Und überhaupt, warum denn seine lieben Landsleute sich so gewaltig viel auf die Alpen einbildeten? »Sie haben sie ja doch nicht gemacht; hätten sie sie machen müssen, so wären sie wahrscheinlich etwas flacher ausgefallen.«
Carl Spitteler
Imago
»Sylvie und Bruno«
Ein in mehrfacher Hinsicht merkwürdiges Buch: Es ist der umfangreichste Text von Lewis Carroll und wahrscheinlich auch einer seiner ungelesensten. Arno Schmidt hat das Buch sehr gelobt und an ihm seine These demonstriert, dass es sich bei Carroll um den »Kirchenvater aller modernen Literatur« handele, was nur eine knollige Ansicht mehr ist.
Für Arno Schmidt war das Buch wichtig, weil es ein Beipiel für das ist, was er ein »Längeres Gedankenspiel« nennt. Carroll konstruiert in »Sylvie und Bruno« einen Doppelroman, dessen beide Ebenen über den Ich-Erzähler miteinander verbunden sind: Auf der »Realitäts«-Ebene ist es eine Liebesgeschichte zwischen Arthur, einem jungen Freund des Ich-Erzählers, und Lady Muriel, die einander nach längeren Umständen endlich finden, dann wieder verlieren usw. usf. Ich will nicht zuviel verraten, wenn auch alles sehr vorhersehbar konstruiert ist. Spannend wird das Buch aber dadurch, dass der Erzähler regelmäßig in »irrliche« Zustände gerät, in denen er teils Beobachter, teils Mitspieler einer Elfenwelt ist, deren Protagonisten die Geschwister Sylvie und Bruno sind. Sylvie ist Brunos ältere Schwester, vielleicht 12 oder 13 Jahre alt, während Bruno noch ganz phantastisches Kind ist. Auf dieser zweiten Ebene herrschen ausgelassene Phantastik und Wortwitz, während die »Realität« des Romans zunehmend altbacken moralischer und bis an die Grenze des Erträglichen religiös durchtränkt wird.
Noch in einer weiteren Hinsicht ist das Buch merkwürdig zu nennen, denn obwohl es alles andere als bekannt ist, hat es seit 1980 gleich zweieinhalb Übersetzungen dieses Textes gegeben. Im Jahr 1980 erschien nämlich beim Robinson Verlag der erste Band des auch im Englischen zweibändigen Werkes in einer Übersetzung von Michael Walter. Sie trägt den ein wenig schmidtsch anmutenden Titel »Sylvie & Bruno. Eine Historie« und hat die weitere Merkwürdigkeit, dass gemäß Arno Schmidts Vorstellung vom »Längeren Gedankenspiel« die beiden Ebenen des Buches auch drucktechnisch kenntlich gemacht wurden: Behandelt der Text die »Realität«, so rückt der Textblock an den linken Rand der Seite, erzählt er von der Elfenwelt, so rückt er nach rechts. Das ist ohne Frage nach dem Vorbild von Schmidts Roman »Kaff auch Mare Crisium« so gestaltet worden. Offenbar war das Buch bei Robinson kein Erfolg, denn der zweite Band ist dort nie erschienen.
Einige Jahre später lieferte dann Goldmann eine vollständige deutsche Ausgabe in der Fassung Dieter H. Stündels unter dem etwas reißerischen Titel »Sylvie & Bruno. Ein phantastischer Nonsense-Roman«; mag sein, dass der Übersetzer am Untertitel unschuldig war, denn diese Übersetzung ist dann 1994 bei Häusser in Darmstadt nochmals gedruckt worden, nun allerdings mit dem ebenso frei erfundenen Untertitel »Die Geschichte einer Liebe«.
