Uwe Johnson: Jahrestage (1)

Wenn ich gewußt hätte wie gut die Toten reden haben. Die Toten sollen das Maul halten.

Johnson-Jahrestage-1Zum ersten Mal wahrgenommen habe ich Uwe Johnsons „Jahrestage“ in meinem ersten Semester an der Universität Tübingen. Da kam der Autor zu seiner allerletzten öffentlichen Lesung, denn zur Buchmesse war endlich der vierte und abschließende Band des Romans erschienen, und Johnson las in einem der großen Hörsäle im Tübinger Brechtbau vor einem übervollen Haus aus den Abschnitten, in denen Gesine Cresspahl von ihrem Deutschunterricht und Theodor Fontanes „Schach von Wuthenow“ erzählt. Anschließend wollte oder konnte kein einziger der Zuhörer auch nur eine einzige Frage stellen – mir ist bis heute nicht so ganz genau klar, warum nicht –, so dass sich Johnson selbst was fragte und es beantwortete. Ich vermute fast, es ist ihm im Leben oft so ergangen.

Danach habe ich mir die vier Bände, die es damals noch nur im Leineneinband gab, peu à peu zugelegt und mich hineingelesen in die Welt und die Tage der Gesine Cresspahl und ihrer Tochter Marie, die – darauf bestand ihr Autor bei allen Gelegenheiten – keine Figuren sind, sondern Personen waren und mit denen man demgemäß Umgang zu pflegen hatte. Jetzt, 30 Jahre später, sind die vier Bände nicht nur erneut im Taschenbuch aufgelegt worden, sondern auch als eBook; allerdings auch hier immer noch in vier Teilen anstatt als der eine große Roman, als den Johnson den Text gelesen haben wollte. Wahrscheinlich will man bei Suhrkamp Rücksicht auf die Leser nehmen, sich nicht um den Gewinnst bringen von vier Verkäufen statt einem, und wer bei Suhrkamp mag sich überhaupt noch auskennen mit dem, was ein alter Sturkopf ehemals so alles gewollt haben mag. Ich jedenfalls habe die Dateien zum Geburtstag geschenkt bekommen, und die zweiten Lektüre denke ich mehr oder weniger in einem Zug zu vollenden, falls sich bei über 1.800 Seiten von einem solchen Zug überhaupt sprechen lässt.

Zur Entstehung ist anzumerken, dass es wohl ursprünglich eine Trilogie werden sollte, dreimal vier Monate, dass dann aber das dazwischen gekommen ist, was in den Kurzbiographien des Autors „eine Krise“ heißt und eine Zeit der Depression, der Paranoia und des Alkoholismus war. Und so erschien 1973 ein kurzer dritter Band und erst zehn Jahre später dann der abschließende vierte. Manche Kritiker wollten in dem stilistische Brüche entdeckt haben, als hätten sie zur Kritik des letzten die vorherigen tatsächlich noch einmal gelesen oder könnten sich an sie noch erinnern oder was. Es wird sich zeigen, was davon zu halten ist.

Das Roman hat mindestens vier Erzählebenen: Seine Jetztzeit bilden die 367 Tage vom 20. August 1967 bis zum 20. August 1968. Die hauptsächliche Erzählerin ist Gesine Cresspahl, am 3. März 1933 im fiktiven Jerichow in Mecklenburg geboren als Tochter des Tischlers Heinrich Cresspahl und seiner Frau Lisbeth, einer geborenen Papenbrock. Gesine lebt mit ihrer anfangs neunjährigen Tochter Marie seit sechs Jahren in New York. Sie arbeitet als Auslandskorrespondentin bei einer Bank und steht wohl vor einem Karrieresprung, der im Zusammenhang mit den politischen Reformen der Tschechoslowakei zu stehen scheint. Maries Vater ist jener Jakob, über den der Autor zuvor schon einige Mutmassungen niedergeschrieben hatte; überhaupt ist hervorzuheben, dass die Gesamtheit der sogenannten fiktionalen Texte Uwe Johnsons einen einzigen großen Zusammenhang bildet, den im Gedächtnis zu behalten nicht immer einfach ist. Jedenfalls bilden Gesines Leben und das ihrer Tochter die umfassende Erzählung des Romans.

