Malapartes Nachkriegs-Buch, das zusammen mit dem Vorläufer Kaputt seinen Ruhm begründete. Nachdem Malaparte in Deutschland während der 90-er Jahre weitgehend vergessen zu sein schien, wurden seine beiden Hauptwerke 2005 und 2006 erneut aufgelegt und sind inzwischen auch wieder im Taschenbuch erhältlich. Malaparte selbst ist wohl eine der schillerndsten Figuren der italienischen Literatur des letzten Jahrhunderts. Er wurde 1898 als Sohn eines Sachsen und einer Mailänderin geboren – Malaparte trug den bürgerlichen Namen Kurt Erich Suckert – , bewährte sich im Ersten Weltkrieg, ging dann in den diplomatischen Dienst und wurde einer der frühen Anhänger des Duce. Allerdings kam es schnell zu Konflikten mit den Faschisten, die Malapartes Erinnerung an den Ersten Weltkrieg nicht mochten. Die Folge war sein Ausscheiden aus dem Diplomatischen Dienst. Von 1928 bis 1931 arbeitete er als Chefredakteur der Tageszeitung La Stampa. 1933 wurde er verhaftet und wegen kritischer Äußerungen zu fünf Jahren Verbannung auf Lipari verurteilt, von denen er aber wohl nur ein Jahr tatsächlich abgesessen hat. Im Zweiten Weltkrieg hat er als Kriegskorrespondent sowohl in Afrika als auch in Russland, Finnland und auf dem Balkan gearbeitet, später wird er Verbindungsoffizier des italienischen Militärs zu den amerikanischen Streitkräften. In den 50-er Jahren wollte Malaparte dann Kommunist werden, wurde aber nicht in die Partei aufgenommen.
Die Haut enthält eine fiktive Autobiografie Malapartes von 1943 bis 1945. Der Ich-Erzähler begleitet als Verbindungsoffizier die US-Truppen von Neapel bis nach Norditalien. Es ist unklar, wie groß der Anteil tatsächlichen Geschehens an den Erlebnissen und Gesprächen des Ich-Erzählers ist. Malaparte scheint im Gegensatz zu dem Eindruck, den Die Haut vermittelt, den größten Teil des beschriebenen Zeitraums auf Ischia verbracht zu haben. Das Buch ist erzählerisch von Ton und Stil der journalistischen Arbeit Malapartes geprägt; es handelt sich also nicht um einen Roman im klassischen Sinne.
Das erste Drittel des Buches spielt in Neapel und berichtet in der Hauptsache vom kulturellen und moralischen Verfall, dem die Kultur der Stadt durch Hunger, Elend, Tod und nicht zuletzt die Begegnung mit den amerikanischen Befreiern ausgesetzt ist. Malaparte prangert die weit verbreitete Prostitution an, mit der die neapolitanischen Frauen weiter Gesellschaftsschichten ihren Familien Brot verschaffen. Er beklagt den moralischen und kulturellen Verfall – wobei er letzteren, sicher nicht unproblematisch, am steigenden Einfluss Homosexueller demonstriert –, ironisiert zugleich die Ahnungslosigkeit und Naivität der Amerikaner, für die Europa eine Art glorifizierter Sündenpfuhl zu sein scheint.
»Wenn die Japaner Amerika besetzt hätten«, sagte ich, »und sich mit euren Frauen so aufgeführt hätten, wie ihr euch mit den unseren aufführt, was würden Sie da sagen, Mrs. Flat?«
»Aber wir sind keine Japaner!« warf Oberst Brand ein.
»Die Japaner sind Farbige«, sagte Mrs. Flat.
»Für besiegte Völker«, sagte ich, »sind alle Sieger Farbige.«
Verlegenes Schweigen folgte meinen Worten. Alle blickten verwundert und bekümmert auf mich: schlichte arglose Männer, Amerikaner, die reinsten und gerechtesten unter den Menschen, und sie sahen mich mit stummer Sympathie an, verwundert und bekümmert, daß die Wahrheit in meinen Worten sie zum Erröten brachte.
Von Neapel aus zieht der Ich-Erzähler mit den amerikanischen Truppen nordwärts, erlebt die Befreiung Roms, die öffentliche Zurschaustellung des Leichnams von Mussolini in Mailand, ein kommunistisches Standgericht über junge Faschisten in Florenz und zahlreiche andere Episoden. Malaparte erweist sich dabei als ein intensiver, genauer Beobachter, der zu allem Geschehen eine ironische, oft auch zynische Distanz einnimmt, wobei er stets betont, dass diese Haltung aus einer hohen Moralität folgt, die aber unter den gegebenen Umständen nicht aufrecht erhalten werden könne. Im Hintergrund steht stets eine sentimentale Trauer um die verlorene Kultur des 19. Jahrhunderts, als deren Paradigma Marcel Prousts Recherche herhalten muss. Der italienischen Adel scheint noch in den Ruinen dieser Kultur zu leben, mehr existiert von ihr aber nicht. Die normalen Nachkriegs-Italiener sind zugleich Befreite und Besiegte, ihre ursprüngliche Kultur ist vernichtet, ihre Zukunft erscheint von der Tradition abgelöst und ungewiss.
Der Titel Die Haut bezieht sich wohl auf eine Episode, die beim Einzug der Amerikaner in Rom geschildert wird:
Aber als wir auf der Höhe von Tor di Nona waren, kam ein Mann der Kolonne entgegengelaufen, mit den Armen fuchtelnd und schreiend: »Viva l’America!«; dann glitt er aus, fiel und wurde von den Raupen eines Sherman erfaßt. Ein Schrei des Entsetzens erhob sich in der Menge. Ich sprang aus dem Wagen, machte mir Platz und beugte mich über einen formlosen Leichnam.
Dieser überrollte Italiener, von dem nur mehr die Haut auf der Straße zurückbleibt, ist wohl die eindringlichste Metapher, die Malaparte für den Zustand gefunden hat, in den er Italien durch den Zweiten Weltkrieg versetzt sah.
Ein sehr intensives, in der Grundhaltung des Autors sicherlich nicht unproblematisches Buch, das aber den unbestreitbaren Vorteil hat, ungewöhnlich welthaltig, aufrichtig und unverstellt zu sein. Man findet dergleichen nicht oft.
Curzio Malaparte: Die Haut. Aus dem Italienischen von Hellmut Ludwig. Fischer Taschenbuch 17411. Frankfurt/M.: Fischer, 2008. 445 Seiten. 12,95 €.