Und als sei dies alles nicht genug, hat im vergangenen Jahr dtv eine weitere Ausgabe vorgelegt, diesmal unter dem gänzlich unauffälligen Titel »Sylvie und Bruno. Eine Geschichte« und wieder in einer Übersetzung durch Michael Walter, der allerdings diesmal für die zahlreichen Gedichte des Buches auf die Mitarbeit von Sabine Hübner gebaut hat. Besonders wird diese Ausgabe durch die Tatsache, dass Walter den Text offensichtlich komplett neu übersetzt hat. Seine neue Übersetzung unterscheidet sich in Wortwahl und Duktus prägnant von der früheren, und wir haben hier den seltenen Fall, die zeitliche Verwerfung von 25 Jahren in der Entwicklung eines Übersetzers studieren zu können. Man möchte fast sagen: Schade, dass dies nicht an einem besseren Buch geschehen ist als gerade an Carrolls »Sylvie und Bruno« – aber man kann nicht alles haben.
Auch in der Neuübersetzung Walters ist das Buch für den modernen Leser nicht wirklich zu retten, wenn man einmal von eher theoretischen Annäherungen wie denen Schmidts absieht, die für Schmidts Werk sicherlich von Bedeutung sind, für den unverdorbenen unbelasteten Leser aber keine große Rolle spielen können. Die Feengeschichte des Buchs ist durchaus gelungen, und die zahlreichen Gedichte des Buches bringen die Art von Vergnügen, die man bei Carroll gewohnt ist. Was aber die »Realität« des Buches angeht, so ist sie – wie bereits angedeutet – in weiten Teilen eher hölzern und ermüdend; nur hier und da blitzt ein Gedankenspiel auf, das ahnen lässt, was Carroll möglich gewesen wäre, wenn er nicht um jeden Preis einen Roman hätte schreiben wollen. Von daher ist das Buch nur Lesern mit großer Geduld zu empfehlen oder solchen, die den Differenzen der beiden Walterschen Übersetzungen nachspüren wollen.
Lewis Carroll: Sylvie und Bruno. Eine Geschichte. Aus dem Englischen von Michael Walter und Sabine Hübner. Mit 92 Illustrationen von Harry Furniss. dtv 13289. München: dtv, 2006. 15,– €.
Ernst-Jandl-Preis für Paul Wühr
Ich gebe sonst nicht viel um Literaturpreise, da sie nur selten etwas über die Qualität des oder der Ausgezeichneten aussagen; zu verzwickt sind dazu zumeist die gegenseitigen Interessen von Publicity, persönlichen Bekanntschaften und einander waschenden Händen.
Aber die Meldung, dass Paul Wühr den Ernst-Jandl-Preis erhalten hat, hat mich doch gefreut. Ich bin seit 1983, dem Jahr, in dem »Das falsche Buch« erschien, treuer Wühr-Leser und habe das Glück gehabt, auf einer Lesung Wührs in Tübingen eines der raren Exemplare von »Gegenmünchen« verlagsfrisch erwerben zu können!
Da Wühr auch vielen Literatur-Interessierten unbekannt sein dürfte, setze ich hier (leicht überarbeitet) ein kurzes Wühr-Portrait hin, das ich 1998 für die Newsgroup de.rec.buecher geschrieben habe:
Paul Wühr wurde am 10.7.1927 in München geboren und lebt heute in Italien. Er hat die meiste Zeit als Hauptschullehrer in und um München gelebt. Er schreibt Prosa und Lyrik und hat in der Phase der sogenannten Experimentellen Literatur 1970 ein Buch veröffentlicht, das sich in seiner Merkwürdigkeit ohne weiteres mit Arno Schmidts »Zettel’s Traum« und Brinkmanns »Rom Blicke« messen kann: »Gegenmünchen« (wie das meiste von Paul Wühr bei Hanser; da muß jemand sitzen, der ihn wirklich verehrt, denn die machen seit jetzt fast vier Jahrzehnte Bücher von ihm, an denen sie einfach nichts verdienen können!), das in einer völlig verrückten Mischung aus Lyrik, Prosa und Abbildungen die Stadt München zum Thema hat.
Unter den lyrischen Sachen dürfte »Preislied« das bekannteste sein, das es auch bei Reclam in der Universal Bibliothek gab. (Das war übrigens, wenn ich mich recht erinnere, noch vor zwanzig Jahren Abiturstoff an österreichischen Gymnasien!)
