Friedrich Heinrich Jacobi: Aus Eduard Allwills Papieren

Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819) ist einer jener Schriftsteller des Übergangs vom 18. zum 19. Jahrhundert, die nur deshalb noch einigermaßen in Erinnerung sind, weil sie sich in die reiche Briefkultur dieser Zeit eingeschrieben haben. Jacobis älterer Bruder war der als Dichter oft verspotteter Anakreontiker Johann Georg Jacobi, der an zahlreichen Zeitschriften der Zeit beteiligt war und dessen Prominenz seinem Bruder den Weg zu zahlreichen berühmteren Korrespondenz­partnern eröffnete. Ganz im Geiste der Zeit folgten den Briefen auch persönliche Begegnungen, und so wurde Friedrich Heinrich Jacobi eine der vielen Randfiguren der deutschen Literarhistorie.

Die ersten Briefe Aus Eduard Allwills Papieren erschienen 1775 in der von Johann Georg Jacobi herausgegebenen Zeitschrift Iris, die sich explizit an ein weibliches Publikum wandte. Fortgesetzt wurde die Reihe der Briefe dann 1776 in Wielands Teutschem Merkur und dann über weitere Zwischenstufen bis 1812, als sie als Allwills Briefsammlung innerhalb der vom Autor selbst besorgten Werke endgültig fixiert wurden. Die Reihe von Briefen einen Roman zu nennen, wie dies weitgehend geschieht, ist etwas verwegen, nicht nur wegen des mäßigen Umfangs, sondern auch, weil eine Handlung eher angedeutet ist, als dass sie wirklich erzählt würde.

Die Briefe erzählen im im Großen und Ganzen eine Episode aus der Geschichte der Familien Clerdon und der mit ihr verschwägerten von Wallberg, zu deren Bekanntenkreis auch der titelgebende junge Eduard Allwill gehört. Allwill hat sich bereits in seiner Kindheit als ein besonders willensstarkes und eigensinniges Kind gezeigt und ist nun ein junger Mann, der auf gesellschaftliche Usancen nur wenig Rücksicht nehmen zu müssen glaubt. Er hat offensichtlich einer jungen Frau – Luzie von Wallberg – den Kopf verdreht und sie dann sitzen lassen. In einem ihrer Briefe schreibt ihre Tante Silly:

So ward unsere Luzie hingewagt, so ging uns das süße Geschöpf verloren; denn sie stirbt, Kinder, und ihr Tod ist dieser Allwill!

Als ganz so dramatisch erweist sich die Lage dann doch nicht: In den beiden letzten Briefen, die das eigentliche Prunkstück der Sammlung (1775/1776) bilden, verbreitet Eduard nicht nur seine libertinistische Philosophie des natürlichen Gefühls, dem es zu folgen gelte, sondern er erhält auch eine vollständige Zurückweisung seines Standpunktes durch die bürgerlich-moralisch argumentierende Luzie, die mit ihrem Plädoyer das letzte Wort behält. Einen sterbenden Eindruck macht sie dabei ganz und gar nicht.

Ich bin an dieses Stück geraten, da ich im Rahmen einer Rezension, die hier nichts zur Sache tut, wieder einmal den Goetheschen Werther in die Hand genommen habe und dabei an Jacobi erinnert wurde, von dem mir bislang nur sein Woldemar dem Namen nach bekannt war. Der Eduard Allwill stand kurzzeitig im Verdacht eine weiterer Briefroman aus der Feder Goethes zu sein, wenn dies auch aus einer eher oberflächlichen Vergleichung mit dem Werther herzurühren scheint. Da das Stück rasch gelesen ist (digitale Texte und deren Ausdrucke finden sich zuhauf), kann ich es für jene, die an der Literatur der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang interessiert sind, nur empfehlen. Wahrscheinlich werde ich hier in nächster Zeit noch die eine oder andere kleine Publikation, die im zeitlichen Umfeld des Werthers entstanden ist, besprechen.

Friedrich Heinrich Jacobi: Aus Eduard Allwills Papieren. Düsseldorf: Iris 4.1775 und Weimar: Der Teutsche Merkur 2.1776–4.1776.

