Wolfgang Will: Der Zug der 10 000

Wer die Welt als Spiel versteht, das nach den Regeln der Götter geführt wird, braucht keine Analyse des Geschehens mehr […].

Drei Jahre nach seinem Buch über Thukydides und den Peloponnesischen Krieg veröffentlichte Wolfgang Will den sich natürlich ergebenen Nachfolger: eine kritische Nacherzählung der „Anabasis“ des Xenophon aus der Sicht des heutigen Historikers. Ergänzt wird diese Nacherzählung um zwei Anhänge: einen über das Leben Xenophons nach dem Zug durch Kleinasien und einen Epilog, der ein sehr kompaktes komplettes Lebensbild Xenophons entwirft. Das Hintanstellen der Kurzbiographie ergibt sich logisch aus dem Bedürfnis, nichts aus dem Gang der Nacherzählung vorwegzunehmen.

Im Wesentlichen also erzählt das Buch vom Zug eines griechischen Söldnerheeres unter Kyros dem Jüngeren, einem persischen Prinzen, der mit diesem Heereszug durch Kleinasien im Jahr 401 v.u.Z. versucht, die Herrschaft seines älteren Bruders Artaxerxes II. zu stürzen und selbst persischer Großkönig zu werden. Die Expedition scheitert kurz vor Babylon in der Schlacht von Kunaxa, die die überlebenden griechischen Söldner weitgehend führerlos zurücklässt. Während Xenophon auf dem Hinmarsch (der eigentlichen Anabasis) das Heer als ziviler Beobachter begleitet, wächst ihm nach der Schlacht mehr und mehr eine Führungsrolle im Söldnerheer zu, das sich nun nach Norden wendet und gegen widrigste Umstände versucht, das Schwarze Meer zu erreichen. Xenophon hatte in der athenischen Reiterei eine militärische Ausbildung genossen, so dass ihm die Welt des Militärs alles andere als fremd war. Sein Führungstalent beweist sich an der fast unmöglich scheinenden Aufgabe, die griechischen Söldner in ihre Heimat zurückzuführen.

Sicherlich ist vieles im Buch repetitiv, aber dies ergibt sich notwendig aus dem Erzählten, das sich im Hauptteil über einen Zeitraum von 18 Monaten erstreckt, in denen die Söldner immer und immer wieder in ernste Gefahr geraten. Nichtsdestotrotz bewährt sich Will einmal mehr als historischer Erzähler, der den Gang der „Anabasis“ konzise darzustellen weiß. Auch für dieses Buch gilt aber, dass es auf Leser abzielt, die sich in der antiken Welt bereits ein wenig auskennen; den Neuling könnte es überfordern. Eine durchweg gelungene Fortsetzung der vorangegangenen Bücher.

Wolfgang Will: Der Zug der 10 000. Die unglaubliche Geschichte eines antiken Söldnerheeres. München: C. H. Beck, 2022. Pappband, 314 Seiten. 28,– €.

Wolfgang Will: Athen oder Sparta

Bei Chaironeia besiegte im Jahre 338 Philipp II. ein Bündnis griechischer Staaten mit Athen und Theben an der Spitze (Sparta fehlte). Die Hand- und Schulbücher reden von einem epochalen Ereignis, vom Ende einer Ära und der griechischen Freiheit. Die Freiheit, welche die Griechen zuallererst verloren, war freilich nur die, einander sinnlos totzuschlagen.

Dieser Band schließt insofern unmittelbar an Wills vorhergehendes Buch über den Beginn der Geschichtsschreibung an, als es in der Hauptsache dem Bericht des Thukydides folgt, um den Peloponnesischen Krieg von seinen Ursachen bis zu seinen Nachwirkungen darzustellen. Der enge Anschluss an das Werk des Thukydides ergibt sich von selbst, da dessen Bücher für einen bedeutenden Teil der historischen Ereignisse die einzige Quelle sind.

Beim Peloponnesischen Krieg (431–404) handelt es sich nicht nur um den Kampf zweier Hegemonialmächte um die Vorherrschaft in Griechenland, sondern zugleich um die Frage, ob die athenische Demokratie als politisches System erhalten bleiben oder dauerhaft durch eine oligarchische Verfassung ersetzt werden wird. Interessanterweise weist es sich, dass das athenische System der Volksherrschaft sich immer wieder gegen die zum Teil sehr radikalen Versuche, sie zu unterdrücken und ihre Anhänger zu töten oder zu verbannen, durchsetzt und die Oligarchie, für deren Etablierung Sparta neben seinen hegemonialen Ansprüchen kämpft, immer wieder beseitigen kann. Am Ende zeigt die Demokratie sich, wenn sie nicht durch andauernde Kriegführung wirtschaftlich geschwächt und von nationaler Hysterie überlagert ist, als das stabilere und einen allgemeinen Wohlstand garantierende System.

Will bewährt sich einmal mehr als exzellenter Erzähler historischer Ereignisse und ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte. Dabei ist seine Darstellung keine unkritische Nacherzählung des Berichts von Thukydides, sondern Will weiß seine Vorlage nicht nur im Hinblick auf den Parteistandpunkt ihres Autors einzuschätzen, sondern erlaubt sich überhaupt eine reflektierte Distanz zu den Geschehnissen und Akteuren. Hinzukommt eine durchgehende Rückkopplung mit anderen historischen Quellen, insbesondere den Theaterstücken der Zeit. Bei der Betrachtung der Nachwirkungen des Krieges gibt es zudem ein beeindruckendes Kapitel zur politischen Einordnung des Prozesses gegen Sokrates, das zu den Schmuckstücken des Buches gehört.

Wie schon der Vorgängerband ein Buch, das einige Ansprüche an die Leser stellt. Für Geschichtsbeflissene und insbesondere für an der Antike Interessierte unbedingt zu empfehlen.

Wolfgang Will: Athen oder Sparta. Eine Geschichte des Peloponnesischen Krieges. München: C. H. Beck, 2019. Pappband, 352 Seiten. 26,95 €.

Wolfgang Will: Herodot und Thukydides

Minutiöse, sowohl formale als auch inhaltliche Darstellung der beiden Autoren und ihrer historischen Werke, also des Beginns der europäischen Tradition der Ge­schichts­schrei­bung. Beide werden in ihren jeweiligen sozialen Kontext eingestellt, so dass sich nebenbei auch eine kleine politische und soziale Historie des antiken Grie­chen­lands und Persiens ergibt. Es findet sich zudem ein kurzes Kapitel zur Rezeption beider Autoren bis in die Neuzeit.

Methodisch führt Will beide Werke über weite Strecken im direkten Vergleich vor, wobei als leitende Kategorien Sprache, Dar­stel­lungs­mit­tel, Gesellschaftsbild, Krieg und Menschenbild benutzt werden. Es empfiehlt sich, vor der Lektüre die eigene Kenntnis von Perserkrieg und Peloponnesischem Krieg aufzufrischen, auch wenn Will in seinem Über­blick über die beiden Bücher zugleich eine kurze Zu­sam­men­fas­sung beider Konflikte mitliefert.

Eine sehr konzise, anregende und informative Lektüre, aber natürlich eher an Leser gerichtet, die sich in der Welt der Antike bereits etwas besser auskennen.

Wolfgang Will: Herodot und Thukydides. Die Geburt der Geschichte. München: Beck, 2015. Pappband, 280 Seiten. 26,95 €.