Die zweite Ebene liefert die Erzählung Gesines von der Geschichte ihrer Eltern, die sie ihrer Tochter Marie erzählt, teils direkt, teils auf Tonband, „für wenn sie tot ist“. Gesines Vater Heinrich, Jahrgang 1888, hatte sich im August 1931, bereits wieder auf dem Weg nach England, wo er als Tischlermeister einen Betrieb leitete, in ein junges Mädchen verguckt: Lisbeth Papenbrock, 18 Jahre jünger als er, der er nach Jerichow folgt und mit der er rasch einig wird, dass sie sich heiraten. Sie gehen dann gemeinsam fort aus Deutschland, in dem der Aufstieg der Nazis schon zu begonnen hat, denen der halbe Sozialdemokrat Cresspahl den Willen nicht nur zur Abschaffung der Republik, sondern auch den zum Krieg schon anmerkt. Doch Lisbeth hat Heimweh, nicht nur nach ihrer Familie, sondern auch nach ihrer Mecklenburgischen Landeskirche, und so nutzt sie die bevorstehende Geburt ihres ersten (und letztlich einzigen) Kindes zur Flucht zurück nach Deutschland. Und Cresspahl folgt ihr, widerwillig, aber er folgt ihr und bleibt dort, wo er nur um ihretwillen lebt. Doch auch damit wird Lisbeth nicht glücklich.

Die dritte Ebene bildet die tägliche Zeitungslektüre Gesines: Jeden Tag erwirbt sie die New York Times, aus der heraus die jeweils aktuelle politische und gesellschaftliche Wirklichkeit in den Roman gelangen: der Rassenkonflikt, politische Umtriebe und Skandale, der Krieg in Viet Nam und die Proteste gegen ihn, die Mafia und die alltägliche Kriminalität schlechthin etc. pp. Diese Ebene bietet zum einen Anlass zur Auseinandersetzung zwischen Gesine und Marie, wobei Marie – die erstaunlich klug und redegewandt für ihr Alter ist – im Vergleich zu ihrer Mutter nicht nur einen amerikanischeren Standpunkt einnimmt, sondern aufgrund ihres Alters natürlich auch eine opportunistischere Grundhaltung zeigt.

Die vierte Ebene besteht aus zumeist kurzen Gedankendialogen Gesines mit Lebenden und Toten, in denen sich Gesine oft selbst in ein kritisches Licht setzt. Hier werden die Kompromisse deutlich, die sie eingeht, oft um ihrer Tochter willen, aber sie kritisiert auch ihre eigene Bequemlichkeit, ihre Furcht, als Ausländerin in den USA negativ aufzufallen, ihre Bindungsängste und vieles mehr.

Sowohl das New York des Jahres 1967 als auch das Mecklenburg der 30er Jahre zeichnen sich durch einen großen Reichtum an handelnden Personen aus, wobei es Johnson oft gelingt, eine Person auf wenigen Seiten markant zu charakterisieren. Wer sich einen kurzen Eindruck von Johnsons Erzählkunst verschaffen will, lese zum Beispiel die Charakterisierung des Jerichower Rechtsanwaltes Dr. Avenarius Kollmorgen auf den Seiten 305 ff. (17. November 1967).

Johnson reduziert das Erzählte zumeist auf das Notwendigste, liefert auch häufig zum Verständnis wesentliche Details erst später in anderen Zusammenhängen nach, so dass vom Leser ein gehöriges Maß an Aufmerksamkeit gefordert wird, um den komplexen Beziehungen der Figuren untereinander zu folgen. Dies wird ein wenig dadurch gemildert, dass ab und zu kurze Zusammenfassungen eingeschoben werden, die die Orientierung erleichtern. Auch sprachlich setzt der Text dem Leser einigen Widerstand entgegen: Neben vereinzelten Dialogen im Mecklenburger Platt, fallen heute besonders jene Stellen auf, an denen Johnson englische Wendungen ins Deutsche übersetzt, die heute als Amerikanismen geläufig sind; interessanterweise merkt man gerade an diesen Stellen dem Text am deutlichsten sein Alter an. Und auch sonst ist Johnsons Deutsch eher kantig als eingängig, was wohl als Abbildung eines Deutsch gelesen werden muss, das nicht nur mecklenburgische Wurzeln hat, sondern auch durch den jahrelangen Gebrauch des Englischen verändert wurde.

Der Roman liefert ein außergewöhnlich reiches und differenziertes Bild sowohl des Lebens im Deutschland der ersten Hälfte der 30er Jahre als auch im New York der 60er Jahre. Johnsons prinzipielles Misstrauen gegen Ideologien und eindimensionale Erklärungen sowie seine klare Haltung gegen Rassismus, Diktaturen und Unfreiheit bilden das Fundament der Erzählung, ohne dass der Autor seine Figuren, pardon, Personen mit dieser Grundhaltung überfrachtet. Johnson erzählt, soweit das überhaupt möglich ist, das Leben selbst. Es ist daher nicht verwunderlich, dass im vierten Band Theodor Fontane als Schirmherr dieses Romans herbeizitiert wird.