Kurzfristig Aufsehen um Paul Wühr hat es gegeben, als 1983 »Das falsche Buch« erschien. Damals hat ihn das überregionale Feuilleton kurz zur Kenntnis genommen, und das Buch ist daraufhin auch bei Fischer im Taschenbuch erschienen und war ungewöhnlich lange Zeit lieferbar. Es handelt sich um einen Roman, dessen Protagonisten in der Hauptsache Hunde sind, die sich auf der abgesperrten Münchner Freiheit bewegen.
Im Jahr 1987 wurde eine ganz gute und informative Aufsatzsammlung, hg. von Lutz Hagestedt, vorgelegt, in der man auch ein bißchen über Wührs Leben erfährt. Seit 1997 gibt es auch ein Paul-Wühr-Jahrbuch, das ich aber noch nicht in der Hand gehabt habe.
Zum Einstieg empfehlen würde ich durchaus »Das falsche Buch«, weil es einen guten Eindruck von Wührs Humor und seiner Spannbreite gibt. Die zweite Wahl »Der faule Strick« – ein Kommentar zu einem Kommentar eines Tagebuchs (alle Textebenen sind im Buch präsent) – ist leider nie im Taschenbuch erschienen und wie das meiste von Wühr längst nur noch antiquarisch greifbar. Und in »Gegenmünchen« muss man als Leser wenigstens einmal in seinem Leben geblättert haben, um zu sehen, was alles im 20. Jahrhundert möglich war. Daraus nur eine einzige Überschrift als Appetit-Happen:
Dokumentarspiel
Wie Schwarze Roten weiße Sünden verzeihen
oder
Die Mörder in letzter Liniegespielt wird unter dem Bürgersaal
Bühnenbild: im Hintergrund links
der rote Terror rechts der weiße
Terror
Personen: Pater Rupert Mayer
(steht vor 21 Särgen der 21
Gesellen des Gesellenvereins
St. Joseph – ermordet am 6.6.1919)
ihm gegenüber auf der
linken Seite: Er und Sie
in der Mitte: alle gutgesinnten
Katholiken Münchens
Einzige Szene:
Die unterbrochene GrabredeDas ganze denke man sich in einer Fraktur gesetzt. Und danach geht das Theater dann los.
Zuletzt ist in diesem Jahr »Dame Gott« erschienen. Ich werde hier bei Gelegenheit eine Besprechung einstellen.
Intelligenz heute
»Intelligenz ist verdächtig: Scharfsinn verblühter Reklamechefs. Der Asketenverein ›Zum häßlichen Schenkel‹ hat die platonische Idee erfunden. Das ›Ding an sich‹ ist heute ein Schuhputzmittel. Die Welt ist keß und voll Epilepsie.«
Hugo Ball
Tenderenda der Phantast
In His Very Own Voice!
Heute bei thalia.de gefunden:
Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurück
Axel Hacke hat eine Fortsetzung seines kleinen »Handbuchs des Verhörens« geliefert: Nach dem Erscheinen von »Der weiße Neger Wumbaba« hat Hacke in Briefen und E-Mails und auf den Lesereisen mit dem Büchlein soviel neues Material bekommen, dass er gleich zwei Nachfolgebändchen liefern wird. Der erste – »Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurück« – ist soeben erschienen und als Abschluss der Trilogie ist »Das Vermächtnis des weißen Negers Wumbaba« geplant.
Auch diesmal versammelt Hacke wieder Fälle des Verhörens von Gedichten, Lied- und anderen Texten. Diesmal ist sogar ein hochliterarischer Fall dabei: Thomas Manns »Buddenbrooks« – aber ich wll nicht zuviel verraten. Nur soviel vielleicht noch: Hacke liefert auch eine »persönliche Hitparade deutschsprachiger Verhörsänger«, auf deren erstem Platz Herbert Grönemeyer – »The King of Wumbaba« – landet, unter anderem mit der schon klassisch zu nennenden Verhörzeile: »Sein Schamhaar liegt in meinem Bett …«!