Bloomsday 2023 – Die Kartoffel

Auf der Türschwelle tastete er in seiner Gesäßtasche nach dem Hausschlüssel. Nicht da. Wohl in den Hosen, die ich ausgezogen habe. Brauch ihn aber. Die Kartoffel hab ich. [S. 79]


Ich suche die. Ja, die. Alle Taschen nachsehn. Taschentu. Freeman. Wo hab ich denn bloß? Ah, ja. Die Hose. Portemonnaie. Kartoffel. Wo hab ich denn? [S. 264]


Mein Herr? Kartoffel jejen dat Zipperlein? Allet jroßer Keese, wenn Se mich die Bemerkung jestatten. Bloß gut für die hoi polloi. Wenn Se mir fragen, dann ham Ihnen ’ne janz schöne Macke. [S. 646]


(Jacky Caffrey, gejagt von Tommy Caffrey, rennt mit voller Wucht gegen Bloom.)
BLOOM Oh!
(Geschockt, auf wankenden Schenkeln, bleibt er stehen. Tommy und Jacky verschwinden, hierhin und dorthin. Bloom tastet mit paketbepackten Händen nach Uhr, Uhrtasche, Brusttasche, Geldtasche, Süße der Sünde, Kartoffel, Seife.)
BLOOM Vorsicht, Taschendiebe. Alter Gaunerkniff. Kleiner Zusammenstoß. Und futsch ist die Börse. [S. 660]


BLOOM Mama!
ELLEN BLOOM (in der bebänderten Morgenhaube, Krinoline und Turnüre des Pantomimen-Mütterchens, Bluse der Witwe Twankey mit hinten zugeknöpften Hammelkeulenärmeln, graue Fausthandschuhe und Kameenbrosche, das Haar in ein Lockennetz geflochten, erscheint über dem Treppengeländer, einen schief geneigten Kerzenhalter in der Hand, und schreit in schriller Bestürzung): O du mein heiliger Erlöser, was haben sie mit ihm gemacht! Mein Riechsalz! (Sie zieht ein Rockreff hoch und wühlt in der Tasche ihres gestreiften Ukeleien-Unterrocks. Eine Phiole, ein Agnus Dei, eine runzelige Kartoffel und eine Zelluloidpuppe fallen heraus.) Geheiligtes Herz Mariens, wo warst du denn überhaupt, überhaupt? [S. 661]


(Ihre Hand gleitet in seine linke Hosentasche und bringt eine harte schwarze verschrumpelte Kartoffel zum Vorschein. Sie betrachtet sie und Bloom mit stummen feuchten Lippen.)
BLOOM Ein Talisman. Altes Erbstück.
ZOE Für Zoe? Zum Behalten? Fürs Nettsein, ja?
(Sie steckt die Kartoffel gierig in die Tasche, hakt sich dann bei ihm unter, schmiegt sich an ihn mit schmeichelnder Wärme. Er lächelt voll Unbehagen. Langsam, Ton für Ton, wird orientalische Musik gespielt. Er blickt in den lohbraunen Kristall ihrer Augen, die mit Antimonpulver gerändert sind. Sein Lächeln wird sanfter.) [S. 695]


BLOOM (in Arbeiterhosen aus Kord, schwarzem Jerseyhemd mit rotem flatterndem Schlips und Apachenmütze): Die Menschheit ist unverbesserlich. Sir Walter Raleigh brachte aus der neuen Welt die Kartoffel mit und dieses Kraut, die eine vermittels Absorption eine Vernichterin der Pestilenz, das andre ein Gift für Ohr, Auge, Herz, Gedächtnis, Wille, Verstand, alles. [S. 696]


DIE TÖCHTER VON ERIN
Niere Blooms, bitt’ für uns.
Blume des Bades, bitt’ für uns.
Mentor des Menton, bitt’ für uns.
Annoncenakquisiteur des Freeman, bitt’ für uns.
Mildtätiger Freimaurer, bitt’ für uns.
Wandernde Seife, bitt’ für uns.
Süße der Sünde, bitt’ für uns.
Musik ohne Worte, bitt’ für uns.
Tadler des Bürgers, bitt’ für uns.
Freund aller Dessous, bitt’ für uns.
Allbarmherzige Hebamme, bitt’ für uns.
Kartoffelschutz gegen Seuche und Pestilenz, bitt’ für uns. [S. 720]


