancier, der nichts Seriöses geschrieben hat.
Isidor, Metropolit von Petersburg
Ich bin als Leser von Biographien nicht leicht zufriedenzustellen, aber von Zeit zu Zeit fällt einem dann doch einmal ein Buch in die Hand, das man mit einem bewundernden und zufriedenen Kopfnicken beendet. Andreas Guski ist es gelungen, eine nicht nur gut lesbare, sondern auch umfassende und ausgewogene Biografie des vielleicht komplexesten russischen Klassikers des 19. Jahrhunderts zu verfassen. Seine Deutungen der einzelnen Werke sind durch die Bank solide, frei von Jargon und auch für den interessierten Laien verständlich, ohne dabei auf die Darstellung ihrer inneren Widersprüche und komplexen ideologischen Verwerfungen zu verzichten. Auch die für den Biographen normalerweise eher heiklen Themen wie etwa Dostojewskijs Antisemitismus oder die ihm von seinen Gegnern unterstellte Neigung zur Pädophilie werden unaufgeregt und ohne apologetischen Aufwand besprochen. Natürlich hat man als quasi professioneller Leser der Literatur des 19. Jahrhunderts immer an der einen und anderen Stelle Einwände, aber sie betreffen in diesem Fall immer nur Nuancen und Halbtöne.
Dostojewskij, der in Deutschland in der Hauptsache mit seinen fünf bzw. sechs letzten Romanen zur Kenntnis genommen wird, ist einer der schwierigsten Fälle unter den bedeutenden Autoren des 19. Jahrhunderts: Einerseits ein in der Wolle gefärbter russischer Nationalist, fanatischer orthodoxer Christ, Gegner der Reformation, der Moderne, des Individualismus, des Materialismus und Kapitalismus, eng verbunden mit und zugleich abgestoßen von der Romantik Westeuropas, liefert er andererseits in seinen späten Romanen eine komplexe Auseinandersetzung ohne ideologische Scheuklappen mit gerade diesen Themen immer am Fall konkreter Personen unter ganz konkreten Umständen. Immer widmet er auch den Figuren, die nach seiner Auffassung das Böse, das Übel, das Verbrechen oder die Gefährdung der Moderne repräsentieren, die gleiche Sorgfalt, denselben oder gar mehr Raum und Gedanken als jenen Heiligen, die für den christlichen Heilsweg stehen, der wenigstens die Russen aus dem Chaos der Moderne führen soll. Und all das geschieht im Rahmen von Verbrechens- und Kriminal-Erzählungen, wie sie populistischer und massenwirksamer kaum je erdacht worden sind. Er war ein übler literarischer Verführer mit den besten und zugleich dümmsten denkbaren Ab- und Ansichten.
Hinzukommt sein zerrissenes, nomadisches, von Armut, Krankheit, Überschuldung und Ungerechtigkeit geprägtes Leben, seine Verfallenheit an das Roulette, von dem er immer wieder und gegen jede bessere Einsicht seine Rettung erhofft hat, sein Kampf mit dem Schreiben – Dostojewskij ist ein gutes Beispiel für die Behauptung Thomas Manns, ein Schriftsteller sei ein Mensch, dem das Schreiben besonders schwer falle –, die zum Teil herkulische Arbeitsleistung als Redakteur usw. usf. Erst sehr spät hat sich in seinem Leben ein förderliches Equilibrium eingestellt, noch später erfolgte seine Anerkennung als dritter Großer im Bunde zusammen mit Tolstoi und Turgenew. Als er dann im 20. Jahrhundert in Russland ideologisch in Ungnade fiel, wurde er in Westeuropa erst richtig entdeckt, auch wenn er hier bis heute als schwierige Lektüre gilt.
Andreas Guski eröffnet mit seiner Biographie einen exzellenten Zugang zu Autor und Werk, den alle Interessierten und Neugierigen nutzen sollten.
Andreas Guski: Dostojewskij. Eine Biographie. München: C. H. Beck, 2018. Pappband, Lesebändchen, 460 Seiten. 28,– €.
Auch in diesem Jahr waren es in der Hauptsache Übersetzungen, die bei der Lektüre als besonders gut oder schlecht herausragten. Als auffallend negativ müssen verzeichnet werden:
Mark Greengrass: Das verlorene Paradies – das Buch selbst ist gut und informativ, wenn auch im formalen Aufbau gewöhnungsbedürftig. Die Übersetzung von Michael Haupt dagegen ist geschwätzig und über das verzeihliche Maß hinaus unpräzise.
Bernard Shaw: Pygmalion – hier ist bereits das Buch selbst eher ärgerlich. Shaw, der Zeit seines Lebens Shakespeare kleingeredet hat in der Hoffnung, jemand möge ihn doch eines Tages mit ihm vergleichen, liefert zwar eine flotte Komödie, aber das Stück bleibt sowohl formal als auch inhaltlich weitgehend ungenügend. Auch die Übersetzung von Harald Müller ist eher unterirdisch.
