William Shakespeare: König Richard II.

139681116_ad38eae79eFrank Günthers Neuübersetzung des Shakespeareschen Gesamtwerks bringt seit einigen Jahren mit bewundernswerter Regelmäßigkeit etwa vier Bände pro Jahr hervor. Derzeit liegen 23 Bände von geplanten 39 vor; die Bände sind vorzüglich ausgestattet: Ein angenehm ganz leicht gelbliches Werkdruckpapier, ein silbergrauer Leineneinband mit für jeden Band individueller zweifarbiger Prägung, deren Motiv sich auf dem Vorsatzpapier wiederholt und zwei Lesebändchen in den Farben des Vorsatzes. Neben dem exklusiven Inhalt schlägt diese Ausstattung mit 25 bzw. 28 € pro Band zu Buche, von denen allerdings bei Subskription des Gesamtwerks noch 15 % nachgelassen werden.

Alle Bände liefern den kompletten englische Text und die Neuübersetzung Günthers auf gegenüberliegenden Seiten und einen umfangreichen Anhang mit ausführlichen Erläuterungen, Nachrichten des Übersetzers »aus der Übersetzerwerkstatt« zum jeweiligen Band und einem Essay eines Shakespeareforschers, der sich mit der Entstehung, den Quellen, der zeitgeschichtlichen Einordnung und der Rezeption des Werkes beschäftigt. Von Geschmacksfragen im Einzelnen abgesehen, kann diese Edition nur als vorbildlich bezeichnet werden.

Natürlich steht und fällt eine solche neue deutsche Gesamtausgabe Shakespeares mit der Qualität der angebotenen Übersetzung. Shakespeare hat in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine so reiche Übersetzertätigkeit hervorgerufen wie kein anderer englischsprachiger Autor sonst. Er wurde während des 19. Jahrhunderts dann nach Goethe und Schiller der »dritte Klassiker« im deutschen Sprachraum, und die Schlegel/Tiecksche Übertragung der Stücke bekam einen Normcharakter, der bald von den konkreten Zeitumständen, die diese Texte hervorgebracht hatten, gänzlich losgelöst erschien. Gegen diese scheinbare Zeitlosigkeit nicht nur einzelne Übersetzungen, sondern gleich eine komplette Neuausgabe eines einzigen Übersetzers setzen zu wollen, ist alles andere als kleines Unternehmen.

Günther versucht es daher bei seinen Übersetzungen mit so wenig Programmatik wie möglich und so viel Pragmatik wie nötig. Sein Ziel ist es, den heutigen deutschen Lesern und Zuschauern einen Text anzubieten, der ihnen Shakespeare so unmittelbar wie möglich zugänglich macht. Sprachliche Barrieren sollen weitgehend vermieden werden, Pointen als Pointen, Sprachspiele als Sprachspiele erkennbar sein. Das hat seine natürlichen Grenzen, die Günther auch anerkennt und deutlich macht. Günther erhebt auch nicht den Anspruch, dass seine Übersetzung alle anderen überflüssig macht, eher dass sie die anderen Versuche ergänzt und einen alternativen Zugang zum Werk Shakespeares öffnet. Er ist sich dabei der unvermeidlichen Subjektivität eines solchen Unternehmens bewusst, ohne diese Subjektivität als Ausrede für Beliebigkeit oder Bequemlichkeit zu missbrauchen.

Für mich ist die Übersetzung von Frank Günther rasch meine Leseausgabe Shakespeares geworden, nicht nur, weil sie bequem den englischen und einen guten deutschen Text parallel liefert, sondern auch wegen der Anhänge, die in der Regel alle wesentlichen Kommentare und Hinweise zur historischen Einordnung und zum Verständnis des Stückes enthalten.

William Shakespeare: König Richard II. Übersetzt von Frank Günther. Zweisprachiuge Ausgabe. Gesamtausgabe Bd. 10. Cadolzburg: ars vivendi, 2000. Geprägter Leineneinband, Fadenheftung, zwei Lesebändchen,352 Seiten. 28,– €.

John Steinbeck: Tortilla Flat

106060846_41dd06354eEin immer noch ganz wundersames Buch, das wahrscheinlich von den meisten Lesern literarisch unterschätzt wird, weil es sich so angenehm und amüsant liest. Tatsächlich steckt es voller literarischer Bezüge und Parodien: Nicht nur ist es eine subtile Satire auf die europäische Adelsgesellschaft, sondern Steinbeck parallelisiert seinen Gruppe von Tagedieben ganz bewußt mit Artus und seiner Tafelrunde, die im Gegenzug als edle Räuberbande erscheinen. Außerdem steckt natürlich ein gerüttelt Maß an »Don Quixote« im Buch und zugleich auch viel vom »Lazarillo« und seinen Brüdern. Steinbeck erweist sich bei näherer Betrachtung als ein Autor mit gewichtigen literarischen Wurzeln. Dass er aus diesen Wurzeln eine so eingängige Kunst herauszutreiben versteht, zeichnet ihn umso mehr aus.