BLOOM (sanft): Gib mir die Kartoffel wieder, ja?
ZOE Die ist futsch, ein feines Ding, ein superfeines Dingeling.
BLOOM (mit Gefühl): Es ist doch gar nichts dran, bloß ein Andenken an die arme Mama.
ZOE Schenkst du was und nimmst dirs wieder,
Fragt dich Gott, wos abgeblieben –
Sagst du dann, du weißt es nicht,
Schickt dich Gott ins Strafgericht.
BLOOM Es ist eine Erinnerung damit verknüpft. Ich würde sie gern wiederhaben.
STEPHEN Haben oder Nicht-Haben, das ist hier die Frage.
ZOE Da. (Sie zieht ein Reff in ihr Unterkleid, enthüllt ihren nackten Schenkel und rollt die Kartoffel oben aus ihrem Strumpf): Wer was versteckt, der findets auch wieder. [S. 771]

Alle Seitenangaben nach der kommentierten Ausgabe, Frankfurt: Suhrkamp, 2004.

Friedhelm Rathjen: Joyce

Cover

Es gibt einige Autoren, bei denen es sinnvoll ist, sich einer Art von Reiseführer zu bedienen, um ihr Werk zu erkunden; Joyce gehört sicherlich zu ihnen. Joyce hatte von Anfang an und je länger je mehr eine besondere Auffassung von der Funktion poetischer Sprache, ein Bewusstsein dafür, dass Sprache in gewisser Weise unsere Wahrnehmung der Welt mitbestimmt und die Verwendung eines bestimmtem Stils – sei er etwa romantisch, idealistisch oder realistisch – einen ebenso bestimmten Blick auf die Welt zu erzeugen vermag. Er selbst fand in sich eine Souveränität in der Verfügung über diese Stile und Stilebenen vor, ein Verfügen über die Sprache und Sprachen, und so schrieb er sein vermutlich wichtigstes Buch Ulysses von diesem Standpunkt der sprachlichen Vielfalt aus: Der Inhalt des Buches hatte sich der Sprache des bzw. den Sprachen der Erzähler anzupassen, nicht umgekehrt, und das große Kunststück war es, dennoch einen Roman daraus entstehen zu lassen.

Da die meisten Leser von diesem Verfahren wenig ahnen, wenn sie beginnen, den Ulysses zu lesen, scheitern die meisten; sehr oft im dritten Kapitel, in dem Stephen Dedalus am Strand spazieren geht und über die unumgehbare Visualität der Welt philosophiert – ihm ist am Tag zuvor seine Brille zerbrochen, aber das erführe der Leser erst viel, viel später im Buch, wenn er denn nicht hier und jetzt aufgeben würde –, und der unbedarfte Leser weder begreift, was er da liest (was auch gar nicht so wichtig ist; wichtig ist viel mehr, Stephen als einen studierten Philosophen vorzuführen, der auf konkrete Probleme mit sehr abstrakten Gedanken zu reagieren neigt) geschweige denn, warum er das lesen soll.

Nun ist Joyce keiner jener freundlichen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, die ihre Leser an der Hand nehmen und durch den Roman führen, sie auf dies aufmerksam machen, ihnen jenes erklären, ihnen bei einem Dritten nahelegen, es sich gut zu merken, denn er werde es später noch einmal gebrauchen können. Bei Joyce stürzt der Roman auf uns ein wie eine neue Welt, vieles kommt gleichzeitig und das meiste fügt sich erst sehr viel später zu einem sinnvollen Gebilde. Und aus all diesen Gründen ist es nützlich, sich vor der Lektüre der Joyceschen Werke zuerst einmal eine kurze Einführung einzuführen.

Eine dieser Einführungen hat der Joyce-Kenner und -Übersetzer Friedhelm Rathjen nun erneut im eigenen Verlag aufgelegt. Das Buch ist eine Überarbeitung der im Jahr 2004 bei Rowohlt erscheinen Bild-Monographie mit dem Vorteil, dass die Neuausgabe die Lebensbeschreibung und die Einführung ins Werk entzerrt und sie auf diese Weise leichter einer gezielten Lektüre dienen kann. Nach einer für den Einstieg vollständig ausreichenden Biographie, die zugleich auch die Entwicklung der Joyceschen Ästhetik nachzeichnet, folgen Kapitel zu einzelnen Werken, wobei auch eher unbekannten wie dem frühen Gedichtband Kammermusik oder auch dem Text Giacomo Joyce eigene Abschnitte gewidmet sind. Dabei ist allen Werkbesprechungen zu eigen, dass sie nur behutsame Hinweise geben, ohne einer selbstständigen Lektüre im Weg zu stehen.

