Hartwig Schultz: Joseph von Eichendorff

Insel legt mit diesem Buch wenige Tage vor dem 150. Todestag Eichendorffs die fällige neue Biographie des letzten echten Romantikers vor. Der Autor hat durchaus einen guten Namen in Sachen Eichendorff: Er ist Mitherausgeber der großen Eichendorff-Ausgabe beim DKV und hat auch bei Reclam nicht nur die neue, illustrierte Taugenichts-Ausgabe herausgegeben, sondern auch zahlreiche Anthologien betreut und Texte kommentiert. Um so verwunderlicher ist es, dass seine Eichendorff-Biographie in Teilen oberflächlich und uninteressant bleibt.

Schon seine späten Zeitgenossen hatten mit der Wahrnehmung Eichendorffs einige Schwierigkeiten: Seine Werke hatten sich überlebt und schienen bereits einer anderen Epoche anzugehören, seine katholische Grundüberzeugung passte nur ungenügend in die immer säkularere Zeit, und so musste es der alte Eichendorff erleben, bereits vor seinem Ableben literaturgeschichtlich für tot erklärt worden zu sein. Was im Wesentlichen geblieben ist, ist sein Taugenichts, der zu einem erklärten Lieblingsbuch der Deutschen wurde, dem von Fontane und Thomas Mann sogar zugemutet wurde, ein Idealbild der Deutschen zu liefern, und das, inzwischen zur Schullektüre heruntergekommen, bis dato nur selten in seinem motivischen und artifiziellen Reichtum verstanden und erschlossen worden ist. Interessanterweise kann auch Schultz mit dem Text so wenig anfangen, dass er – trotz seiner Herausgeberschaft und seinem Status als Kommentator – nicht einmal in der Lage ist, die Fabel einigermaßen stimmig und vollständig wiederzugeben. Auch scheint er gänzlich taub zu sein für jeglichen Humor Eichendorffs; nur an einer Stelle äußert er den Verdacht, es könne sich um eine »vielleicht sogar ironische gedachte – Darstellung eines literarischen Modells der Romantik« handeln, lässt sich aber in seinen weiteren Ausführungen von diesem Einfall nicht weiter verunsichern. Dafür unterschlägt er beim Nacherzählen die Liebesintrige und den Aufenthalt auf dem Schloss, versetzt die Prager Studenten einfach an eine andere Stelle im Text – es kommt ja ohnehin nicht so genau drauf an, nicht wahr?

Auch ansonsten herrschen allenthalben Oberflächlichkeit und Schlamperei: Da heißt Eichendorffs Versepos Julian auch gern einmal »Julius« oder sein Robert und Guiscard wird zum beinahe schon Kleistschen »Robert Guiscard« verkürzt. Oder Schultz gibt die Nummern der immerhin von ihm mit herausgegebenen Taschenbuch-Bände der DKV-Ausgabe falsch an. Oder der Leser wird mit tiefen Einsichten in die Motivik der Romantik überrascht: »Offensichtlich führte die oft einsame Lage der Mühlen dazu, daß dieser Ort seit je mit Liebesbegegnungen in Verbindung gebracht wurde.« Ja, ja, offensichtlich! Oder zur Geschichte der Romantik: »Heute werden Eichendorff und Heine beide zu den größten Dichtern der deutschen Romantik gezählt, aber es waren eben Dichter und keine Verfasser objektiv abwägender Literaturgeschichten.« Und der Thomas Mannsche Wind zum Taugenichts wird kommentiert: »Thomas Manns ausführliche Charakteristik von Eichendorffs Werk und seinem Helden ist – wie könnte es anders sein – treffend und überzeugend.« Wie es anders sein könnte? Selbstgefälliges Geschwafel könnte es sein, wie so oft bei Thomas Mann!

Bei Werken, zu denen Schultz gar nichts eingefallen ist, zitiert er einfach ausführlich zeitgenössische Rezensionen, ohne klar zu machen, warum die damaligen Urteile für den heutigen Leser erheblich sein sollen. Überhaupt macht das Buch an keiner einzigen Stelle klar, was an Eichendorff 150 Jahre nach seinem Tod für Leser noch von Interesse sein könnte. Es kann sich ja nicht in der Feststellung erschöpfen, dass zahlreiche seiner Lieder heute noch gesungen werden.