Was die derzeit verkaufte Kindle-Edition des Romans angeht, so sollte vielleicht nicht unerwähnt bleiben, dass Suhrkamp das Erstellen der betreffenden Dateien noch ein wenig üben muss: Bei Verwendung der sogenannten Verleger-Schriftart zeigt mein Kindle Paperwhite nur graphischen Müll an; bei Wahl einer anderen Schriftart wird auf dem Paperwhite nur Flattersatz angezeigt, während bei Anzeige über die App auf dem iPad die kursive Textauszeichnung komplett verloren geht. Zudem werden die meisten Gedankenstriche nur als Bindestriche dargestellt. Da Suhrkamp derzeit für eBooks nur 1 Cent weniger verlangt als für das entsprechende Taschenbuch, darf man als Käufer wohl ein wenig mehr Sorgfalt bei Herstellung und der Prüfung der Dateien erwarten.

Uwe Johnson: Jahrestage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl. August 1967 – Dezember 1967. Frankfurt: Suhrkamp, 1970. Leinen, Fadenheftung, 478 Seiten. Kindle-Edition. Berlin: Suhrkamp, 2013. 732 KB. 11,99 €.

Wird fortgesetzt …

Aus gegebenem Anlass (VIII) – Bloomsday

De omnibus zusammis

– Wir hatten’s nur in Erwägung gezogen, sagte Stephen.
– Die gesamte Intelligenz, sagte Myles Crawford. Die Jurisprudenz, die klassische Philologie …
– Der Rennsport, warf Lenehan ein.
– Literatur, Presse.
– Wenn Bloom hier wäre, sagte der Professor. Die edle Kunst der Reklame.
– Und Madame Bloom, fügte Mr. O’Madden Burke hinzu. Die Muse des Gesanges. Dublins erste Favoritin.
Lenehan gab ein lautes Husten von sich.
– Ähem, sagte er sehr leise. Ah, bloß ein frischchen bisse Luft! Ich hab eine Erkältung erwischt im Park. Das Tor stand offen.

James Joyce:
Ulysses

James Joyce: Dubliner

Es gab keinen Zweifel: Wenn man erfolgreich sein wollte, musste man von hier weggehen. In Dublin konnte man nichts erreichen.

Joyce_Dubliner

Nach der »Porträt«-Neuübersetzung bei Manesse legt jetzt auch dtv mit »Dubliner« eine neue Joyce-Übersetzung vor. »Dubliner« war im Jahr 1914 Joyces erstes Buch, nachdem er zuvor beinahe ein Jahrzehnt lang versucht hatte, einen Verleger dafür zu finden. Der Band enthält fünfzehn Erzählungen, die alle in Dublin in dem Jahrzehnt um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert spielen. Obwohl die Erzähungen inhaltlich voneinander unabhängig sind, bilden sie zusammen ein musivisches Porträt der Stadt Dublin. Geordnet sind sie grob nach dem Lebensalter ihrer Protagonisten von der Kindheit bis zum späten Erwachsenenalter. Sie spielen im Arbeiter- oder Bürgermilieu, thematisieren eine erhebliche Breite von Lebenssituationen und sind für die meisten heutigen Leser wahrscheinlich eher unauffällig; »Dubliner« ist sicherlich das zugänglichste Buch von Joyce.

Dass Joyce so erhebliche Schwierigkeiten hatte, für die Sammlung einen Verleger zu finden, kann nur historisch verstanden werden: Zwar hatte sich der Naturalismus auf dem europäischen Kontinent inzwischen gut etabliert und war in der Avantgarde auch schon wieder überwunden worden, doch im katholischen und kulturell konservativen Irland stand man der ungeschönten und nicht durch eine idealisierte Gegenwelt gemilderten Darstellung der sozialen Wirklichkeit noch misstrauisch gegenüber. Hinzu kam die offensichtliche Skepsis einiger Figuren in religiösen Fragen, die ebenso unkommentiert stehen blieb wie die Frömmigkeit anderer. So erwies sich Joyce bereits mit seinem ersten Buch als der Zeit voraus, wenn auch vorerst nur der Zeit in Irland. Es ist eine Ironie mehr, dass eines der übergreifenden Darstellungsziele der »Dubliner« eben die Thematisierung der irischen Provinzialität war.

Die Neuübersetzung von Harald Raykowski ist gelungen und eine gute Alternative zu der von Dieter E. Zimmer von 1969. Zimmer hält sich in der Regel enger an die grammatikalischen Strukturen des Originals; dagegen merkt man seinem Wortschatz an, dass seine Übersetzung inzwischen mehr als 40 Jahre alt ist. Raykowski vermittelt dem heutigen Leser den umgangssprachlichen Ton besonders der Dialoge besser. Sicherlich würde ich in einigen wenigen Problemfällen der Übersetzung Zimmers klar den Vorzug, aber diese Bedenken werden vom positiven Gesamteindruck durchaus aufgewogen.

