Sibylle Lewitscharoff: Blumenberg

Gerhard war ein lieber, kluger Kerl, aber sie brauchte einen Mann, der sie mit Stumpf und Stiel ausrottete.

978-3-518-42244-1Beginnen wir mit dem Positiven: Natürlich ist es verdienstvoll, wenn eine der bekannteren jungen Autorinnen einen Roman einem der unbekannteren deutschen Philosophen widmet. Hans Blumenberg (1920–1996) ist eine wirkliche Berühmtheit als deutscher Philosoph, wie sie etwa Jürgen Habermas oder Hans Georg Gadamer erlangt haben (an Darsteller wie Peter Sloterdijk oder Rüdiger Safranski wollen wir hier gar nicht erst denken), erspart geblieben. Dazu war Hans Blumenbergs anthropologisches Denken wohl nicht recht geeignet, da sich aus seiner Position nur schlecht handfeste und eingängige gesellschaftliche Thesen ableiten ließen. Überhaupt behindert Blumenbergs tiefes Misstrauen gegen alle starken systematischen Zugriffe auf die Welt eine schlagwortartige Aufbereitung seines Denken, die ja in den meisten Fällen die Grundlage einer breiteren Popularisierung einer Philosophie bildet. Wer hat nicht schon alles vom Ding an sich, dem Weltgeist, der Dialektik der Aufklärung oder der Diskurs-Ethik geschwatzt, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, worum es dabei eigentlich geht.

Auf der anderen Seite handelt es sich bei Hans Blumenberg zugleich um einen der zugänglichsten deutschsprachigen Philosophen des 20. Jahrhunderts, da man bei ihm eine sehr niedrige Einstiegsschwelle zum Werk findet: Blumenberg hat zahlreiche kurze Texte für Tageszeitungen verfasst, sehr oft Miniaturen, die wenig Vorwissen und nahezu keine philosophische Vorbildung voraussetzen. Der Suhrkamp Verlag hat eine reiche Auswahl dieser Texte in der Bibliothek Suhrkamp wieder abgedruckt, die eine beinahe unverbindliche Bekanntschaft mit diesem originellen Denker ermöglichen. (Ich werde hier zeitgleich mit dieser Besprechung eine des Bändchens »Löwen« veröffentlichen.)

Lewitscharoffs Erzählung beginnt im Jahr 1982, also nur wenige Jahre bevor Hans Blumenberg emeritiert. Zu Anfang entdeckt Blumenberg nächtens in seinem Arbeitszimmer einen Löwen, der sich allerdings nicht weiter um ihn kümmert. Auch am nächsten Tag erscheint der Löwe bei einer Vorlesung, doch scheint ihn außer Blumenberg keiner wahrzunehmen. Als Blumenberg eines Tages einen auf den Tod kranken Freund besucht und ihn der Löwe dabei begleitet, trifft er auf eine Nonne, die den Löwen ebenfalls sehen kann und mit Blumenberg einige lobende Worte über ihn wechselt. Später sieht Blumenberg den Löwen wieder in seinem Arbeitszimmer. Er wagt es aber nicht, mit einem befreundeten Journalisten über die Erscheinung des Löwen zu sprechen. Noch später stirbt Blumenberg.

Blumenberg hat naturgemäß auch Studenten. Isa ist in Blumenberg verliebt und sitzt bei allen seinen Vorlesungen in der ersten Reihe. Sie hat eine Liebelei mit Gerhard. Isa springt von einer Brücke vor einen Laster. Keiner versteht warum; auch der Leser nicht. Gerhard wird Philosophie-Professor und stirbt an einem Schlaganfall. Wenigstens da kann man sich für einen Moment lang einbilden, man verstehe warum. Richard ist Gerhards Freund und macht eine kleine Erbschaft, die es ihm erlaubt, in Südamerika ermordet zu werden. Hansi ist niemandes Freund und schreibt Gedichte, die sich reimen und die er in Gaststätten vorträgt. Er schnappt über und bricht, als man ihn abführt, tot zusammen. Nachdem alle tot sind, treffen sie sich in einer Höhle (vielleicht sogar der platonischen?) wieder und die Autorin raunt noch ein paar weitere Seiten zusammen, bevor das Buch dann endlich aus ist.

Ich gebe zu, dass meine Zusammenfassung etwas knapp geraten ist. Immerhin erfährt der nicht eingeschlafene Leser noch, dass das Ehepaar Blumenberg mit einem befreundeten Ehepaar und deren Mercedes in Ägypten war. Und dass Blumenberg gern Auto fährt. Wer aber hofft, auch nur Rudimentäres über Blumenbergs Philosophie zu erfahren oder mehr als zufällige Fragmente seiner Biographie, der wird sich enttäuscht finden. Am Ende weiß man fast mehr vom Löwen als über die Figuren, von Hans Blumenberg ganz zu schweigen.