Positive Überraschungen waren in diesem Jahr:
John Steinbeck: Der Winter unseres Missvergnügens – dieser Neuübersetzung von Bernhard Robben gelingt das Kunststück, den Text Steinbecks wirklich angemessen ins Deutsche zu übertragen: die sprachlich anspruchsvollen Dialoge ebenso wie den humoristischen Grundton und den stetig wachsenden, untergründigen Zorn des Buches. Ein Meisterstück!
Erfreulich war die Sterne-Werkausgabe in der Übersetzung von Michael Walter, der für Sterne ein ganz eigenes, quasi-barockes Deutsch erfunden hat. Insbesondere der Briefband dieser Ausgabe sticht heraus.
Zuletzt sei die Faustedition hervorgehoben, die auf musterhafte Weise eine gedruckte und eine elektronische Ausgabe miteinander verbindet.
Das Freie Deutsche Hochstift, die Klassik Stiftung Weimar und die Julius-Maximilians-Universität Würzburg haben in Kooperation unter dem Projekttitel Faustedition eine historisch-kritische Ausgabe des gesamten Faust erstellt, der sich – je nach Perspektive – in zwei bzw. drei Teile gliedert. Einerseits befindet sich der gesamte konstituierte Text inklusive aller Textvarianten auf der Webseite des Projektes, andererseits sind im Wallstein Verlag drei Textbände erschienen: Zum einen der konstituierte Text, zum anderen als Doppelband ein Faksimile des Manuskriptes des zweiten Teils der Tragödie sowie eine Transkription der Handschrift im gleichen Format (26 × 41 cm):
Das Faksimile darf auch zu vollem Recht so heißen, denn in sorgfältiger Handarbeit wurden hier alle Ein- und Überklebungen reproduziert, die in der Handschrift vorgenommen wurden, so dass sich der Leser einbilden darf, tatsächlich mit der Handschrift selbst umzugehen.
Diese aufwändige und in jeglicher Hinsicht vorbildliche Edition ermöglicht es dem Forscher und interessierten Leser nicht nur, auf einfachste Weise alle relevanten Ausgaben des gesamtes Faust auf einen Schlag miteinander zu vergleichen, er hat auch erstmals die Möglichkeit, sich selbst ein direktes Bild von der Handschrift des zweiten Teils zu machen. Die Leseausgabe des konstituierten Textes (die gerade in die 2. Auflage geht) gibt ihm zudem einen verlässlichen und zitierfähigen Text an die Hand. Dort, wo er die Entscheidungen der Herausgeber prüfen will, sind alle Varianten der Texte nur einen Mausklick entfernt.
Hier wurde eine exzellente Kombination aus gedruckter und digitaler Ausgabe vorgelegt, die die Stärken beider Medien zum Vorteil der Leser nutzt. Von hier aus lässt sich dieses Jahrhundertbuch der deutschen Literatur vollständig neu entdecken.
Faustedition. Vollständige Dokumentation der Quellen, Textgenese, aller relevanten Ausgaben und des konstituierten Textes. Derzeit in der Version RC 1.1.
Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie. Konstituierter Text. Hg. v. Anne Bohnenkamp, Silke Henke und Fotis Jannidis. Göttingen: Wallstein, 2018. Leinen im Schuber, Fadenheftung, 574 Seiten. 39,– €.
Johann Wolfgang Goethe: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Gesamthandschrift. Faksimile und Transkription. Hg. v. Anne Bohnenkamp, Silke Henke und Fotis Jannidis. Göttingen: Wallstein, 2018. 2 Bände im Schuber, Leinenrücken, Fadenheftung, Kunstdruckpapier, 386 + 406 Seiten. 199,– €.
Es gibt zudem eine Komplettausgabe, die die beiden oben aufgeführten Teile umfasst und mit 224,– € zu Buche schlägt.
Der Tod des Hofrats Büttner, der sich in der Mitte des Winters ereignete, legte mir ein mühevolles und dem Geiste wenig fruchtendes Geschäft auf. Die Eigenheiten dieses wunderlichen Mannes lassen sich in wenige Worte fassen: unbegrenzte Neigung zum wissenschaftlichen Besitz, beschränkte Genauigkeitsliebe und völliger Mangel an allgemein überschauendem Ordnungsgeiste. Seine ansehnliche Bibliothek zu vermehren, wendete er die Pension an, die man ihm jährlich für die schuldige Summe der Stammbibliothek darreichte. Mehrere Zimmer im Seitengebäude des Schlosses waren ihm zur Wohnung eingegeben und diese sämtlich besetzt und belegt. In allen Auktionen bestellte er sich Bücher, und als der alte Schloßvoigt, sein Kommissionär, ihm einstmals eröffnete, daß ein bedeutendes Buch schon zweimal vorhanden sei, hieß es dagegen: ein gutes Buch könne man nicht oft genug haben.