Besonders für Erstleser der Erzählungen oder Joyce-Einsteiger eine gute Wahl.

James Joyce: Dubliner. Aus dem Englsichen übersetzt von Harald Raykowski. dtv 14069. Müchen: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2012. Broschur, 318 Seiten. 9,90 €.

Elizabeth Maguire: Fenimore

Daß auch Harry nur ein ganz normaler Mensch war, der es sich erlaubte, seinem Begehren nachzugeben, erfüllte mich mit einer Art erfürchtigem Respekt.

Maguire_FenimoreKleiner, etwas kitschig geratener Roman, der eine fiktive Autobiographie der US-amerikanischen Schriftstellerin Constance Fenimore Woolson liefert, die man, obwohl zu Lebzeiten durchaus erfolgreich, heute wahrscheinlich kaum mehr kennen würde, wenn ihre Beziehung zu Henry James nicht Anlass zu ausgiebigem Klatsch bieten würde. Elizabeth Maguire liefert, wohl als Akt ausgleichender Ungerechtigkeit, eine Version aus der Sicht Woolsons.

Das Buch überzeugt nicht: Zwar fußt es auf einer offensichtlich gründlichen Kenntnis des Lebens und Werks Woolsons, doch wirkt es stilistisch bemüht und liefert eine erhebliche Menge von Plattitüden, die als Lebensweisheiten verstanden sein wollen. Literarische Peinlichkeiten wie die folgende sind nicht selten genug:

Die Füße gegen den Wind fest in die Erde gestemmt, betrachtete ich die uralten Steine von Stonehenge und bat sie, ihr Geheimnis preiszugeben. Doch es antwortete nur der Wind.

Aufgrund der Tatsache, dass ich weder das Original noch den anderen Roman der Autorin und auch nichts von Woolson kenne, kann ich nicht beurteilen, ob all dies Maguire zuzuschreiben ist oder es sich um einen Versuch stilistischer Imitation handelt. Dass auch das Deutsch der Übersetzerin nicht das beste ist, kann man oben am Motto ablesen. Wie es auch sein mag, schlecht bleibt es allemal.

Elizabeth Maguire: Fenimore. Aus dem Amerikanischen von Christel Dormagen. dtv 13957. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2011. Broschur, 256 Seiten. 9,90 €.

Aus gegebenem Anlass (VI): Bloomsday

What did Bloom do at the range?
He removed the saucepan to the left hob, rose and carried the iron kettle to the sink in order to tap the current by turning the faucet to let it flow.

Did it flow?
Yes. From Roundwood reservoir in county Wicklow of a cubic capacity of 2,400 million gallons, percolating through a subterranean aqueduct of filter mains of single and double pipeage constructed at an initial plant cost of £5 per linear yard by way of the Dargle, Rathdown, Glen of the Downs and Callowhill to the 26 acre reservoir at Stillorgan, a distance of 22 statute miles, and thence, through a system of relieving tanks, by a gradient of 250 feet to the city boundary at Eustace bridge, upper Leeson street, though from prolonged summer drouth and daily supply of 12½ million gallons the water had fallen below the sill of the overflow weir for which reason the borough surveyor and waterworks engineer, Mr Spencer Harty, C.E., on the instructions of the waterworks committee, had prohibited the use of municipal water for purposes other than those of consumption (envisaging the possibility of recourse being had to the importable water of the Grand and Royal canals as in 1893) particularly as the South Dublin Guardians, notwithstanding their ration of 15 gallons per day per pauper supplied through a 6 inch meter, had been convicted of a wastage of 20,000 gallons per night by a reading of their meter on the affirmation of the law agent of the corporation, Mr Ignatius Rice, solicitor, thereby acting to the detriment of another section of the public, selfsupporting taxpayers, solvent, sound.

