Der Wärter in einem Leuchtturm, der nicht mehr in Betrieb ist; er notiert sich die durchfahrenden Schiffe, da er nicht weiß, was er sonst tun soll.
Beim sogenannten Berliner Journal handelt es sich um ein Tagebuch Max Frischs aus den Jahren 1973 bis 1980. Frisch hatte es zuerst für eine Veröffentlichung vorgesehen und entsprechend ausgearbeitet, es dann aber, hauptsächlich aufgrund der Tatsache, dass in dieser Zeit seine Ehe mit Marianne Oellers scheiterte, mit einer 20-jährigen Sperrfrist belegt. Da er es aber in einigen Interviews erwähnt hatte, handelte es sich bei diesem Tagebuch um das bekannteste Desiderat der Frisch-Forschung.
Die Max-Frisch-Stiftung Zürich hat sich nach Öffnung des Manuskripts im Jahr 2011 nun dazu entschlossen, Auszüge aus den ersten beiden von fünf Heften (es handelt sich tatsächlich um Ringbücher, der Herausgeber verwendet aber Frischs eigene Bezeichnung), also den Jahren 1973 und 1974 zu veröffentlichen. Es wurden nur jene Passagen ausgewählt, die nicht Gefahr laufen, Persönlichkeitsrechte anderer zu verletzen. Aus diesen Gründen ist es sehr wahrscheinlich, dass das komplette Journal niemals direkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden wird.
Das „Berliner Journal“ beginnt mit dem Umzug von Max und Marianne Frisch nach Berlin im Februar 1973. Die Auszüge konzentrieren sich in der Hauptsache auf Begegnungen mit Schriftstellern in West- und Ostberlin, darunter prominent Uwe Johnson, Günter Grass, Christa Wolf, Jurek Becker, Günter Kunert und Wolf Biermann. Der Kontakt zu den DDR-Schriftstellern kommt zuerst über den Verlag Volk und Welt zustande, der zu dieser Zeit an einer kleinen Frisch-Werkauswahl interessiert ist.
Neben den zahlreichen literarischen Begegnungen zeichnet das Tagebuch ein bedrückendes Bild von Frischs häuslicher Situation: Die Ehe kriselt, und Frisch fehlt jegliche Inspiration zu einem neuen Roman oder Theaterstück, so dass das Schreiben am Tagebuch seine einzige literarische Arbeit in dieser Zeit darstellt. Da Frisch inzwischen ein finanziell sehr erfolgreicher Autor ist, fehlt auch jeder materielle Zwang zur Arbeit. Erst die Begegnung mit Alice Locke-Carey im April 1974 führt Frisch aus dieser Phase heraus. Aber das liegt schon jenseits der Auszüge aus dem Journal.
Für viele Frisch-Leser dürften die nun veröffentlichten Teile daher eher eine Enttäuschung darstellen, da in ihnen gerade das autobiographische Widerlager zu „Montauk“, das das Hauptinteresse am „Berliner Journal“ bildet, fehlt. Gelingt es aber, davon abzusehen, so liefert das Buch einige interessante Autoren-Porträts und einen guten, wenn auch schmalen Einblick in den Literaturbetrieb der DDR. In diesem Sinne ist es den 2010 aus dem Nachlass erschienenen „Entwürfen zu einem dritten Tagebuch“ deutlich vorzuziehen. Allerdings erbt auch diese Nachlassveröffentlichung die Marotte der nur spärlich bedruckten Seiten, als gäbe es keine anderen typographischen Mittel, den Seitenumbruch des Originals wiederzugeben.
Max Frisch: Aus dem Berliner Journal. Hg. v. Thomas Strässle. Berlin: Suhrkamp, 2014. Pappband, 235 Seiten. 20,– €.