Nach seinem Tode fand sich ein großes Zimmer, auf dessen Boden die sämtlichen Auktionserwerbnisse partienweis, wie sie angekommen, nebeneinander hingelegt waren. Die Wandschränke standen gefüllt, in dem Zimmer selbst konnte man keinen Fuß vor den andern setzen. Auf alte gebrechliche Stühle waren Stöße roher Bücher, wie sie von der Messe kamen, gehäuft; die gebrechlichen Füße knickten zusammen, und das Neue schob sich flözweise über das Alte hin.
Johann Wolfgang von Goethe
Tag- und Jahreshefte 1802
»Erstes Kapitel. Die Braut.« Er hielt das Buch hoch. »Ich lese es dir vor. Zur Aufheiterung.« Er rieb mir das Buch fast unter die Nase. »Von S. Morgenstern. Großer florinesischer Schriftsteller. Die Brautprinzessin. Er ist auch nach Amerika gekommen. S. Morgenstern. Ist jetzt gestorben, in New York. Das Englische ist von ihm. Er konnte acht Sprachen.« Hier legte er das Buch hin und streckte alle Finger aus. »Acht. Einmal, in Florin, war ich in seinem Café.« Nun schüttelte er den Kopf; so machte er es immer, mein Vater, wenn er etwas falsch gesagt hatte, er schüttelte dann den Kopf. »Nicht in seinem Café. Er war drin, ich auch, zur gleichen Zeit. Ich sah ihn. S. Morgenstern. So einen Kopf, so groß«, und er zeigte mit seinen Händen, was für ein dicker Ballon es war. »Großer Mann in Florin, nicht so sehr in Amerika.«
»Kommt auch Sport drin vor?«
»Fechten. Ringkämpfe. Folter. Gift. Wahre Liebe. Haß. Rache. Riesen. Jäger. Böse Menschen. Gute Menschen. Bildschöne Damen. Schlangen. Spinnen. Wilde Tiere jeder Art und in mannigfaltigster Beschreibung. Schmerzen. Tod. Tapfere Männer. Feige Männer. Bärenstarke Männer. Verfolgungsjagden. Entkommen. Lügen. Wahrheiten. Leidenschaften. Wunder.«
»Klingt gut«, sagte ich und machte ein bißchen die Augen zu. »Ich will sehen, daß ich wach bleibe … aber ich bin furchtbar schläfrig, Papa …«
Diese Geschichte Europas der frühen Neuzeit (1517–1648) gehört in die Reihe der Penguin Geschichte Europas, aus der hier schon der Band von Ian Kershaw zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besprochen wurde. Es scheint mir interessant, dass man bei Random House offenbar nicht davon überzeugt ist, dass die gesamte Reihe für die eigene Verlagsgruppe attraktiv ist, so dass wir einzelne Bände wohl noch in anderen Verlagen erwarten dürfen. Die Reihe lässt sich aus zwei Bänden natürlich nicht beurteilen, aber der allgemeine Eindruck ist durchaus positiv.
Der Originaltitel des Bandes ist etwas deutlicher als der der Übersetzung: “Christendom Destroyed” macht eines der zentralen Konzepte des Autors sofort deutlich, während der literarischere deutsche Titel suggeriert, beim späten Mittelalter habe es sich um eine Art von Paradies gehandelt, wovon in keiner Weise die Rede sein kann und im Buch auch nicht ist.
Der Autor liefert eine sehr detailorientierte Geschichte der Zeit, die bei sehr konkreten Lebensumständen (Wohnverhältnisse, Siedlungsformen, Lebenserwartung, Familienplanung, Ehe, Erbrecht, Primogenitur, Krieg und Krankheiten, Hungersnöte, Klima, Sonnenflecken, Vulkanausbrüche, Essensgewohnheiten und unklare Todesursachen – alles in dieser Reihenfolge) beginnt und sich langsam zu dem vorarbeitet, was man gemeinhin als große Geschichte von einem Geschichtsüberblick erwartet. Wie schon angedeutet, legt der Autor ein bedeutendes Gewicht auf das religiöse Schisma der Reformation, das er einerseits mitverantwortlich macht für einen wesentlichen Wandel im Verhältnis zwischen Untertanen und herrschender Klasse. Andererseits sieht er ein, dass nicht alles, was in der frühen Neuzeit nach einem religiösen Konflikt aussieht, tatsächlich religiöse Ursachen hat oder religiöse Ziele verfolgt.