What in water did Bloom, waterlover, drawer of water, watercarrier returning to the range, admire?
Its universality: its democratic equality and constancy to its nature in seeking its own level: its vastness in the ocean of Mercator’s projection: its umplumbed profundity in the Sundam trench of the Pacific exceeding 8,000 fathoms: the restlessness of its waves and surface particles visiting in turn all points of its seaboard: the independence of its units: the variability of states of sea: its hydrostatic quiescence in calm: its hydrokinetic turgidity in neap and spring tides: its subsidence after devastation: its sterility in the circumpolar icecaps, arctic and antarctic: its climatic and commercial significance: its preponderance of 3 to 1 over the dry land of the globe: its indisputable hegemony extending in square leagues over all the region below the subequatorial tropic of Capricorn: the multisecular stability of its primeval basin: its luteofulvous bed: Its capacity to dissolve and hold in solution all soluble substances including billions of tons of the most precious metals: its slow erosions of peninsulas and downwardtending promontories: its alluvial deposits: its weight and volume and density: its imperturbability in lagoons and highland tarns: its gradation of colours in the torrid and temperate and frigid zones: its vehicular ramifications in continental lakecontained streams and confluent oceanflowing rivers with their tributaries and transoceanic currents: gulfstream, north and south equatorial courses: its violence in seaquakes, waterspouts, artesian wells, eruptions, torrents, eddies, freshets, spates, groundswells, watersheds, waterpartings, geysers, cataracts, whirlpools, maelstroms, inundations, deluges, cloudbursts: its vast circumterrestrial ahorizontal curve: its secrecy in springs, and latent humidity, revealed by rhabdomantic or hygrometric instruments and exemplified by the hole in the wall at Ashtown gate, saturation of air, distillation of dew: the simplicity of its composition, two constituent parts of hydrogen with one constituent part of oxygen: its healing virtues: its buoyancy in the waters of the Dead Sea: its persevering penetrativeness in runnels, gullies, inadequate dams, leaks on shipboard: its properties for cleansing, quenching thirst and fire, nourishing vegetation: its infallibility as paradigm and paragon: its metamorphoses as vapour, mist, cloud, rain, sleet, snow, hail: its strength in rigid hydrants: its variety of forms in loughs and bays and gulfs and bights and guts and lagoons and atolls and archipelagos and sounds and fjords and minches and tidal estuaries and arms of sea: its solidity in glaciers, icebergs, icefloes: its docility in working hydraulic millwheels, turbines, dynamos, electric power stations, bleachworks, tanneries, scutchmills: its utility in canals, rivers, if navigable, floating and graving docks: its potentiality derivable from harnessed tides or watercourses falling from level to level: its submarine fauna and flora (anacoustic, photophobe) numerically, if not literally, the inhabitants of the globe: its ubiquity as constituting 90% of the human body: the noxiousness of its effluvia in lacustrine marshes, pestilential fens, faded flowerwater, stagnant pools in the waning moon.

James Joyce:
Ulysses

James Joyce: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann

Wenn es doch bloß aufklaren würde.

Da James Joyce am 13. Januar 1941 gestorben ist, wurde sein Werk Anfang dieses Jahres gemeinfrei, was es vor allen Dingen von den autoritären Verhinderungsaktionen seines Enkels Stephen befreit. Das Freiwerden der Texte gibt nun nicht nur Gelegenheit zum Nachdrucken, sondern natürlich auch zur Neuübersetzung. Überraschend schnell wurde dies mit Joyce’ erstem Roman, »A Portrait of the Artist as a Young Man« realisiert und das, obwohl mit der Übersetzung von Klaus Reichert (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1972) eine sehr gute Übertragung ins Deutsche bereits vorliegt.

Auf die Frage, ob denn angesichts dieser Übersetzung der Aufwand einer neue Übertragung lohne, antwortete der Übersetzer Friedhelm Rathjen bei der Vorstellung seiner Neuübersetzung im Museum Folkwang: »Es gibt Bücher, von denen kann es gar nicht genug Übersetzungen geben.« Dass es sich beim »Porträt« um ein solches Buch handelt, steht, glaube ich, nicht zur Debatte. Rathjen will seine Übersetzung auch nicht als besser als die Reichertsche verstanden wissen, die er selbst sehr schätzt und mit der er, wie er selbst sagt, »aufgewachsen sei«. Nur sei Reicherts Übersetzung eben schon 40 Jahre alt und zeige für den heutigen Leser dieses Alter auch deutlich. Besonders was die Wiedergabe der Umgangssprache angehe, dränge sich eine Aktualisierung für heutige Leser förmlich auf.

Joyce’ erster Roman hat eine lange Entstehungszeit, die Joyce selbst mit den Daten 1904 bis 1914 am Schluss des Textes dokumentiert. Joyce hat in diesen zehn Jahren allerdings nicht kontinuierlich an dem Text gearbeitet, sondern die Entstehung ruhte in langen Phasen dieses Zeitraums. Zuerst entstand jene Fassung, die Joyce-Leser unter dem Titel »Stephen Hero« (deutsch: »Stephen der Held«, ebenfalls von Klaus Reichert, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1972) kennen und die Fragment geblieben ist. Joyce hatte diesen Text als eine große Bekenntnis-Schrift angelegt, als eine Rechtfertigung für sein Sein und Handeln, aus der sich die Gründe für seinen Weggang aus Dublin sollten ablesen lassen. Dem Mythos nach, den Joyce selbst in die Welt gesetzt hat, hat er zu irgendeinem Zeitpunkt versucht, dieses Manuskript zu verbrennen, was aber angesichts seines unbeschadeten Zustands eher unwahrscheinlich erscheint. Joyce bemerkte aber, dass »Stephen Hero« nicht recht gelingen wollte. Erst als er auf den Bekenntnis-und Rechtfertigungs-Charakter des Textes verzichtete und den Erzähler einen deutlichen Abstand zum Protagonisten Stephen Dedalus einnehmen ließ, gelang die Bearbeitung des Stoffs.