Allen, die einen ersten Überblick über Joyce gewinnen wollen, bevor sie sich in das Abenteuer der Lektüre dieses Weltautors stürzen, sei der Band anempfohlen.

Friedhelm Rathjen: Joyce. Einführung in Leben und Werk. Südwesthörn: Ǝdition RejoycE, 2023. Bedruckte Broschur, 152 Seiten. 17,– €. Bestellung per E-Mail direkt beim Verlag.

Bloomsday 2022

Mutterschoß? Müde?
Er ruht. Er ist gereist.

Mit?
Sindbad dem Seefahrer und Tindbad dem Teefahrer und Findbad dem Feefahrer und Rindbad dem Rehfahrer und Windbad dem Wehfahrer und Klindbad dem Kleefahrer und Flindbad dem Flehfahrer und Drindbad dem Drehfahrer und Schnindbad dem Schneefahrer und Gindbad dem Gehfahrer und Stindbad dem Stehfahrer und Zindbad dem Zehfahrer und Xindbad dem Ehfahrer und Yindbad dem Sehfahrer und Blindbad dem Phthefahrer.

Wann?
Es begab sich zu finsterem Bette ein vierschrötig rundes Sinnbad des Sehfragers Rock Alkes Ei in der Nacht des Bettes der Alke aller der Rocke von Finstbatt dem Helltagler.

Wohin?

James Joyce
Ulysses

Katja Leuchtenberger: Uwe Johnson

Kurzbiographie Johnsons in seinem Hausverlag von einer ausgewiesenen Kennerin des Autors. Das Buch ist in drei Abschnitte geteilt: Leben (ca. die Hälfte des Textes), Werk (ein weiteres Drittel) und Wirkung. Es folgt ein Anhang mit Zeittafel, Bibliographie und Personen- sowie Werkregister.

Inhaltlich ist das Buch unter Berücksichtigung des geringen Umfangs tadellos, wenn auch das Leben etwas weichgezeichnet erscheint; Johnsons Fremdheit in Gesellschaft, seine rigorose, auf andere oft verstörend wirkende Rechthaberei oder sein Alkoholismus kommen zwar vor, aber wohl dosiert und abgemildert. Von daher ist das vermittelte Bild nicht ganz richtig, ganz falsch ist es aber eben auch nicht.

Was die Darstellung des Werks angeht, so gibt es kaum etwas einzuwenden; eine bessere Kurzdarstellung aller Aspekte von Johnsons Schreiben kenne ich einfach nicht. Im Abschnitt Wirkung gibt es das zu erwartende Maß von allgemeinem Geschwätz des Sowohl-Als-auch gemischt mit einigen wenigen handfesten Informationen; da ist ein Querlesen vollständig ausreichend.

Die Seiten des Bandes sind recht angenehm gestaltet: Fotos werden in Maßen eigesetzt, die Darstellung des Haupttextes unterstützende Zitate aus Primär- und Sekundärtexten sind in grau hinterlegten Kästen in den Fließtext eingefügt. Auf Fuß- oder Endnoten wird komplett verzichtet.

Insgesamt ersetzt oder ergänzt der Band die inzwischen in die Tage gekommene Rowohlt-Monographie von Jürgen Grambow (1997). Für eine rasche und überblickende Information gut geeignet.

Katja Leuchtenberger: Uwe Johnson. sb 47. Berlin: Suhrkamp, 2010. Broschur, 158 Seiten. 8,90 €.