Ein Buch, dem man die Lustlosigkeit und Zeitnot des Verfassers allenthalben anmerkt. Es hat einzig den Vorteil, nicht ganz so umfangreich zu sein wie die Biographie von Günther Schiwy (C.H. Beck, 2000), die inzwischen auch an einigen wenigen Stellen überholt ist, ist aber höchstens zur ersten und oberflächlichen Information geeignet. Der Eichendorff-Liebhaber oder gar -Kenner sollte seine Zeit besser verwenden als mit der Lektüre dieses alles in allem doch ärgerlichen Buches.

Hartwig Schultz: Joseph von Eichendorff. Frankfurt/M.: Insel, 2007. Pappband, 368 Seiten. 22,80 €.

Dunkel war’s, der Mond schien helle …

In seiner soeben erschienenen Biographie Josephs von Eichendorff zitiert Hartwig Schultz gleich zu Anfang den offensichtlich an der Goetheschen Selbstdarstellung in »Dichtung und Wahrheit« ironisch entlang geschriebenen Bericht Eichendorffs von den äußeren Umständen seiner Geburt:

Es war eine tiefe, stille, klare Winternacht des Jahres 1788, die Konstellation war überaus günstig, Jupiter und Venus blinkten freundlich auf die weißen Dächer, der Mond stand im Zeichen der Jungfrau und mußte Schlag Mitternacht kulminieren.

Schultz merkt dazu an:

Alle Umstände der Geburt sind in den autobiographischen Entwürfen, die unter dem Titel Unstern überliefert sind, so präzise beschrieben, daß der Leser annehmen muß, der Autor habe sich genau erkundigt. Eichendorff gibt nicht nur die Wetterbedingungen zum Zeitpunkt seiner Geburt an, sondern scheint auch den Stand der Gestirne ergründet zu haben – ganz so genau hat er es aber doch nicht genommen, da die Venus um Mitternacht natürlich längst untergegangen ist. [S. 7]

Liest man Eichendorffs Text genau, so bemerkt man, dass dort gar nicht steht, Venus sei um Mitternacht noch am Himmel sichtbar gewesen, sondern nur, dass der Mond um Mitternacht habe kulminieren müssen. Nun hat Schultz aber dennoch recht, er weiß es bloß nicht, da er – wie unter Germanisten üblich – lieber halbgebildet daherfaselt, als sich auch nur für fünf Minuten mit einer fachfremden Sache ernsthaft zu befassen. Ansonsten hätte er nämlich herausfinden können, dass am 8. März 1788 Neumond gewesen ist und der noch nicht zwei Tage alte Mond am 9. März schon vor 8 Uhr abends, etwa eine Stunde vor der Venus, untergegangen war. Von einer Kulmination um Mitternacht konnte also gar keine Rede sein. – Ja, wenn man’s nur ein bißchen tiefer wüßte.

Erinnerungslücke

Das Thema Karl May und Arno Schmidt scheint gerade in der Luft zu liegen: Nun hat die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff die Karl-May-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin besucht und bei der Süddeutschen Zeitung (Nr. 201, Samstag/Sonntag, 1./2. September 2007, S. 13) einen Bericht darüber abgeliefert. Darin erinnert sie sich nicht nur daran, ein Indianer sein gewollt, sondern auch Arno Schmidts »Sitara und der Weg dorthin« gelesen zu haben. Zumindest an letzterem sind berechtigte Zweifel angebracht. Lewitscharoff schreibt:

Man nehme als Beispiel Arno Schmidt, ein radikal Faszinierter, dem Karl May wie ein Alb auf der Brust lag, der sich fast ein Leben lang mit ihm beschäftigte, um den falschen Bruder schließlich mit hohem Aufwand von sich wegzustoßen. In meiner Erinnerung ist sein „Sitara und der Weg dorthin“ eher ein verzweifeltes denn bewunderungswürdiges Werk der Affektsezierung und Affektverpuffung. Zweifellos hatte Amo Schmidt recht, wenn er im Marterpfahl den Phallus erkannte und in zig Landschaftsbeschreibungen eine weibliche Topographie aus Busen und Schößen beschrieben sah. Doch mit Skalpell, Pinzette und vulgär-freudianischem Besteck rückte Meister Schmidt dem toten May derart verbohrt zu Leibe, dass er im Pathologenkittel so komisch wirkte wie sein hassgeliebtes Opfer.