Auch dieser Band wurde wieder kongenial von Michael Sowa in seiner typisch lakonischen und ironischen Art illustriert. Für Fans des weißen Negers Wumbaba ein absolutes Muss! Auch zum Verschenken an Leute mit Sinn für Sprachwitz nur zu empfehlen.
Axel Hacke & Michael Sowa: Der weiße Neger Wumbaba kehrt zurück. Zweites Handbuch des Verhörens. München: Antje Kunstmann, 2007. 72 Seiten, Pappband, fadengeheftet. 8,90 €.
Ein Urteil über Gibbon
Der Historiker Edward Gibbon kommt bei Arno Schmidt vereinzelt vor; oft wird im Ton der Verehrung über ihn gesprochen, an einer Stelle wird er sogar »ein Großer Mann« genannt – ein Urteil, das Schmidt nicht leicht über die Lippen kam, sonst aber wenig besagen will. Eine Stelle über Gibbon aber hat mich immer besonders neugierig gemacht, denn sie zitiert ein witziges und zugespitztes Urteil über ihn, von dem ich immer gern gewußt hätte, von wem es wohl stammt:
»Du erinnersD Mich an so manichäerleye –« (W): »Erstlich an ein Urteil über GIBBON, das Ich jüngst las: ›he never gave credit for a good motive, when a base one could be found‹.
Zettel’s Traum, S. 1159
Bei der jetzigen Beschäftigung mit Gibbons »Verfall und Untergang« habe ich die Quelle zufällig entdeckt: Es handelt sich um den Artikel »Prostitution« aus der 11. Auflage der »Encyclopædia Britannica« (Bd. 22, S. 459), der von Arthur Shadwell, einem promovierten Mediziner und Mitglied der Epidemiological Society, verfasst wurde. Damals waren unfraglich noch die Epidemiologen und nicht die Soziologen die zuständigen Fachleute in Fragen der Prostitution.
Witzig wird die Fundstelle aber dadurch, dass die Figur Wilma, der Schmidt die oben zitierte Äußerung zuschreibt, offenbar kurz zuvor diesen Artikel gelesen haben muss und gleich im Anschluss an dieses Zitat zu einer großen Schimpftirade gegen eine Freundin ihrer Tochter ausholt, deren freizügiges Benehmen ihr ein Dorn im Auge ist, wahrscheinlich nicht nur aus Sorge um die Sittsamkeit ihrer Tochter, sondern auch weil ihr Mann Paul nicht unanfällig für die Reize der jungen Schönen zu sein scheint. Auch hier bildet – wie so oft bei Schmidt – die verdeckt bleibende Herkunft eines Zitats den Assoziations-Auslöser für den nachfolgenden Text. Das eigentliche Motiv bleibt im Verborgenen.
Die eine Hälfte des Verfalls
Es ist ein merkwürdiger Torso, den dtv im November 2003 mit seiner neuen, anspruchsvollen Übersetzung des Gibbon dem deutschen Publikum vorgelegt hat: Mit Michael Walter übersetzt einer der profiliertesten und besten Kenner des Englischen des 18. Jahrhunderts das bedeutende Geschichtswerk der vorromantischen Epoche neu und – lässt es zugleich bleiben. Edward Gibbons »Decline and Fall of the Roman Empire« ist im englischsprachigen Raum wahrscheinlich die bis heute meistgelesene umfangreiche geschichtliche Darstellung überhaupt. Das Buch sorgte aufgrund seines distanzierten Blicks auf das frühe Christentum im Römischen Reich schon während seines Erscheinens europaweit für Aufregung, und die ersten Bände wurden bereits vor Abschluss des Gesamtwerks erstmals ins Deutsche übersetzt. Seitdem hat Gibbons monumentale Darstellung immer neue Auflagen sowohl des Gesamtwerks als auch diverser Ausgliederungen erlebt.