100 Jahre Ulysses

Gob, the devil wouldn’t stop him till he got hold of the bloody tin anyhow and out with him and little Alf hanging on to his elbow and he shouting like a stuck pig, as good as any bloody play in the Queen’s royal theatre:
—Where is he till I murder him?
And Ned and J. J. paralysed with the laughing.
—Bloody wars, says I, I’ll be in for the last gospel.
But as luck would have it the jarvey got the nag’s head round the other way and off with him.
—Hold on, citizen, says Joe. Stop!
Begob he drew his hand and made a swipe and let fly. Mercy of God the sun was in his eyes or he’d have left him for dead. Gob, he near sent it into the county Longford. The bloody nag took fright and the old mongrel after the car like bloody hell and all the populace shouting and laughing and the old tinbox clattering along the street.
The catastrophe was terrific and instantaneous in its effect. The observatory of Dunsink registered in all eleven shocks, all of the fifth grade of Mercalli’s scale, and there is no record extant of a similar seismic disturbance in our island since the earthquake of 1534, the year of the rebellion of Silken Thomas. The epicentre appears to have been that part of the metropolis which constitutes the Inn’s Quay ward and parish of Saint Michan covering a surface of fortyone acres, two roods and one square pole or perch. All the lordly residences in the vicinity of the palace of justice were demolished and that noble edifice itself, in which at the time of the catastrophe important legal debates were in progress, is literally a mass of ruins beneath which it is to be feared all the occupants have been buried alive. From the reports of eyewitnesses it transpires that the seismic waves were accompanied by a violent atmospheric perturbation of cyclonic character. An article of headgear since ascertained to belong to the much respected clerk of the crown and peace Mr George Fottrell and a silk umbrella with gold handle with the engraved initials, crest, coat of arms and house number of the erudite and worshipful chairman of quarter sessions sir Frederick Falkiner, recorder of Dublin, have been discovered by search parties in remote parts of the island respectively, the former on the third basaltic ridge of the giant’s causeway, the latter embedded to the extent of one foot three inches in the sandy beach of Holeopen bay near the old head of Kinsale. Other eyewitnesses depose that they observed an incandescent object of enormous proportions hurtling through the atmosphere at a terrifying velocity in a trajectory directed southwest by west. Messages of condolence and sympathy are being hourly received from all parts of the different continents and the sovereign pontiff has been graciously pleased to decree that a special missa pro defunctis shall be celebrated simultaneously by the ordinaries of each and every cathedral church of all the episcopal dioceses subject to the spiritual authority of the Holy See in suffrage of the souls of those faithful departed who have been so unexpectedly called away from our midst. The work of salvage, removal of débris, human remains etc has been entrusted to Messrs Michael Meade and Son, 159 Great Brunswick street, and Messrs T. and C. Martin, 77, 78, 79 and 80 North Wall, assisted by the men and officers of the Duke of Cornwall’s light infantry under the general supervision of H. R. H., rear admiral, the right honourable sir Hercules Hannibal Habeas Corpus Anderson, K. G., K. P., K. T., P. C., K. C. B., M. P., J. P., M. B., D. S. O., S. O. D., M. F. H., M. R. I. A., B. L., Mus. Doc., P. L. G., F. T. C. D., F. R. U. I., F. R. C. P. I. and F. R. C. S. I.

Bloomsday 2021

– Erinnerst du dich an den Tag, wo ich das erstemal wieder zu euch ins Haus kam nach dem Tod meiner Mutter?
Buck Mulligan runzelte behende die Stirn und sagte:
– Was? Wo? Ich kann mich an gar nichts erinnern. Ich behalte nur Ideen und Empfindungen. Wieso? Was ist denn da passiert, um alles in der Welt?
– Du warst gerade am Teemachen, sagte Stephen, und ich ging über den Flur, um noch etwas heißes Wasser zu holen. Deine Mutter kam mit irgendeinem Besuch aus dem Salon. Sie fragte dich, wer da bei dir im Zimmer wäre.
– Ja? sagte Buck Mulligan. Und was hab ich geantwortet? Ich weiß es nicht mehr.
– Deine Antwort, sagte Stephen, lautete: Och, das ist bloß Dedalus, dessen Mutter dreckig verreckt ist.
Eine Röte, die ihn jünger erscheinen ließ und anziehender, stieg Buck Mulligan in die Wangen.
– Hab ich das gesagt? fragte er. Na und? Was soll denn so schlimm daran sein?
Er schüttelte seine Befangenheit nervös von sich ab.
– Und was ist denn der Tod, fragte er, der deiner Mutter oder deiner oder mein eigener? Du hast bloß deine Mutter sterben sehen. Ich seh’ die Leute jeden Tag abkratzen im Mater und Richmond, seh’ wie man ihnen in den Kutteln rumschneidet im Seziersaal. Eine Dreckerei ist das und nichts sonst. Hat einfach gar nichts zu besagen. Du wolltest nicht niederknien, um zu beten für deine Mutter an ihrem Sterbebett, als sie dich bat. Warum? Weil du den verfluchten Jesuitenzug in dir hast, bloß daß er dir verkehrtherum eingeimpft worden ist. Für mich ist das alles urkomisch und dreckig. Ihre Gehirnlappen funktionieren nicht mehr. Sie nennt den Doktor Sir Peter Teazle und pflückt sich Butterblümchen von der Steppdecke. Halt sie bei Laune, bis es vorbei ist. Ihren letzten Wunsch im Tode hast du durchkreuzt, und trotzdem schmollst du mit mir, weil ich nicht flenne wie irgendein gedungener Sargschlepper von Lalouette. Absurd! Kann ja sein, daß ich’s gesagt hab. Aber ich wollte damit nicht das Andenken deiner Mutter beleidigen.