Fangen wir mit dem Gröbsten an: Lewitscharoff behauptet, Schmidt habe in den Landschaftsbeschreibungen Mays »eine weibliche Topographie aus Busen und Schößen beschrieben« gesehen. Nun besteht ja die Grundthese von Schmidts Buch gerade darin, dass die Mayschen Landschaften Ausdruck einer unterdrückten Invertiertheit des Autors waren, also durchweg Repräsentationen männlicher Hintern darstellen. Diese Behauptung durchzieht das Buch mit einer solchen Penetranz, dass es schon ein sehr merkwürdiger Erinnerungsfehler ist, das aus der Landschaft herausgelesene Geschlecht zu verwechseln. Wie konnte es dazu kommen?

sitara-1 Schmidt hat für die Erstausgabe des Buches zwei kleine Zeichnungen angefertigt, die vom Verlag als Vorsatz vorn und hinten im Buch eingesetzt wurden. Die vordere ist links zu sehen und zeigt das Schema der Mayschen Landschaften: Eine Wüste oder Ebene durchzogen von einer Schlucht, in deren Mitte sich ein meist kreisrunder See findet. Dieses Muster findet Schmidt immer und immer wieder, und es bestimmt – um einen weiteren Schritt abstrahiert – auch den Aufbau jenes Planeten Sitara in Mays »Das Märchen von Sitara«. Von Busen und Schößen keine Spur.

sitara-2Wendet man sich aber dem hinteren Vorsatzpapier zu, findet man dort eine ganz andere Zeichnung. Hier lässt die skizzierte Landschaft leicht die von Lewitscharoff angeführten Assoziationen zu. Nun muss man das Buch allerdings gelesen haben, um auf den letzten Seiten zu erfahren, dass hier gar keine Landschaft Mays abgebildet ist, sondern die idealtypische Landschaft bei Adalbert Stifter, wenigstens in Schmidts Lektüre. Schmidt führt diesen zweiten Fall als Unterstützung seiner allgemeinen These von der »unbewußten Abbildung von Leibreizen in der Literatur« an, wie das Phänomen in »Kundisches Geschirr« genannt wird. Ob etwas und eventuell was an Schmidts These dran ist, kann hier getrost unerörtert bleiben.

Dass Lewitscharoff über ein Buch schreibt, das sie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden oder dessen Inhalt sie gleich wieder vergessen hat, ist eine Sache. Dass sie Schmidts humoristisches Buch über den Schwachkopf May, den Schmidt als Schriftsteller im Großen und Ganzen ganz richtig einzuschätzen wusste (»ein gewaltiger Pfuscher«, »einwandfrei […] ein unerschöpfliches Chaos von Kitsch & Absurditäten« und so passim), zu einem verzweifelten Werk kleinredet und vom Autor statt dem Buch behauptet, komisch zu sein, ist eine andere. Das beweist entweder hochgradige Humorlosigkeit oder aber Unaufrichtigkeit und Eitelkeit. Wollen wir für sie hoffen, dass sie einfach zu dumm war, um über das Buch lachen zu können.

Roger Paulin: Theodor Storm

Um Storm scheint es derzeit etwas ruhig zu sein: Außer der veralteten Rowohlt-Bildmonographie von Hartmut Vincon ist derzeit wohl keine Storms Leben vollständig beschreibende Biographie auf dem Markt. Die beiden letzten stammen, soweit ich sehe, von Georg Bollenbeck (Insel, 1988; demnächst in diesem Theater) und eben Roger Paulin, der innerhalb der Reihe der Beck’schen Autorenbücher ein Storm-Porträt abliefert.