Der Text der neuen dtv-Ausgabe umfasst die ersten drei der insgesamt sechs Bände des Originals und endet mit dem Untergang des Weströmischen Reiches. Die nachfolgenden drei Bände, die die Geschichte Ostroms, sprich Byzanz’ bzw. Konstantinopels bis zur Eroberung der Stadt im Jahr 1453 enthalten, fehlen kommentarlos. Es findet sich weder eine herausgeberische Reflexion zu dieser Halbierung noch etwa die Ankündigung einer Fortsetzung oder Vervollständigung der vorgelegten Ausgabe.
Eine weitere Merkwürdigkeit tritt hinzu: Mit Michael Walter zeichnet, wie bereits gesagt, ein profilierter und stilistisch brillanter Übersetzer für den deutschen Text dieser Teil-Ausgabe verantwortlich, wenigstens für einen Teil des Teils. Denn Walter scheint seine Übersetzung nach dem Kapitel XXXII abgebrochen zu haben; alle Fußnoten, die Kapitel XXXIII bis XXXVIII und die den dritten Band des Gesamtwerks abschließenden »General Observations on the Fall of the Roman Empire in the West« sind von Walter Kumpmann übersetzt. Auch diesen Umstand thematisiert die Ausgabe so wenig wie möglich, geschweige denn, dass sie ihn erklärt.
Als sei dies alles nicht merkwürdig genug, hat sich der Verlag der Digitalen Bibliothek, die normalerweise für umfängliche und möglichst vollständige Ausgaben steht, entschlossen, den Torso des dtv-Verlages unverändert (inklusive der Druckfehler) und ohne Ergänzungen auf einer CD-ROM zu publizieren. Dabei ist das mit den »Ergänzungen« allerdings auch leichter hingeschrieben als getan, denn die letzte einigermaßen vollständige Ausgabe des »Verfalls und Untergangs« stammt vom Anfang des 19. Jahrhunderts und dürfte vermutlich in einem auffälligen stilistischen Kontrast zu Walters Übersetzung stehen. Und die Beigabe des englischen Textes hätte die digitale Ausgabe nicht nur im Preis bedeutend teurer (und damit unverkäuflicher) gemacht, sondern den fragmentarischen Charakter dieser deutschen Ausgabe entweder verdoppelt oder überaus auffällig gemacht, je nachdem ob man nur drei oder alle sechs Bände im Englischen beigegeben hätte.
Sieht man von all diesen Halbheiten einmal ab, so präsentieren die beiden Ausgaben den seit ungefähr 200 Jahren vollständigsten und sicherlich lesbarsten Gibbon in deutscher Sprache. Für den heutigen Leser ist weniger die sachliche Richtigkeit der Darstellung Gibbons en détail entscheidend als vielmehr sein erzählender Stil, sein origineller Blick und sein Humor, denn dies sind die Eigenschaften, die den konstanten Erfolg des Buches über die Jahrzehnte hinweg garantiert haben.
Mit dem ehrwürdigen Prokonsul [Gordian] wurde zugleich sein Sohn, der ihn als Legat nach Africa begleitet hatte, zum Kaiser erklärt. Er war weniger sittenstreng, doch im Wesen ebenso liebenswürdig wie sein Vater. Zweiundzwanzig anerkannte Konkubinen und eine zweiundsechzigtausend Bände umfassende Bibliothek bezeugten die Vielfalt seiner Neigungen, und wie seine Hervorbringungen beweisen, dienten beide Sammlungen mehr dem Gebrauch als zur Prahlerei.
Die Ausgabe wird ergänzt durch zahlreiche Bibliographien, ein Personenregister und einen hervorragenden, knapp 100 Seiten langen Essay von Wilfried Nippel über Gibbon. Zwischen der gedruckten und der digitalen Ausgabe besteht ein Preisunterschied von 48,– € und dies könnte ein Vermarktungsmodell für die Zukunft darstellen: Umfangreiche Werke, die im Taschebuch erscheinen, werden nach einigen Jahren als digitale Ausgaben auf den Markt gebracht, die so zum Taschenbuch des Taschenbuchs werden könnten. Die üblichen Vorteile einer digitalen Ausgabe mit der bewährten Software der Digitalen Bibliothek mit Volltextsuche, Lesezeichen, Notizen und Markierung verstehen sich als Dreingaben inzwischen ja beinahe von selbst.