»Ein Porträt des Künstlers als junger Mann« erzählt in personaler Perspektive von Aufwachsen des jungen Intellektuellen Stephen Dedalus im Irland der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Die Erzählung ist in fünf große Abschnitte gegliedert, die grob Altersstufen des Heranwachsenden entsprechen. Die Sprache und der Stoff der Erzählung sind dem jeweiligen Alter des Protagonisten angepasst und entwickeln sich von Kapitel zu Kapitel, von Abschnitt zu Abschnitt. Stephen ist ein begabtes Kind, das trotz dem ökonomischen Niedergang seiner Familie eine hervorragende Ausbildung an jesuitischen Schulen und der katholischen Universität Dublins erhält. Als Pubertierender durchläuft er eine Phase großer Verunsicherung und früher sexueller Erfahrung, die von einer Periode übergroßer Frömmigkeit und religiöser Disziplin abgelöst wird. Aufgrund dieser Hinwendung zur Religion wird Stephen aufgefordert, die Ausbildung zum jesuitischen Geistlichen aufzunehmen, doch scheint gerade dieses Angebot den ersten Anstoß zu Stephens letztlicher Abwendung von aller Religion zu liefern. Stephen wird zum Künstler (Joyce und Stephen sind sich des Zusammenhangs des Wortes Artist mit den Septem artes liberales dabei noch sehr bewusst) und beschäftigt sich als Student dementsprechend mit den ästhetischen Theorien des Aristoteles und Thomas von Aquin. Als Künstler wendet er sich nicht nur von der Religion, sondern auch von dem ihm von seinen Kommilitonen zugemuteten irisch-nationalistischen Engagement ab. Ihm wird bewusst, dass er Irland verlassen muss, um seinen eigenen Weg zu Kunst und Dichtung gehen zu können. Unmittelbar bevor Stephen Irland verlassen wird, bricht der Text der Erzählung ab.

Die Erzählung ist besonders im letzten Teil sehr anspruchsvoll: Es wird wohl nicht viele Leser geben, die den intellektuellen Eskapaden Stephens, seinen freien Variationen über Thesen des Aristoteles und des Aquinaten werden folgen, geschweige denn diese mit Vergnügen werden lesen können. Es scheint mir wenig zweifelhaft, dass das »Porträt« heute vergessen wäre, wenn ihm nicht das Jahrhundertbuch »Ulysses« gefolgt wäre, zu dem es so etwas wie eine Vorschule und -geschichte darstellt. Nicht, dass das Buch missraten wäre – das ist es in keinem Sinne –, es wäre für sich aber wohl kaum auf ein breites Interesse oder Verständnis gestoßen.

Die Neuübersetzung Rathjens muss an keiner Stelle den Vergleich mit der Reicherts scheuen. Sie bietet eine sprachlich präzise, gute Alternative an, die all jenen, denen das Original sprachlich unzugänglich bleibt, zur Lektüre empfohlen werden kann. Der kommentierende Anhang beschränkt sich auf das Notwendigste; die in den Text der Erzählung eingefügten Endnotenziffern, die auf den Kommentar verweisen, sind eine etwas vorlaute Lösung, die beim Versuch einer unbefangenen Erstlektüre eher stören werden. Mit dem als Nachwort angeklebten Essay von Marcel Beyer konnte wenigstens ich nichts anfangen.

James Joyce: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann. Aus dem irischen Englisch übersetzt von Friedhelm Rathjen. Zürich: Manesse, 2012. Leinen, Lesebändchen, 348 Seiten. 24,95 €.

Michael Buselmeier: Wunsiedel

Es war ein schwerer Fehler gewesen, dem Lockruf des alten Intendanten zu folgen und nach Wunsiedel zu fahren, eine fatale Dummheit, die aber nun nicht mehr rückgängig zu machen war.