Wie bei der Reihe üblich, ist das Buch zugleich Kurzbiographie und Werkeinführung und zielt auf eine studentische Leserschaft ab, die sich schnell einen Überblick zu einem Autor verschaffen will. Diesem Anspruch genügt das Buch vorbildlich. Paulin ist offensichtlich ein exzellenter Kenner Storms und findet bei der Besprechung ein ausgewogenes Verhältnis von Prosa und Lyrik – er schließt sich übrigens Storms Selbsteinschätzung an, einer der bedeutendsten Lyriker des 19. Jahrhunderts zu sein. Er geht bei der Erschließung der Werke von der Autorenpoetik aus und setzt Storms Dichtung von den zeitgenössischen Hauptströmungen ab, ohne sie dabei in die Kategorie Heimatdichtung abzuschieben. Auch persönliche und ökonomische Bedingungen der Produktion werden knapp, aber treffsicher thematisiert. Angesichts des derzeitigen Mangels an Biographischem zu Storm ist es trotz seinem nicht unbeträchtlichen Alter zu bedauern, dass dieses Buch von Beck nicht weiter aufgelegt worden ist.

Roger Paulin: Theodor Storm. Beck’sche Reihe 622. München: Beck, 1992. 144 Seiten.

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Nun standen die jungen Leute, die noch in das Spiel hineinwollten, frierend und fußtrampelnd vor dem Kirchspielskrug und sahen nach der Spitze des aus Felsblöcken gebauten Kirchturms hinauf, neben dem das Krughaus lag. Des Pastors Tauben, die sich im Sommer auf den Feldern des Dorfes nährten, kamen eben von den Höfen und Scheuern der Bauern zurück, wo sie sich jetzt ihre Körner gesucht hatten, und verschwanden unter den Schindeln des Turmes, hinter welchen sie ihre Nester hatten; im Westen über dem Haff stand ein glühendes Abendrot.

Theodor Storm
Der Schimmelreiter

Passig / Scholz: Lexikon des Unwissens

passig-scholz Eine nette, kurzweilige Lektüre, von der man nicht zuviel erwarten sollte. Die Autoren informieren im populären Ton über Fragen und gegenstände, zu denen unsere Wissen bestenfalls lückenhaft ist. Die behandelten Wissensbereiche sind Biologie, Physik (besonders die Astronomie), Mathematik, Geologie, die Wirtschafts- wissenschaften und die Anthropologie. Geschichtliche Ereignisse oder philologische Rätsel (»Indus-Schrift« und »Voynich-Manuskript«) stellen Ausnahmen dar. Andere Bereiche, wie etwa die Philosophie, die beinahe per definitionem komplett aus ungeklärten Fragen besteht, sind ausgelassen worden. Wahrscheinlich kennen sich die Autoren da nicht gut genug aus, um das dortige fundamentale Nichtwissen populär vermitteln zu können.

Wirklich harte Kandidaten (Zeit, Energie, Materie, der Kosmos, die Wahrheit, Gott) wurden ausgelassen. Bedingung zur Aufnahme eines Lemmas scheint gewesen zu sein, dass wissenschaftliche Lösungsansätze oder Theorien zu den Stichwörtern bestehen, die aber unzureichend bleiben. Einige Kandidaten sind durchaus überraschend: »Aal« oder »Klebeband« haben mich ebenso überrascht, wie ich die Lemmata »Geld« oder »Trinkgeld« amüsant fand. Überhaupt muss man betonen, dass das Buch in einem lockeren, angenehmen Ton gehalten ist, der sich und die verhandelten Themen nicht besonders ernst nimmt.

Eine leichte und vergnügliche Lektüre für zwischendurch.

Kathrin Passig / Aleks Scholz: Lexikon des Unwissens. Worauf es bisher keine Antwort gibt. Berlin: Rowohlt Berlin, 2007. Pappband, 255 Seiten, Lesebändchen. 16,90 €.

Zwei Hohlköpfe

Wie sich Schiller und Goethe doch einmal nützlich machen:

Zwei  Hohlköpfe
(Originalhöhe der Büsten ca. 8 cm)

Unter dem Motto »Schiller & Goethe zerstreut« vertreibt inkognito diese beiden Hohlköpfe, die von unten befüllt werden können. Danach liefert Schiller durch drei Löcher in seinem Kopf das erdverbundene Salz, während Goethe durch nur zwei Löcher der ganzen Sache Pfeffer gibt. Welch passende Allegorie auf … ja, auf was eigentlich?