Auch dieses Buch ist wie »Von Mäusen und Menschen« noch in der schlechten Übersetzung von Elisabeth Rotten im Handel. Es ist zu hoffen, dass die Reihe der Steinbeck-Neuübersetzungen im Zsolnay Verlag auch diese Ausgabe bald ersetzt.

Steinbeck, John: Tortilla Flat. Deutsch von Elisabeth Rotten.
Roman
dtv. ISBN 3-423-10764-2
Kartoniert – 176 Seiten – 7,50 Eur[D]

Hermann Schreiber: Kanzlersturz

97763068_28ade66b71Für mich die Einstiegslektüre in das Thema. Schreiber zitiert im Verlauf seiner Darstellung die wichtigsten bisherigen Publikationen in Auszügen und nimmt auch eine Bewertung dieser Quellen vor. Schreiber war als Journalist Zeitzeuge eines Teils der Ereignisse und sein Buch zeichnet sich durch eine dezidierte, sachliche und klare Darstellung aus. Schreiber spekuliert an den Leerstellen der vorliegenden Quellen nicht, sondern bietet vernünftige Interpretationen dieser Leerstellen an. Er gibt neben der Darstellung der eigentlichen Krisenzeit eine Kurzbiographie Günter Guillaumes und eine solide Charakterisierung Willy Brandts und seiner persönlichen Lebensumstände. Schreiber präsentiert eine kritische Sicht aller Beteiligten und entwickelt den Rücktritt Brandts als eine Folge von Fehleinschätzungen diverser Entscheidungsträger, die letztlich in einer vermeidbaren Zuspitzung der Sachlage und einer nicht angemessenen Entscheidung Brandts kulminiert. In Schreibers Darstellung erscheint dieser Rücktritt, der für die Geschichte der SPD und der Bundesrepublik sicherlich ein bedeutender Wendepunkt war, alles andere als notwendig. Das Buch scheint mir für einen ersten Überblick ausgezeichnet geeignet zu sein.

Schreiber, Hermann: Kanzlersturz. Warum Willy Brandt zurücktrat
Ullstein Taschenbuch, 2005. ISBN 3-548-36726-7
Paperback – 272 Seiten – 8,95 Eur[D]

John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen

84998200_1985ed1e21Das Buch selbst ist ein Klassiker und gehört für zahlreiche deutsche Leser dem Kanon ihrer Schullektüre im Englischunterricht an. Der Text kommt dem Verständnis entgegen durch seine klaren intentionalen Strukturen, seine theatralische Form und seine bewusst einfache Sprache (sieht man einmal von den eventuellen Schwierigkeiten deutscher Leser mit der von Steinbeck phonetisch abgebildeten Alltagssprache ab) und ist daher für eine schulische Lektüre gut geeignet.

Es ist allerdings aus dem gleichen Grund unverständlich, dass gerade diese Übersetzung aus dem Jahr 1940 durch Elisabeth Rotten noch immer lieferbar ist. Ohne der Übersetzerin einen Vorwurf machen zu wollen, besonders da mir die näheren Umstände, unter denen sie gearbeitet hat, nicht bekannt sind, muss man feststellen, dass ihre Übertragung eine mittlere Katastrophe darstellt. Nicht nur trifft Rottens besserwisserische Übersetzungsmethode Steinbecks Ton höchstens einmal zufällig, ihr Vokabular ist gänzlich unzureichend, viele idiomatische Phrasen sind ihr unbekannt und werden daher aufs Geratewohl übertragen und hier und da läßt sie ganze Sätze oder Satzteile einfach aus, ohne dass dafür andere Gründe als Flüchtigkeit erkennbar wären. Warum dtv diese Version des Textes immer noch im Druck hält, wird noch unverständlicher durch die Tatsache, dass mit der Neuübersetzung von Mirjam Pressler eine um Klassen bessere Alternative im selben Verlag vorliegt, wenn sie auch deutlich teuer ist als die alte Ausgabe.

Steinbeck, John: Von Mäusen und Menschen. Deutsch von Elisabeth Rotten.
dtv, 1987. ISBN 3-423-10797-9
Kartoniert – 120 Seiten – 6,00 Eur[D]

Empfohlene Ausgabe:
Steinbeck, John: Von Mäusen und Menschen
Deutsch von Mirjam Pressler
dtv, 2002. ISBN 3-423-62072-2
Kartoniert – 144 Seiten – 7,50 Eur[D]

Annette Pehnt: John Steinbeck

75985123_5843951f57Die derzeit einzige lieferbare deutschsprachige Biographie zu John Steinbeck, dessen Bücher allerdings in einer überraschenden Breite in deutscher Übersetzung vorliegen, was darauf hindeutet, dass sie nicht viel von ihrer Popularität verloren zu haben scheinen – allen voran natürlich »Von Mäusen und Menschen«, das zumindest im Englischunterricht noch zum Kanon gehört.

