Eine gut lesbare, erstaunlich differenzierte und breit angelegte populärwissenschaftliche Darstellung des momentanen naturwissenschaftlichen Weltbildes. Mir ist klar, dass ich damit nichts originelles über das Buch sage, aber ich muss mich in diesem Fall einfach der allgemeinen Zustimmung anschließen. Das Buch zeichnet sich erst einmal dadurch aus, dass man seine 600 Seiten tatsächlich gern liest: Jedes Thema wird spannend präsentiert, und es gibt nirgends ein Nachlassen der Neugier des Autors, ganz gleich ob es um astronomische, physikalische, biologische oder geologische Themen geht. Vielleicht fühlen sich die Chemiker ein wenig vernachlässigt, denn ihr Gebiet kommt nur in Sinne einer Hilfswissenschaft z. B. bei der Erörterung biologischer Vorgänge innerhalb der Zelle vor.
Was mir das Buch so besonders bemerkenswert gemacht hat, ist aber nicht allein das in ihm aufbereitete Wissen, sondern die Tatsache, dass das Nichtwissen nahezu gleichberechtigt thematisiert wird. Bryson zeigt nicht nur auf, was in den wenigen hundert Jahren naturwissenschaftlicher Arbeit erkannt wurde, sondern er erzählt auch immer von den Schwierigkeiten, auf die neue Einsichten trafen, von der Neigung der Wissenschaftler zum Status quo ihres Fachgebiets, aber auch von dem, was uns an Erkenntnissen alles noch fehlt. Bryson macht klar, dass das heutige wissenschaftliche Weltbild nur einen Augenblick eines im Fluss befindlichen Projektes darstellt, dass sich mit jeder Antwort auf eine alte Frage zumindest eine, oft aber eine ganze Reihe neuer Fragen auftut und dass unser Wissen immer ein Fragment ist und bleiben wird. Ihm gelingt es auch, die ungeheure Aufgabe zu verdeutlichen, vor der die Naturwissenschaften stehen: Wie in der Biologie etwa allein die Menge der noch nicht beschriebenen Arten eine restlose Überforderung des Menschenmöglichen bedeutet, ganz abgesehen von der Tatsache, dass täglich Arten aussterben, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Oder wie Paläontologen aus einer nur als »dünn« zu bezeichnenden Fundlage versuchen, Jahrtausende evolutionärer Entwicklung zu rekonstruieren. Oder dass Geologen bislang nur ein sehr rudimentäres Verständnis der Vorgänge im Erdinneren haben. Und dieses »Nichtwissen in den Wissenschaften« wird von Bryson sehr oft in den Worten der Wissenschaftler selbst formuliert, denen die Lücken und Schwierigkeiten Ihres Fachs natürlich ungleich deutlicher vor Augen stehen als jedem Laien.
In diesem Sinne bietet Bryson sowohl eine lebendige Wiedergabe des aktuellen wissenschaftlichen Weltbildes als auch, in dem er die Entwicklung der einzelnen Fächer darstellt, eine kleine Wissenschaftsgeschichte. Sicherlich wären hier und da einige Kleinigkeiten anzumerken, aber alles in allem ist dies das beste allgemeinbildende Buch, das ich seit Langem in der Hand gehabt habe.
Bill Bryson: Eine kurze Geschichte von fast allem. Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. Goldmann 46071. München: Wilhelm Goldmann, 2005. 664 Seiten. 9,95 €.