„Wissen ist Macht.“ – Francis Bacon
„Nix wissen macht nix.“ – Volksmund
Kürzlich ist mir ein mir noch unbekannter Philosoph über den Weg gelaufen, wie es so schön heißt. Da ich selbst dem Fach vor vielen Jahren einmal leidenschaftlich zugetan war und es auch einige Jahre fleißig studiert habe, kehre ich von Zeit zu Zeit gern in die alten Gefilde zurück und schaue mich ein wenig um. So nun auch bei Byung-Chul Han, einem Koreaner, der laut Wikipedia „in Freiburg im Breisgau und München Philosophie, deutschsprachige Literatur und katholische Theologie“ studiert hat. Nun gab es zu meiner Studienzeit kein Fach „deutschsprachige Literatur“, das man hätte studieren können, aber wie dem auch sei, jedenfalls hat Han über Heidegger promoviert und darf also mit Fug und Recht als Fach-Philosoph bezeichnet werden. (Nur so am Rande: Seine Einführung zu Heidegger bei UTB ist vergriffen und wird bei Amazon zu einem aberwitzigen Preis angeboten.)
Unter den lieferbaren Büchern fiel mir gleich ein Reclam-Bändchen auf: „Was ist Macht?“ ist eine interessante Frage für einen Philosophen; also habe ich das Büchlein gestern bei meinem Buchhändler abgeholt und heute Vormittag ein wenig darin gestöbert. Und gleich auf den Seiten 17 f. darf ich folgendes lesen:
Max Weber definiert Macht wie folgt: »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.« Dann bemerkt er, daß der Begriff »Macht« soziologisch »amorph« sei. Der soziologische Begriff der »Herrschaft«, die garantiert, »für einen Befehl Fügsamkeit zu finden«, sei dagegen ein »präziserer«. Diese Einschätzung ist nicht unproblematisch. »Amorph« ist die Macht in soziologischer Hinsicht gewiß nicht. Dieser Eindruck entspringt nur einer beschränkten Wahrnehmungsweise. Eine ausdifferenzierte Welt produziert indirekte, still wirkende, weniger offensichtliche Machtgrundlagen. Auf deren Komplexität und Indirektheit geht der Eindruck zurück , die Macht wirke »amorph«. Im Gegensatz zur Herrschaft des Befehls tritt die Macht nicht offen in Erscheinung. Die Macht der Macht besteht ja gerade darin, daß sie auch ohne den ausdrücklichen »Befehl« Entscheidungen und Handlungen bewegen kann.
Diese Interpretation Webers ist nicht unproblematisch; sie entspringt einer beschränkten Wahrnehmungsweise. Was Weber sagt, ist, dass der Begriff der Macht soziologisch amorph sei; weder behauptet er, die Macht selbst sei soziologisch amorph, noch gar, dass die Macht amorph »wirke« (was auch immer das Wort ‚wirke‘ hier bedeuten soll: ‚einen amorphen Eindruck mache‘ oder ‚auf amorphe Art und Weise ihre Wirkung entfalte‘). Warum der Begriff der Macht soziologisch amorph sei, begründet Weber an der herangezogenen Stelle („Wirtschaft und Gesellschaft“ § 16) so:
Der Begriff »Macht« ist soziologisch amorph. Alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen können jemand in die Lage versetzen, seinen Willen in einer gegebenen Situation durchzusetzen.
Der Begriff erscheint Weber also in etwa aus den Gründen amorph, die Han gegen Webers Einschätzung ins Feld führt. Auch sagt Weber an derselben Stelle nicht, dass der Begriff der Herrschaft ein präziserer sei, sondern sein müsse:
Der soziologische Begriff der »Herrschaft« muß daher ein präziserer sein und kann nur die Chance bedeuten: für einen Befehl Fügsamkeit zu finden.
Was auch immer der Grund für Hans Lesart sein mag: So etwas ist keine Philosophie, es ist Geschwätz.
Byung-Chul Han: Was ist Macht? RUB 18356. Stuttgart: Reclam, 2005. Broschur, 149 Seiten. 5,– €.