«Sagen Sie», erwiderte Smith, «halten Sie auch heute noch so wenig von Romanen?»
«Das war meine Meinung ja erst gestern, und heute ist nicht so viel geschehen, dass ich Anlass gehabt hätte, sie zu ändern. Also ja. Schmant für kleine Geister, Sir. Nahrung für all jene, denen alles schmeckt.»
Inzwischen dreifach preisgekrönter Erstlingsroman eines bereits als Sachbuch-Autor etablierten englischen Schriftstellers. Das Buch spielt vor der Kulisse des noch holländisch geprägten, aber von England beherrschten New Yorks der Mitte des 18. Jahrhunderts. Hier kommt am 1. November 1746 ein geheimnisvoller Engländer an, Richard Smith mit Namen, und begibt sich augenblicklich zu einem der reichen Kaufleute der Stadt, um ihm einen Wechsel über 1.000 englische Pfund zu überreichen. Seiner Forderung wird mit Misstrauen begegnet, und man einigt sich darauf, auf weitere Bestätigungen der Forderung aus England zu warten und, nach deren Eintreffen, den Wechsel zu Ende Dezember 1746 einzulösen.
Die zwei Monate bis dahin werden mit einigen wilden Abenteuern Smith’ gefüllt, darunter auch erotischen, mehreren Verfolgungsjagden, Gefängnisaufenthalten, einem Duell und was der knalligen Episoden mehr sind. Erst ganz am Ende erfährt der Leser, was der eigentliche Auftrag ist, den Smith in Neu-York zu erledigen hat, und noch am Ender, das eines der jungen Mädchen des Romans, die Smith bis beinahe zur letzten Seite umwirbt, die vorgebliche Erzählerin des Buches sein soll. Diese letzte Wendung der Erzählform geht leider nicht auf, nicht nur weil es auch für eine unkonventionelle Frau des frühen 19. Jahrhunderts unmögliche wäre, bestimmte Passagen des Buches zu verfassen, sondern auch weil sie trotz ihrer Behauptung, Smith’ Geschichte nacherzählen zu wollen, auf weiten Strecken Stoff verarbeitet, der ihr auf keine Weise zur Kenntnis gekommen sein kann. Dies scheint daher ein Nachgedanke des Autors gewesen zu sein, nicht die ursprüngliche Konstruktion der Erzählung.
Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, die Übersetzung im Detail zu prüfen; von der am Original gelobten Nähe zur Sprache des 18. Jahrhunderts ist in der deutschen Fassung nur hier und da eine altertümelnde Schreibweise festzustellen, die aber kaum irritieren dürfte. Im Großen und Ganzen reden die Figuren wie Kunstfiguren des 20. Jahrhunderts und nicht wie Personen des 18. Jahrhunderts miteinander; ganz und gar unmöglich sowohl im Ton als auch im Stoff ist der angebliche Brief, den Smith aus dem Gefängnis an seinen Vater schreibt, der nicht nur die Briefform selbst massiv sprengt, sondern der sich auch auf keine erdenkliche Weise im Besitz der Erzählerin befinden kann.
All das macht deutlich, dass es sich um einen zwar flott erzählten, sonst aber weitgehend gewöhnlichen Text der rezenten Unterhaltungsliteratur handelt, dessen humanitäre Pointe ebenso aufgesetzt ist wie alles andere. Zudem weist er die üblichen Schlampereien des Genres auf: Der 5. November 1746 war kein Sonntag, sondern ein Samstag (nach dem julianischen Kalender wohlgemerkt, der bis 1752 in England und den englischen Kolonien noch galt; merkwürdigerweise stimmt im letzten Drittel des Buchs die Zuordnung von Daten und Wochentagen), der Geburtstag des Königs George II wird zwei Tage zu spät gefeiert (sein Thronjubiläum fiele zwar auf einen 11., aber einen Monat früher), Smith kennt bereits 1746 Laurence Sterne als Erzähler und was der Kleinigkeiten mehr sind. Natürlich muss einen das nicht stören, aber es macht eben die Sorgfalt deutlich, die der Autor, der Übersetzer und zwei Lektorate dem Text gewidmet haben. Natürlich hat der Autor die Ausflucht, dass alle diese Fehler seiner Erzählerin zuzuschreiben sind; sinnvoller werden sie dadurch aber nicht.
Alles im allem kein schlechter Schmöker, der aber in Bezug auf den von der Kritik gezogenen Vergleich zu Fielding und Sterne erheblich zu kurz springt.
Francis Spufford: Neu-York. Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Reinbek: Rowohlt, 2017. Pappband, Lesebändchen, 396 Seiten. 19,95 €.