Edward Gibbon: Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Bis zum Ende des Reiches im Westen. Aus dem Englischen von Michael Walter und Walter Kumpmann. 6 Bde. dtv, 2003. Kartoniert, 2296 Seiten. 78,– €.
Edward Gibbon: Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Bis zum Ende des Reiches im Westen. Aus dem Englischen von Michael Walter und Walter Kumpmann. Digitale Bibliothek Band 161. Berlin: Directmedia Publishing, 2007. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 30,– €.
Eine Software für Linux-User kann von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen werden.
Peter Weiss: Die Notizbücher
Peter Weiss gehörte unter den linken politischen deutschen Autoren nach Bertold Brecht zu den artistisch begabtesten. Seine Karriere begann er als Maler und setzte sie als Filmemacher fort, bis er 1960 mit dem hoch artifiziellen Text »Der Schatten des Körpers des Kutschers« in der Bundesrepublik als Autor Aufsehen erregte – nicht unbedingt bei einem breiten Publikum, aber bei Kritikern und Autorenkollegen, die rasch begriffen, dass sie hier so etwas wie einen Gründungstext für das vorliegen hatten, was sie später »Experimentelle Literatur« nennen sollten. Seine eigentlichen Erfolge feierte Weiss dann aber in den 60er Jahren als Dramatiker: »Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats …«, »Die Ermittlung«, »Gesang vom Lusitanischen Popanz« und »Viet Nam Diskurs« waren große nationale und zum Teil auch internationale Erfolge, die durchweg kontroverse Reaktionen hervorriefen. Erst nachdem »Trotzki im Exil« und das Stück »Hölderlin« nicht an diese Erfolge anschließen können, wandte sich Weiss enttäuscht von der Bühne ab und konzentriert sich ganz auf die erzählende Prosa.
In den Jahren von 1970 bis 1980 entstehen die drei Bände der »Ästhetik des Widerstandes«; auch sie kontrovers aufgenommen, aber unfraglich als großer Roman der 70er Jahre anerkannt. Als der letzte Band im Jahr 1981 erscheint, wird er begleitet durch die Veröffentlichung der »Notizbücher 1971–1980«, die Weiss bewusst an die Arbeitsjournale Bert Brechts angelehnt hatte. Sie liefern einen Einblick in den Entstehungsprozess der »Ästhetik des Widerstandes« und werden zu einem überraschenden Verkaufserfolg. Weiss entschließt sich deshalb, auch die Notizbücher aus dem ersten Jahrzehnt seiner schriftstellerischen Karriere entsprechend aufzubereiten. So erscheinen ein Jahr später – bereits postum – auch die »Notizbücher 1960–1971«.
Weiss-Kenner wissen schon lange, dass es sich bei den veröffentlichten Notizbüchern – trotz gegenteiliger Bekundungen von Peter Weiss – um literarische Bearbeitung der eigentlichen Quellen handelt. Die Originale liegen zusammen mit dem übrigen literarischen Nachlass von Peter Weiss im Archiv der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg. Es handelt sich um 71 Notizbücher, darunter auch die von Weiss in den »Notizbüchern« immer wieder erwähnten »großen Notizbücher«, mit zusammen 9.700 Seiten. Mit der nun in der Digitalen Bibliothek vorgelegten Edition wird das Konvolut der Originale erstmals vollständig zugänglich gemacht.
Die Notizbücher umfassen die Zeit ab 1950 bis 1982, wobei erst ab 1962 eine weitgehend geschlossene Folge vorliegt. Weiss hatte sein Notizbuch immer dabei und hielt darin Einfälle, Briefentwürfe, Buchempfehlungen, Adressen und Telefonnummern, Skizzen etc. fest. Die elektronische Edition gibt den Text-Bestand der Notizbücher so wieder, dass er auch ohne Faksimiles gut nachvollzogen werden kann. Dort, wo Weiss Skizzen oder Illustrationen einfügt, werden die entsprechenden Seiten sowohl textlich umgesetzt als auch als Abbildung beigegeben. Auch die zahlreichen beschrifteten Lesezeichen, die Weiss benutze, um bestimmte Passagen rasch auffinden zu können, sind sorgfältig und vollständig dokumentiert. Ergänzend hat man den Text der beiden bei Suhrkamp erschienenen »Notizbücher« beigegeben, hierbei allerdings auf die zahlreichen Bilder der gedruckten Ausgaben verzichtet, was vermutlich aus lizenzrechtlichen Gründen geschah.