Die Biographie von Annette Pehnt ist in der Reihe »dtv portrait« erschienen, mit der dtv in direkte Konkurrenz zu den Rowohltschen Bildmonographien getreten ist. Auch diese Konkurrenz belebte das Geschäft, denn nach einer längerern Phase der Stagnation hat sich in den vergangenen Jahren das Niveau der Rowohltschen Bildmonographien sehr erfreulich entwickelt: Viele ältere und kaum mehr brauchbare Bände der Reihe sind durch neu verfasste ersetzt und auch Lesefreundlichkeit und Erscheinungbild sind verbessert worden. Die dtv-Reihe ist bei weitem nicht so umfangreich wie die Rowohltsche, steht aber, was die Attraktivität der Bände angeht, der Konkurrenz in nichts nach. Im Fall des vorliegenden Bandes ist der Buchblock sogar fadengeheftet und das bei einem Preis von 8,50 €. Mit solchen Büchern kann man arbeiteten.

Die Biographie von Annette Pehnt informiert leider nur sehr knapp über den eigentlich biographischen Stoff, erzählt dafür aber auf vielen Seiten Inhalte der wichtigsten Bücher Steinbecks nach. Ich kenne nun die englischsprachige Literatur zu Steinbeck nicht, kann mir also kein Bild davon machen, wie forschungsaufwendig eine andere Gewichtung des präsentierten Materials gewesen wäre. Mir wäre es nur eben lieber gewesen, wenn ich mehr zu Steinbeck selbst erfahren hätte, da ich die Bücher selbst lesen kann und will.

Grundsätzlich leidet diese Biographie daran, dass sie den Eindruck vermittelt, dass die Autorin Steinbeck als Menschen nicht mag und als Autor bestenfalls für drittranging hält. Mit dem letzteren mag sie vielleicht sogar Recht haben, aber man kann auch über einen drittrangigen Autor, besonders über einen, dessen Bücher auch fast 40 Jahre nach seinem Tod noch ungebrochen populär sind, sicherlich interessanteres sagen als immer wieder ›trotz der schwerwiegenden Schwächen des Buches‹ oder ähnliches. Das »Phänomen Steinbeck«, dem sein Erfolg ein Anlass dazu war, sich als Autor zu misstrauen, beschreibt Pehnt zwar, verweigert aber jegliche Analyse. Stattdessen stellt sie mit derselben Naivität, die sie dem Autor Steinbeck an zahlreichen Stellen attestiert, ihr buntes Bild der Welt neben dessen Bücher und hält dies anscheinend für eine Form der kritischen Auseinandersetzung. Ganz drollig gerät es, wenn sie versucht, gut feministisch Steinbeck seinen Machismo vorzuhalten und durch gleichzeitige Kritik des weiblichen Gegenlagers eine ausgleichende Ungerechtigkeit herzustellen.

Leider kein gutes Buch, das sich nur für eine erste, oberflächliche Information eignet.

Pehnt, Annette: John Steinbeck
dtv, 1998. ISBN 3-423-31010-3
Kartoniert – 160 Seiten – 8,50 Eur[D]

Axel Hacke & Michael Sowa: Der weiße Neger Wumbaba

53340904_1713fca841Ein wunderbares kleines Büchlein, das dem Phänomen des Verhörens von Lied- und Gedichttexten gewidmet ist. Es wird kaum einen Menschen geben, dem es nicht auch schon so oder ähnlich gegangen ist wie jenen, die Axel Hacke ihre Erlebnisse in Leserbriefen zu mehreren Kolumnen geschildert haben. Hacke hat die poetischsten, witzigsten und überraschendsten Verhörer hier zu einem kleinen Handbuch vereint. Lektüre nur für eine oder zwei Stunden, aber originell und voller Poesie. Geschmückt mit wundervollen Illustrationen von Michael Sowa. Als Verschenkbuch bestens geeignet!

Hacke, Axel & Michael Sowa: Der weiße Neger Wumbaba. Kleines Handbuch des Verhörens
Antje Kunstmann, 2004; ISBN 3-88897-367-8
Gebunden – 64 Seiten, vierfarb. – 8,90 Eur[D]

Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne

44685324_7c3f526210Ein merkwürdig unausgeglichener Text, der den Eindruck macht, der Autor wisse eigentlich nicht genau, wovon er erzählen will. Natürlich hängen alle Stränge irgendwie miteinander zusammen, aber ob ich in einem Buch über Stevenson und seine Schatzinsel, das zudem die These vertreten möchte, dessen Schatzinsel habe bei Samoa gelegen, dann aber diese These wie viele andere lieber doch nicht vertreten mag, die Geschichte des aus »Remscheid bei Solingen« stammenden Gouverneurs von Cocos Island lesen möchte, scheint mir höchst zweifelhaft. Aber: Der Autor hat es gewußt, also ist es auch ins Buch hinein gekommen. Darüber hinaus ist das Buch sprachlich unausgewogen; einige Kapitel kommen sehr holprig daher.

Capus, Alex: Reisen im Licht der Sterne. Eine Vermutung
Knaus, 2005; ISBN 3-8135-0251-1
Gebunden
240 Seiten – 20,0 × 12,5 cm – 18,00 Eur[D]