978-3-88423-362-7Wunsiedel ist der Ort, an dem Jean Paul und der Mörder Carl Sand geboren wurden und Rudolf Heß begraben lag. Es ist auch der Ort, an den der ehemalige Schauspieler  Moritz Schoppe nach 44 Jahren zurückkehrt. 1964 hatte er in Wunsiedel bei den Luisenburg-Festspielen seine Karriere als Schauspieler begonnen, es aber nur schlecht ertragen, dort nicht die intellektuell herausragende Position zugewiesen zu bekommen, derer er sich würdig dünkt. Inzwischen ist er Schriftsteller geworden, eine Profession, die es ihm erlaubt, ausgiebig auf die alten Kollegen und deren Geistesferne zu schimpfen. Dass er dies im Ton Thomas Bernhards versucht, soll wohl der Sache eine ironische Distanz verleihen, tut es aber nicht, sondern bleibt nur eine der Stilübungen, von denen der Roman voll ist.

Neben der Enttäuschung des jungen Schauspielers, nicht unmittelbar als Genie erkannt zu werden, plagt ihn das Heimweh – er vermisst besonders seine ihn allein erzogen habende Mutter – und er wird von seiner Freundin Ulla, einer Neurotikerin aus reichem Elternhaus, per Briefpost verlassen. Während der Erzähler einerseits behauptet, darüber verzweifelt zu sein, unternimmt er andererseits mit einem Kollegen Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der Gegend. Gegen Ende verliert der Roman dann auch noch an formaler Geschlossenheit und der Erzähler erzählt noch rasch ein paar Träume und was ihm sonst noch so einfällt.

Ganz nett sind die Naturbeschreibungen. An einer Stelle gerät der Autor sogar in Versuchung, einen romantischen Geist auftreten zu lassen, aber er traut sich oder auch dem Leser dann doch nicht und plaudert alles aufs Platteste aus. Kein wirklich schlechtes Buch, aber eben auch nicht gelungen. Es wirkt wie ein Produkt aus einer Creative-Writing-Klasse: Der Autor hat gut aufgepasst und weiß nun wie es geht; er hat viel recherchiert und sich einen spannungsreichen Charakter ausgedacht; er schreibt, was er erlebt hat, und mit einer biegsamen Feder und vermag zahlreiche Töne zu treffen, und dennoch fühlt man Absicht und man ist verstimmt.

Michael Buselmeier: Wunsiedel. Theaterroman. Heidelberg: Wunderhorn, 2011. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, 159 Seiten. 18,90 €.

Kennen Sie Ibsen? – Nein, wie jeht das?

Ich nahm mir vor, Jesse die Geschichte von Tschechow zu erzählen, der, als er in einem Moskauer Theater Ibsens Stück Nora sah, seinem Freund zuflüsterte: »Aber hör mal, Ibsen ist kein Dramatiker … Ibsen hat keine Ahnung vom Leben. Im Leben geht es völlig anders zu.«

David Gilmour
Unser allerbestes Jahr

Frank Zumbach: Joyce’ Ulysses

3-492-23138-1 Kurze Einführung in den Ulysses von James Joyce, deren Hauptintention in einer Hilfestellung für Erstleser liegt. Dafür ist das Büchlein gut geeignet, wenn es mir auch zu wenig systematisch ist. Auch das große Gewicht, das Zumbach auf die autobiografische Unterfütterung des Textes legt, scheint mir für eine solche Einführung verfehlt. Aber das sind Ansätze, die sich aus der jeweils individuellen Begegnung mit dem Ulysses ergeben; da muss am Ende jeder Leser seinen eigenen Gang gehen.

Der Hauptteil des Buches erzählt die Handlung des Ulysses kapitelweise nach. Das ist für Einsteiger wahrscheinlich die wichtigste Orientierungshilfe.  Auch die Anspielungen auf die Episoden der Odyssee und die Referenz der einzelnen Kapitel auf Körperteile und Organe erläutert Zumbach. Die Nacherzählungen sind hier und da etwas lückenhaft, an anderer Stelle, so etwa beim Circe-Kapitel, muss man der Leistung des Nacherzählers aber durchaus Respekt zollen.

Den einzigen wirklichen Mangel würde ich darin sehen, dass Zumbach ein Grundprinzip der Textgestaltung nicht deutlich genug herausarbeitet: Im Ulysses wird nicht die Form an den Inhalt angepasst, sondern die Form erzeugt den Inhalt. So ist es zum Beispiel nicht so, dass Bloom in Nausikaa nach Sandymount versetzt wird, weil die Familie Dignam dort wohnt, sondern die Familie Dignam wohnt dort, damit das nachfolgende Kapitel, Die Rinder des Sonnengottes, mit der Formel »Deshil Holles Eamus« beginnen kann. »Deshil« meint hier nämlich soviel wie »der Sonne entgegen«, englisch »sunward«, was zugleich eine Anspielung darauf ist, dass sich Leopold Bloom nun seinem geistigen Sohn Stephen Dedalus nähert. Daher muss Leopold Bloom nach Westen gehen, der untergehend Sonne entgegen, und deshalb verfrachtet ihn Joyce an den Strand von Sandymount. Es ist im Ulysses die Sprache, die die Fabel hervorbringt, nicht umgekehrt.