Diese CD-ROM-Ausgabe der Notizbücher von Peter Weiss wird für Weiss-Liebehaber und -Kenner sowie für die Weiss-Forschung ein unverzichtbares Arbeitsmittel sein. Die Vorteile der Ausgabe liegen natürlich nicht nur in den beigegebenen Erläuterungen, Tabellen und Registern, sondern auch in den für Ausgaben der Digitalen Bibliothek selbstverständlichen Vorzügen der Volltextsuche, die eine effiziente und vollständige Durchforstung des Textbestandes nach bestimmten Themen, Motiven oder Personen erst möglich macht. All dies zu einem bei einer gedruckten Ausgabe gänzlich undenkbaren Preis von nur 45,– €, der es auch dem nur beiläufig an Weiss Interessierten möglich macht, zu den Quellen vorzudringen.
Peter Weiss: Die Notizbücher. Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Jürgen Schutte in Zusammenarbeit mit Wiebke Amthor und Jenny Willner. Digitale Bibliothek Band 149. Berlin: Directmedia Publishing, 2006. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 45,– €.
Eine Software für Linux-User kann von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen werden.
Deutsche Geschichte
Die Digitale Bibliothek hat ihr ohnehin schon breites Angebot an elektronischen Werken zur Geschichte um die 10 grundlegenden Bände der »Deutschen Geschichte« aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht ergänzt. Diese Bände gehören seit Jahrzehnten zur studentischen Grundaustattung der meisten Historiker und decken die deutsche Geschichte von den Anfängen bis zum Jahr 1945 ab. Die CD-ROM enthält die vollständigen Texte aller Bände mit zusammen etwa 2.500 Buchseiten in den aktuellen, derzeit lieferbaren Auflagen zu einem unschlagbaren Preis.
Highlight der Buchreihe war und ist mit Sicherheit Band 9, Hans-Ulrich Wehlers »Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918«, der für das historische Verständnis dieser Zeit Maßstäbe gesetzt hat:
Über zwei Jahrzehnte lang hieß es an historischen Seminaren deutscher Universitäten ehrführchtig nur ›das blaue Buch‹. Niemand, der sich auf akademische Weise mit neuerer deutscher Vergangenheit beschäftigen wollte, kam daran vorbei. […] Mit dem ›blauen Buch‹ vollzog Wehler den vielleicht folgenreichsten Paradigmenwechsel in der (alt-)bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft […].
Sven Felix Kellerhoff, Die Welt
Zu dem Preisvorteil von knapp 80,– € kommen die üblichen Vorteile von Ausgaben der Digitalen Bibliothek hinzu: Eine ausgereifte, professionelle Software, die Volltextsuche, Paste & Copy auch längerer Passagen (mit exakter Seitenreferenz zur gedruckten Ausgabe), Lesezeichen, farbliche Textmarkierungen, das Ablegen von Notizen und Ausdrucke in individueller Formatierung erlaubt; dies ermöglicht ein intensives und zeitsparendes Arbeiten mit den Texten. Zusätzlich verfügt die elektronische Ausgabe über ein Gesamtregister der in allen Bänden verwendeten Abkürzungen. Diese CD-ROM ist auch geeignet, um eventuell bereits vorhandene Einzelbände der Reihe zu ergänzen.
Deutsche Geschichte. Hg. v. Joachim Leuschner. Digitale Bibliothek Band 151. Berlin: Directmedia Publishing in Kooperation mit Vandenhoeck & Ruprecht, 2006. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 30,– €.
Eine Software für Linux-User kann von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen werden.