James Joyce
Ulysses

Aus gegebenem Anlass (XXVIII) – Bloomsday

Die Katze umschritt steif ein Tischbein, den Schwanz in der Höh.
– Mkgnau!
– Ah, da bist du ja, sagte Mr. Bloom, sich vom Feuer wendend.
Die Katze maunzte eine Antwort und stakte wieder steif um ein Tischbein, maunzend. Just wie sie über meinen Schreibtisch stakt. Prr. Kraul mir den Kopf. Prr.
Mr. Bloom beobachtete neugierig, freundlich, die geschmeidige schwarze Gestalt. Sauberer Anblick: der Glanz ihres glatten Fells, der weiße Knubbel unter dem Knauf ihres Schwanzes, die grünen blitzenden Augen. Er bückte sich zu ihr hinab, die Hände auf den Knien.
– Milch für das Pussilein, sagte er.
– Mrkgnau! schrie die Katze.
Die sollen nun dumm sein. Dabei verstehn sie besser, was wir sagen, als wir sie verstehn. Die da versteht haarscharf alles, was sie verstehen will. Ist auch nachtragend. Möchte wohl wissen, wie ich so wirke auf sie. Hoch wie ein Turm? Nein, springt mir doch glatt auf die Schulter.
– Angst vor den Hühnerchen hat sie, sagte er spottend. Angst vor den kleinen Putputputs. Wer hat wohl schon mal so ein dummes Pussilein gesehn wie unser Pussilein hier!
Grausam auch. Ihre Natur. Komisch, die Mäuse quieken nie. Scheinens wohl gar zu mögen.
– Mrkrgnau! machte die Katze laut.
Sie blinzelte empor aus ihren gierigen, beschämt sich schließenden Augen, maunzte klagend und lang, ihm die milchweißen Zähne zeigend. Er beobachtete, wie die dunklen Pupillenschlitze sich vor Gier verengten, bis ihre Augen grüne Steine waren. Dann ging er zur Anrichte, nahm den Krug, den der Milchmann von Hanlon’s eben für ihn gefüllt hatte, goß sprudelwarme Milch auf eine Untertasse und stellte sie behutsam auf
den Boden.
– Garrhr! schrie die Katze, hinlaufend, um zu lappen.
Er betrachtete die Schnurrbarthaare, die drahtig leuchteten im schwachen Licht, als sie dreimal in die Milch tupfte und leicht schleckte. Ob das stimmt, daß sie nicht mehr auf Mäuse gehn können, wenn man sie ihnen kappt? Wieso eigentlich? Leuchten vielleicht im Dunkeln, die Spitzen. Oder sind so was wie Fühler im Dunkeln, vielleicht.

James Joyce
Ulysses

James Joyce: Dubliner

Die unterhaltsame Musik von Whisky, der in Gläser fiel, ergab ein angenehmes Zwischenspiel.

Seit Anfang 2012 die Werke James Joyce’ gemeinfrei geworden sind, sind einige Neuübersetzungen erschienen, darunter eine des Portraits durch Friedhelm Rathjen bei Manesse und eine der Dubliners durch Harald Raykowski bei dtv. Nun legt Manesse die Dubliners auch in Friedhelm Rathjens Übertragung vor, zudem in der schönen Manesse Bibliothek, deren Format dem kleinen Büchlein wie auf den Leib geschnitten ist.