Es lassen sich dem Buch eine Vielzahl interessanter Details entnehmen, wenn auch die Darstellung hier und da seltsame blinde Flecken aufweist: Kein einziger Satz zur Entstehung der King James Bible, obwohl andere Bibelübersetzungen ausführlich besprochen werden, eine einzige flüchtige Erwähnung der Mayflower und was der Kleinigkeiten mehr sind.
Als ganz und gar missraten muss aber die deutsche Übersetzung angesehen werden, die das Buch gänzlich unnötig aufbläht und den eher lakonischen Stil des Autors durch eine besserwisserische Geschwätzigkeit ersetzt:
aus
wird
“The Ottomans also turned themselves into a naval power.”
„Die Osmanen betrieben auch Flottenbau, um Seemacht zu werden.“
“Protestant reformers undermined pilgrimage to the Holy Places.”
„Die Reformatoren hielten Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten ohnehin für unwichtig.“
“By 1650, over 180 tons of gold had been exported from the Indies, and 16,000 tons of silver from the New World.”
„Bis 1650 waren mehr als 180 Tonnen Gold aus Ostindien und 16.000 Tonnen Silber aus der Neuen Welt nach Europa gelangt.“
Gerade dieser letzte Zusatz aus der Phantasie des Übersetzers ist besonders ärgerlich, da wenige Seiten zuvor ausdrücklich thematisiert wurde, dass ein bedeutender Anteil des Peruanischen Silbers nach China exportiert wurde.
Zum Ausgleich dafür lässt der Übersetzer an anderen Stellen willkürlich Wörter und auch schon einmal ganze Sätze weg, ändert die Reihenfolge der Sätze, die er doch noch die Freundlichkeit besitzt zu übersetzen, und nimmt sich auch sonst all die Freiheiten heraus, die seine Tätigkeit früher einmal zu einem der phantasievollsten im holzverarbeitenden Gewerbe machten. Gleichgültig, wo man die Übersetzung aufschlägt, bietet sich einem dasselbe Bild. Kurz gesagt: Die Übersetzung macht das Buch für einen ernsthaft interessierten Leser vollständig unbrauchbar. Mit ist unklar, warum eine Organisation wie die Wissenschaftliche Buchgesellschaft eine solche Katastrophe zum Druck befördert.
In Details durchaus interessant, im Ganzen wenig überraschend, auf Deutsch ungenießbar.
Mark Greengrass: Das verlorene Paradies. Europa 1517–1648. Aus dem Englischen von Michael Haupt. Darmstadt: wbg Theiss, 2018. Pappband, 781 Seiten. 39,95 €.
… denn gerade von diesen Leuten hört man die bittersten Klagen über den verworrenen Lauf der Welthändel, über die Seichtigkeit der Wissenschaften, über den Leichtsinn der Künstler, über die Leerheit der Dichter und was alles noch mehr ist. Sie bedenken am wenigsten, daß eben sie selbst und die Menge, die ihnen gleich ist, grade das Buch nicht lesen würden, das geschrieben wäre wie sie es fordern, daß ihnen die echte Dichtung fremd sei, und daß selbst ein gutes Kunstwerk nur durch Vorurteil ihren Beifall erlangen könne.
Johann Wolfgang von Goethe
Wilhelm Meisters Lehrjahre
Das Bändchen ist Teil einer neuen Reihe bei Reclam. Es handelt sich dabei weniger um eine Biographie im eigentlichen Sinne als vielmehr um eine lockere Annäherung an das literarische Phänomen Jane Austen. Christian Grawe zeichnete zusammen mit seiner Frau Ursula für die erste vollständige Austen-Übersetzung aus einer Hand verantwortlich und darf als einer der besten deutschen Kenner Austens gelten. Er hat auch die erste umfangreiche deutschsprachige Biographie Austens verfasst, beinahe zehn Jahre bevor das Buch von Elsemarie Maletzke zum Bestseller wurde.
Natürlich enthält das schmale Bändchen auch einige biographische Skizzen, aber es werden auch die wichtigsten Verfilmungen der Romane besprochen, einige Austen-Hasser kommen zu Wort, der Austen-Kult und seine Gedenkstätten im Süden Englands werden vorgestellt, es gibt Lesevorschläge für Austen-Neulinge, Auszüge aus Briefen und Romanen usw. usf. Natürlich ist das ganze eine Art Gemischtwarenladen, aber es ist gut geschrieben und wirbt für seine Sache: Wer von Austen nur wenig oder nichts weiß, bekommt ein lebendiges und interessantes Bild von ihr gezeichnet, das Lust auf mehr macht. Das einzige, was mich ein wenig hat zusammenzucken lassen, ist der Preis von 10 € für solch ein Bändchen; da kann man nur hoffen, dass der Autor ein ordentliches Garantiehonorar bekommen hat.
Christian Grawe: Jane Austen. 100 Seiten. Reclam Tb. 20417. Stuttgart: Reclam, 2016. Broschur, 100 Seiten. 10,– €.