Johannes Willms: Stendhal

978-3-446-23419-2Wie schon bei seiner Balzac-Biografie liefert Johannes Willms auch für Stendhal in der Hauptsache die biografischen Daten und nur wenig zum Werk. Das ist in diesem Fall um so bedauerlicher, weil ein Großteil des Lebens von Stendhal ein sich wiederholendes Muster aufweist, das mit geringer Variationsbreite immer erneut abgearbeitet wird: Stendhal verliebt sich unglücklich, belagert das »obskure Objekt der Begierde« eine längere Weile, kommt mehr oder weniger zum Erfolg und wechselt dann das Objekt, kaum aber sein Empfinden oder seine Methoden. Natürlich kann man seinem Biografen nicht vorwerfen, dass dies auch weite Teile der Lebensbeschreibung ziemlich eintönig macht.

Erst relativ spät tauchen in Stendhals Leben einige andere interessante Leute auf, und wir erfahren etwas über die literarische Kultur und die Salons in Paris im frühen 19. Jahrhundert. Aber schon muss Stendhal wieder fort nach Italien, um im provinziellen Civitavecchia den Posten eines Konsuls zu bekleiden. Nach der Lektüre des Buches musste wenigstens ich feststellen, dass die Romane Stendhals unvergleichlich viel interessanter sind als sein Leben. Von daher ist es ein wenig Schade, dass sich Johannes Willms nur vergleichsweise knapp mit der literarischen Produktion Stendhals auseinandersetzt, zum Ausgleich aber sehr ausführlich mit dessen narzisstischer Veranlagung.

Johannes Willms: Stendhal. München: Hanser, 2010. Pappband, 333 Seiten. 24,90 €.

Stendhal: Rot und Schwarz

stendhal-rot Die Neuübersetzung von Elisabeth Edl präsentiert den Roman in weiten Teilen in einer nüchternen, manchmal sogar lakonischen Sprache und hebt sich damit von allen früheren Übersetzungen ab. Vertraut man der Übersetzungskritik im Anhang (S. 724–726), so liegt mit dieser Neuübersetzung erstmals eine dem Original adäquate deutsche Ausgabe vor. Ob dies – unabhängig von der Frage der früheren Übersetzungen – tatsächlich der Fall ist, müssen andere beurteilen, da mir die dafür notwendigen Sprachkenntnisse fehlen. Allerdings macht die Übersetzung insgesamt einen sorgfältigen und ausgewogenen Eindruck. Sie liegt inzwischen auch schon im Taschenbuch bei dtv vor.

Der schon erwähnte Anhang enthält sowohl einen klugen und zur historischen Einordnung des Buches hilfreichen Essay als auch umfangreiche Anmerkungen zu Einzelstellen, die nicht nur sachliche Erläuterungen liefern, sondern in Auszügen auch Stendhals spätere Selbstkritik des Romans dokumentieren. Ich hätte es für die Erst-Lektüre wohl hilfreicher gefunden, wenn man diese beiden Ebenen getrennt hätte; aber das ist eine Kleinigkeit.

Insgesamt kann die Ausgabe zur Erst- oder erneuten Lektüre des Romans unbedingt empfohlen werden. Überhaupt ist er nicht nur an sich ein Lesevergnügen, sondern stellt auch eine wichtige Stufe in der Entwicklung des modernen Romans dar. Julien Sorel ist fraglos ein Vorläufer Frédéric Moreaus, wenn Flaubert auch auf äußerere Dramatik weitgehend verzichtet. Dabei ist Stendhal sowohl gesellschaftlich als auch politisch deutlich reicher als Flaubert, ohne dabei die Psychologie und innere Dynamik seiner Figuren zu vernachlässigen. Um Julien Sorel entsteht ein erstaunlich reiches und detailliertes Bild der französischen Gesellschaft der Restauration am Fuße der Juli-Revolution 1830.

Für alle, die den Roman noch nicht kennen, eine echte Empfehlung, wenn man an der Literatur und/oder an der französischen Gesellschaft der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts interessiert ist.

Stendhal: Rot und Schwarz. Chronik aus dem 19. Jahrhundert. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl. Lizenzausgabe. Frankfurt/M.: Büchergilde Gutenberg, 2004. Bedruckter Leinenband, Lesebändchen, 872 Seiten. 29,90 € (nur für Mitglieder der BG).

Allen Lesern ins Stammbuch (15)

Ach, Monsieur, ein Roman ist ein Spiegel, der eine Landstraße entlangspaziert. Mal spiegelt er das Blau des Himmels wider, mal den Schlamm der Drecklöcher auf der Straße. Und der Mann, der den Spiegel auf seinem Rücken trägt, wird von Ihnen der Unmoral beschuldigt! Sein Spiegel zeigt den Schlamm, und Sie beschuldigen den Spiegel! Beschuldigen Sie lieber die Landstraße mit ihren Drecklöchern oder noch besser den Beamten von der Straßenaufsicht, der zuläßt, daß das Wasser faulig wird und ein Dreckloch entsteht.

Stendhal
Rot und Schwarz