Unverständlich ist, warum das Bändchen nicht lieferbar ist, da offenbar eine erhebliche Nachfrage besteht. Bei Amazon werden derzeit für gebrauchte Exemplare Fantasiepreise von knapp 50,– € bis über 80,– € verlangt. Es sei an dieser Stelle nochmals beklagt, dass Suhrkamp Hugh Kenners Buch über den Ulysses – bei Amazon schon für 2,90 € zu bekommen – nicht mehr druckt, das meiner unmaßgeblichen Meinung nach immer noch die beste Einführung ins Buch liefert.

Frank Zumbach: Joyce’ Ulysses. Serie Piper 3138. München: Piper, 32004. 144 Seiten. 7,90 €.

Denis Johnson: Tree of Smoke

978-0-330-44921-2Merkwürdiger Agenten-Roman um eine Gruppe von etwa einem halben Dutzend Figuren, deren Geschichten mehr oder weniger eng miteinander verbunden sind. Heimliches Zentrum des Buches ist Colonel Francis Xavier Sands, ein Kriegsheld des Zweiten Weltkriegs, der inzwischen für die CIA arbeitet. Was genau er tut, bleibt eher schleierhaft; überhaupt scheint die gesamte Agententätigkeit des Buches unter dem Motto zu stehen: »Unsere Tätigkeit ist so geheim, dass nicht einmal wir wissen, was wir eigentlich tun.« Jedenfalls scheitert das einzige konkrete Projekt des Colonels, die Anwerbung eines Doppelagenten in Vietnam, mustergültig am Widerstand einer anderen US-Geheimdienst-Fraktion. Das dem Buch den Titel gebende Projekt »Tree of Smoke«, womit letzten Endes nichts anderes gemeint ist als die Feuer- bzw. Rauchsäule, die den Israeliten bei ihrem Zug durch die Wüste vorausgezogen sein soll, bleibt jedenfalls vollständig nebulös, ja scheint zeitweise nichts anderes zu sein als ein Hoax, mit dem sich Colonel Sands Geld und Einfluss verschafft.

Das Buch handelt im Wesentlichen in den Jahren 1963 bis 1970 auf den Philippinen und in Vietnam; beschlossen wird es mit einem Sprung in das Jahr 1983, womit der Autor versucht, wenigstens einige seiner Erzählstränge abzuschließen. Das Schicksal des Colonels bleibt auch am Ende des Buches ungeklärt: vielleicht ist er in Vietnam ermordet worden, vielleicht hat er seinen Tod auch nur vorgetäuscht und lebt als Waffenschieber in Thailand. Sein Enkel William »Skip« Sands jedenfalls wird im benachbarten Malaysia als Waffenhändler verurteilt und hingerichtet.

Das Buch hat einen relativ simplen Plot und erscheint ausschließlich aufgrund der einander abwechselnden Erzählstränge komplex. Nachdem man sich einmal daran gewöhnt hat, wird das Buch bald ein wenig langweilig, da sich der Autor über Seiten hinweg weigert, seine Geschichte voranzubringen. Man kann sich dem Eindruck kaum entziehen, dass das Buch für das, was es zu erzählen hat, deutlich zu lang geraten ist. Es kommt hinzu, dass der Autor konsequent jeden Versuch unterlässt, auch nur eine seiner Hauptfiguren mit einer einigermaßen anspruchsvollen Psyche auszustatten. Ersatzweise beschäftigt sich Skip mit der Hinterlassenschaft eines französischen Arztes und stochert in der Anthropologie Georges Batailles herum. Bei anderen Figuren muss statt einer psychischen Ausstattung die Religion oder der Anti-Kommunismus herhalten. Auch was die Geschichte des Vietnam-Krieges oder die Kultur Vietnams angeht, hat das Buch nur wenig anzubieten.

Angesichts eines solchen Befundes bleibt es mir unverständlich, warum ein solcher Hype um das Buch gemacht wurde und warum es den National Book Award 2007 gewonnen hat. Den auf dem Umschlag zitierten Vergleich mit Joseph Hellers Catch-22 hält das Buch jedenfalls nicht aus.

Denis Johnson: Tree of Smoke. London: Picador, 2008. Paperback, 616 Seiten. Ca. 10,– €.