Wie schon an anderer Stelle erwähnt, hatte Joyce einige Schwierigkeiten für sein erstes Buch einen Verlag zu finden. Seine Schilderung der Menschen und des Lebens in Dublin kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert war, obwohl sie sich in die Literatur der Moderne stilistisch weitgehend unproblematisch einfügte, für die provinziellen irische Verhältnisse eindeutig zu progressiv, was nicht ohne Ironie ist, da gerade diese Provinzialität eines der wichtigen Themen des Buches bildet.

Rathjens Neuübersetzung kann als die mit Abstand beste in deutscher Sprache bezeichnet werden. Sie nimmt es in Sachen sprachlicher und struktureller Präzision mit Leichtigkeit mit der alten von Dieter E. Zimmer (1969) auf und liefert zugleich einen flüssigen, dem heutigen Sprachstand nahen Lesetext, ohne dabei vergessen zu machen, dass Joyce die Erzählungen des Bandes vor über 100 Jahren geschrieben hat. Rathjens Übersetzung ist sowohl für eine Erst- als auch für eine wiederholte Lektüre zweifellos die erste Wahl.

Die Freude wird etwas getrübt durch die Tatsache, dass der Band mit größerer Sorgfalt hätte korrigiert werden dürfen: Neben dem fehlenden Inhaltsverzeichnis fallen bei sorgfältiger Lektüre überdurchschnittlich viele Fehler auf, was den positiven Gesamteindruck aber nur wenig einschränkt.

James Joyce: Dubliner. Aus dem irischen Englisch übersetzt von Friedhelm Rathjen. Zürich: Manesse, 2019. Pappband, Fadenheftung, Lesebändchen, 444 Seiten. 24,– €.

Aus gegebenem Anlass (XXVI) – Bloomsday

– Ich schmelze, sagte er, wie die Kerze sehr richtig bemerkte, als sie … Aber Schwamm drüber. Kein Wort mehr zu diesem Thema. Kinch, wach auf. Brot, Butter, Honig. Haines, komm rein. Der Fraß ist fertig. Segne uns, Herr, und diese deine Gaben.
Wo ist der Zucker? O je, wir haben keine Milch.
Stephen holte den Brotlaib, den Honigtopf und den Butterkühler aus dem Schränkchen. Buck Mulligan setzte sich in einem plötzlichen Anfall von schlechter Laune hin.
– Was ist das hier bloß für ein Saftladen! murrte er. Ich hab’ ihr doch ausdrücklich gesagt, sie soll gleich nach acht kommen!
– Wir können ihn ja schwarz trinken, sagte Stephen. Im Schrank ist auch noch eine Zitrone.
– Verdammtnochmal, du und deine Pariser Marotten, sagte Buck Mulligan. Ich will Sandycove-Milch!
Haines kam vom Eingang herein und sagte ruhig:
– Die Frau kommt schon herauf mit der Milch.
– Gottes Segen über dich! schrie Buck Mulligan, vom Stuhl aufspringend. Setz dich hin. Schenk den Tee da ein. Der Zucker ist in der Tüte. Hier, ich kann nicht erst lange noch rummurksen an den verdammten Eiern. Er hackte in dem Gebratenen auf der Schüssel herum, klatschte es auf drei Teller und sagte:
In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.
Haines setzte sich, um den Tee einzuschenken.
– Ich gebe euch jedem zwei Stücke, sagte er. Aber das muß ich schon sagen, Mulligan, du machst ja den Tee ganz schön stark, was?
Buck Mulligan, eben dabei, dicke Scheiben vom Brotlaib zu säbeln, sagte mit der Schmeichelstimme einer alten Frau:
– Wenn ich Tee mache, dann mache ich Tee, wie die olle Mutter Grogan sagte. Und wenn ich Wasser mache, dann mache ich Wasser.
– Beim Jupiter, es ist Tee, sagte Haines.
Buck Mulligan fuhr fort zu säbeln und zu schmeicheln:
Das mach’ ich, jawoll, Mrs. Cahill sagt sie. Ach Herrjeh, Ma’am, sagt da Mrs. Cahill, dann geb’s nur der liebe Gott, daß Sie’s nicht beides in denselben Topf machen!

James Joyce
Ulysses