Der Untergang der Essex wäre heute wahrscheinlich ebenso vergessen wie zahlreichen andere Schiffskatastrophen vergangener Jahrhunderte, wenn er nicht das Vorbild für den Untergang der Pequod in Herman Melvilles »Moby-Dick« geliefert hätte. Melville lernte den Bericht Owen Chase’, des 1.Offiziers der Essex, bereits kennen, als er selbst noch auf einem Walfänger unterwegs war, erhielt sein eigenes Exemplar des Buches aber erst 1851, als sein Roman bereits weitgehend fertiggestellt war.
Natürlich darf das Schicksal der Essex auch ohne Beziehung auf den »Moby-Dick« Interesse für sich beanspruchen: Immerhin betont Chase in seiner Schilderung der Ereignisse, dass es unerhört sei, dass jemals ein Walfangschiff von einem Pottwal gezielt und direkt angegriffen, geschweige denn versenkt worden sei. Was die Zeitgenossen an dem Fall faszinierte, war aber nicht nur die außergewöhnliche Ursache des Untergangs der Essex, sondern auch das Schicksal der wenigen Überlebenden, die letztlich zum Kannibalismus Zuflucht nehmen mussten. Allein schon aus diesem schaurigen Detail erklärt sich, dass der Fall der Essex breit besprochen und noch nach Jahrzehnten bekannt war.
Der Band bei Penguin versammelt alle bekannten Quellen direkt von der Katastrophe Betroffener, von denen einzig der Bericht von Owe Chase in Buchform erschien. Der Bericht von Thomas Nickelson, dem jüngsten Mitglied der Crew der Essex, ergänzt den von Chase insoweit ganz gut, als Chase die Fahrt der Essex vor der Versenkung des Schiffs nur sehr rasch abhandelt. Im Zusammenhang mit Melville sind diese und die weiteren Quellen allerdings nicht erheblich, da er sie nicht gekannt haben kann.
Zusätzlich zu den Primärquellen werden die Notizen dokumentiert, die sich Melville auf den letzten, leeren Seiten seines Exemplars von Chase’ Bericht machte. Allerdings tragen diese Notizen zum Verständnis von »Moby-Dick« nur wenig bei; einzig dass sich Melville anhand des Buches von Chase selbst über die Glaubwürdigkeit des Endes seines Romans beruhigte, könnte vielleicht von Interesse sein.
Alles in allem ein ganz nettes Bändchen, wenn es auch nur von begrenztem Nutzen für den Melville-Leser ist.
Thomas Nickerson, Owen Chase, a. o.: The Loss of the Ship Essex, Sunk by a Whale. First Person Accounts. Ed. by Nathaniel and Thomas Philbrick. New York: Penguin, 2000. Broschur, 231 Seiten. Ca. 11,– €.