Entgegen dem Anschein, den der Verlag offensichtlich erwecken möchte, dass es sich bei diesem Buch um einen Roman handelt, ist festzustellen, dass es sich nicht einmal um einen Romanentwurf handelt, sondern nur um Fragmente eines solchen Entwurfs. Es ist die Wiedergabe von 138 Karteikarten, die Nabokov für sein letztes Romanprojekt benutzt hat. Auf diesen Karten finden sich der Entwurf zu einigen Kapiteln, unverbundene Fragmente und Notizen sowie einzelne Wörter. Nabokov hatte verfügt, dass die Karteikarten nach seinem Tode vernichtet werden sollten, und seit dem 2. Juli 1977 gab es einen teils öffentlich teils im Verborgenen geführten Streit darum, ob dieser Verfügung nachzukommen sei oder nicht. Nabokovs Frau jedenfalls ist dem Wunsch nicht nachgekommen, so dass die Karten nach deren Tod in den Besitz des Sohns Dmitri gelangten, der sich nun also endlich entschlossen hat, das Material auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Distanz zwischen dem Vorgelegten und dem daraus zu extrapolierenden Werk ist für den Nicht-Fachmann, geschweige denn für einen normalen Leser in keiner Weise abzuschätzen. Da wir auch bei anderen Werke Nabokovs keine Anhaltspunkte dafür haben, wie weit ein erster Entwurf und das spätere Werk auseinanderlagen, ist eine Beurteilung des Materials, die über die Dokumentation der reinen Kenntnisnahme hinausgeht, kaum möglich. Eine Zusammenfassung des Inhalts des Romanprojekts hat Nabokov selbst geliefert:
Bei Das Modell für Laura handelt sich um die vertrackt komplexe Geschichte eines weltberühmten Neurologen namens Philip Wild – fett, gelehrt, um seine Füße besorgt und mit der jungen Flora verheiratet, die Gegenstand eines meisterlichen Schlüsselromans (‹kiss-and-tell› – küsse sie und rede darüber) mit dem Titel Meine Laura geworden war. Da er nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Schriftsteller ist, arbeitet Wild insgeheim an einem Werk, in dem er seine ekstatischen Experimente mit dem Tod beschreibt, nur um von einem gewissen Dr. Aupert – jung, sonnengebräunt und aufgeräumt – zu erfahren, dass er ernstlich krank ist.
Die Präsentation des Materials durch den Rowohlt Verlag ist prätentiös und seitenschindend: Auf jeder Doppelseite stehen sich links die Reproduktion einer Karteikarte und rechts die Übersetzung dieser Karte gegenüber. Nicht nur hätte man ohne Verlust zwei Karten pro Seite wiedergeben, sondern auch die Übersetzung zumindest der ersten Hälfte der Karten als Fließtext präsentieren können. Von der manieristischen Idee, dem Leser die Karteikarten zusätzlich als Kartenset zum Selbstmischen zu liefern, wollen wir hier ganz schweigen.
Insgesamt eine enttäuschende Publikation angesichts der Erwartungen, die seit Jahrzehnten von den Nabokov-Forschern, die Einsicht in das Manuskript hatten, geschürt wurden. Nicht, dass ich dafür plädieren würde, dass man doch besser dem Wunsch Nabokovs nachgekommen wäre, aber den Zirkus, der seit Jahren um diesen Nachlass gemacht wurde, hätte man den Lesern Nabokovs ohne weiteres ersparen können. Parturient montes, nascetur ridiculus mus.
Valdimir Nabokov: Das Modell für Laura. Aus dem Englischen von Dieter E. Zimmer und Ludger Tolksdorf. Reinbek: Rowohlt, 2009. Pappband, Lesebändchen, 319 Seiten. 19,90 €.