Kollege Mangold vermutet, das Buch berge ein Geheimnis, das es nicht preisgebe. Ich vermute, die Autorin hat nicht so recht herausgefunden, was sie denn eigentlich erzählen will und sich ins Raunen gerettet; wenn sie es wenigstens noch in gutem Deutsch getan hätte. Ganz am Ende des Buchs bittet die Autorin um »Nachsicht«; verbuche ich die 21,90 € also unter Milde Gaben.

Sibylle Lewitscharoff: Blumenberg. Berlin: Suhrkamp, 2011. Bedruckter Pappband, 221 Seiten. 21,90 €.

Erinnerungslücke

Das Thema Karl May und Arno Schmidt scheint gerade in der Luft zu liegen: Nun hat die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff die Karl-May-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin besucht und bei der Süddeutschen Zeitung (Nr. 201, Samstag/Sonntag, 1./2. September 2007, S. 13) einen Bericht darüber abgeliefert. Darin erinnert sie sich nicht nur daran, ein Indianer sein gewollt, sondern auch Arno Schmidts »Sitara und der Weg dorthin« gelesen zu haben. Zumindest an letzterem sind berechtigte Zweifel angebracht. Lewitscharoff schreibt:

Man nehme als Beispiel Arno Schmidt, ein radikal Faszinierter, dem Karl May wie ein Alb auf der Brust lag, der sich fast ein Leben lang mit ihm beschäftigte, um den falschen Bruder schließlich mit hohem Aufwand von sich wegzustoßen. In meiner Erinnerung ist sein „Sitara und der Weg dorthin“ eher ein verzweifeltes denn bewunderungswürdiges Werk der Affektsezierung und Affektverpuffung. Zweifellos hatte Amo Schmidt recht, wenn er im Marterpfahl den Phallus erkannte und in zig Landschaftsbeschreibungen eine weibliche Topographie aus Busen und Schößen beschrieben sah. Doch mit Skalpell, Pinzette und vulgär-freudianischem Besteck rückte Meister Schmidt dem toten May derart verbohrt zu Leibe, dass er im Pathologenkittel so komisch wirkte wie sein hassgeliebtes Opfer.

Fangen wir mit dem Gröbsten an: Lewitscharoff behauptet, Schmidt habe in den Landschaftsbeschreibungen Mays »eine weibliche Topographie aus Busen und Schößen beschrieben« gesehen. Nun besteht ja die Grundthese von Schmidts Buch gerade darin, dass die Mayschen Landschaften Ausdruck einer unterdrückten Invertiertheit des Autors waren, also durchweg Repräsentationen männlicher Hintern darstellen. Diese Behauptung durchzieht das Buch mit einer solchen Penetranz, dass es schon ein sehr merkwürdiger Erinnerungsfehler ist, das aus der Landschaft herausgelesene Geschlecht zu verwechseln. Wie konnte es dazu kommen?

sitara-1 Schmidt hat für die Erstausgabe des Buches zwei kleine Zeichnungen angefertigt, die vom Verlag als Vorsatz vorn und hinten im Buch eingesetzt wurden. Die vordere ist links zu sehen und zeigt das Schema der Mayschen Landschaften: Eine Wüste oder Ebene durchzogen von einer Schlucht, in deren Mitte sich ein meist kreisrunder See findet. Dieses Muster findet Schmidt immer und immer wieder, und es bestimmt – um einen weiteren Schritt abstrahiert – auch den Aufbau jenes Planeten Sitara in Mays »Das Märchen von Sitara«. Von Busen und Schößen keine Spur.

sitara-2Wendet man sich aber dem hinteren Vorsatzpapier zu, findet man dort eine ganz andere Zeichnung. Hier lässt die skizzierte Landschaft leicht die von Lewitscharoff angeführten Assoziationen zu. Nun muss man das Buch allerdings gelesen haben, um auf den letzten Seiten zu erfahren, dass hier gar keine Landschaft Mays abgebildet ist, sondern die idealtypische Landschaft bei Adalbert Stifter, wenigstens in Schmidts Lektüre. Schmidt führt diesen zweiten Fall als Unterstützung seiner allgemeinen These von der »unbewußten Abbildung von Leibreizen in der Literatur« an, wie das Phänomen in »Kundisches Geschirr« genannt wird. Ob etwas und eventuell was an Schmidts These dran ist, kann hier getrost unerörtert bleiben.

Dass Lewitscharoff über ein Buch schreibt, das sie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden oder dessen Inhalt sie gleich wieder vergessen hat, ist eine Sache. Dass sie Schmidts humoristisches Buch über den Schwachkopf May, den Schmidt als Schriftsteller im Großen und Ganzen ganz richtig einzuschätzen wusste (»ein gewaltiger Pfuscher«, »einwandfrei […] ein unerschöpfliches Chaos von Kitsch & Absurditäten« und so passim), zu einem verzweifelten Werk kleinredet und vom Autor statt dem Buch behauptet, komisch zu sein, ist eine andere. Das beweist entweder hochgradige Humorlosigkeit oder aber Unaufrichtigkeit und Eitelkeit. Wollen wir für sie hoffen, dass sie einfach zu dumm war, um über das Buch lachen zu können.