Eckhard Henscheid / Immanuel Kant: Der Neger (Negerl)

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Angesichts der sich gerade überschlagenden Diskussion um das Übersetzen literarischer Texte in eine gerechte Sprache – es wird für nachfolgende Jahrhunderte wenige andere vergleichbar schlagende Beispiele für die vollkommene Bodenlosigkeit der rezenten Kulturstufe geben – sei wenigstens an dieser Stelle an ein kleines Büchlein aus den goldenen Zeiten des seligen Haffmans Verlages erinnert. Nur zum Zwecke der Demonstration soll hier zumindest eine Stelle ausführlicher zitiert werden:

Goethe war kein Neger noch scherte er sich viel um sie. Ganz anders dagegen Franz Kafka. Er legte dem Brief an Felice vom 24. 11. 1912 eine Notiz aus dem ›Prager Tagblatt‹ vom 25. 9. über die »Seligsprechung der 22 christlichen Negerjünglinge von Uganda« bei, welche »als erste Blutzeugen vor 26 Jahren für den Glauben den Verbrennungstod erlitten«:

Wie aus Rom von der Zentrale der St. Petrus Claver-Sodalität gemeldet wird, waren die Kardinäle, welche die Angelegenheit zu beraten hatten, über den Heldenmut der jugendlichen Märtyrer bis zu Tränen ergriffen. Es herrscht über die Nachricht des eingeleiteten Se­lig­spre­chungs­ver­fah­rens allenthalben bei den Negern und besonders bei denen von Nord-Viktoria-Nyanza, der Heimat der ersten Märtyrer, der größte Jubel, den sie in Tänzen und Sprüngen zum Ausdruck brachten.

Kafka beauftragt Felice, den Artikel aufzubewahren, und kommentiert: »Fast jeden zweiten Tag finde ich in der Zeitung eine derartige, für mich allein bestimmte Nachricht.«

Abgesehen von Kafkas überaus einleuchtender Nachrichten- und Medientheorie (jeder muß nur je einen Artikel in je einer Zeitung lesen) – […]

Jeder denkende Mensch mache sich bitte klar, dass falls die die Diskussion beherrschenden Hysteriker den Sieg davontragen werden (und alles sieht danach aus), ein solcher Text nie wieder wird gedruckt werden können. Das ist zwar keine Zensur, wie die Nichtsnutze der anderen Seite schreiend behaupten, aber es ist schlimmer: Es handelt sich um die Selbstverstümmelung einer Kultur aufgrund galoppierender Dummheit.

Eckhard Henscheid / Immanuel Kant: Der Neger (Negerl). Zürich: Haffmans, 1988. Pappband, Fadenheftung, 174 Seiten. Nie wieder im Buchhandel erhältlich.

Aus meinem Poesiealbum (VI)

Es ist schon ein großer und nötiger Beweis der Klugheit oder Einsicht, zu wissen, was man vernünftiger Weise fragen solle. Denn, wenn die Frage an sich ungereimt ist, und unnötige Antworten verlangt, so hat sie, außer der Beschämung dessen, der sie aufwirft, bisweilen noch den Nachteil, den unbehutsamen Anhörer derselben zu ungereimten Antworten zu verleiten, und den belachenswerten Anblick zu geben, daß einer (wie die Alten sagten) den Bock melkt, der andre ein Sieb unterhält.

Immanuel Kant
Kritik der reinen Vernunft
B 82 f.