Wilfried Stroh: Latein ist tot, es lebe Latein!

stroh-latein Eine kleine Geschichte der lateinischen Sprache von den Anfängen bis in die Gegenwart liefert das Büchlein. Es zielt offensichtlich auf eine breitere Leserschaft ab und ist daher mit seinem saloppen Ton etwas oberflächlich geraten, was aber die Zielgruppe, die von lateinischer Literatur und ihren Autoren nur wenig wissen wird, nicht weiter stören sollte. Mir ist der Enthusiasmus des Autors etwas auf die Nerven gegangen, ebenso wie seine Manier, seine antikommunistische Idiosynkrasie zu thematisieren. Ein neutralerer Ton hätte dem Buch gutgetan: Es ist nicht nötig, einen Journalisten der Süddeutschen Zeitung ein Internat in Malawi »heimsuchen« zu lassen, ebensowenig den Pädagogen Herbart als »griesgrämig« zu bezeichnen, nur weil er das Argument, Latein schule das Denken, für Unsinn hält. Auch hat sicherlich Karl Marx nicht die Bezeichnung Kommunismus statt Humanismus benutzt, weil er »Angst« hatte, »ein Humanistisches Manifest […] in Latein schreiben zu müssen.« Und ganz sicher ist die Vorherrschaft des Englischen in den modernen Wissenschaften nicht »verheerend«, sondern höchstens bedauerlich oder unangemessen. Hier und an vielen anderen Stellen wäre es angebracht gewesen, wenn der Autor seinen Humor ein wenig die Zügel hätte spüren lassen.

Die historische Darstellung ist durchtränkt von einer fachlich nicht unkomischen Cicero-Begeisterung Strohs, die aber angesichts der Tatsache, dass Cicero heutzutage gewöhnlich als eine Art Schulbuch- Autor angesehen wird, als ausgleichende Ungerechtigkeit begriffen werden kann. Die historische Darstellung legt das Schwergewicht auf die römische Antike und dann wieder auf die Neuzeit. Das lateinische Mittelalter wird etwas summarisch abgehandelt und der Leser dann auf Ernst Robert Curtius’ Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter verwiesen, wo er sich allerdings gehörig umgucken dürfte, falls er hier eine Fortsetzung Strohs erwarten sollte.

Insgesamt ein inhaltlich nicht unproblematisches Buch, das aber als Einstieg ins Thema weitgehend konkurrenzlos dasteht und dem Laien wahrscheinlich nützliche Dienste leisten wird. Wer eine römische Literaturgeschichte sucht, sollte besser zur Geschichte der römischen Literatur von Manfred Fuhrmann (Stuttgart: Reclam, 1999) greifen.

Wilfried Stroh: Latein ist tot, es lebe Latein! Kleine Geschichte einer großen Sprache. Lizenzausgabe. Frankfurt/M.: Büchergilde Gutenberg, 2007. Bedruckter Leinenband, Lesebändchen, 415 Seiten. 15,90 € (nur für Mitglieder der BG).

Johannes Willms: Balzac

willms_balzacJohannes Willms legt eine sehr lesbare, detaillierte und kenntnisreiche Biographie dieses in Deutschland immer noch als zweitrangig betrachteten Autors vor. Im Gegensatz zu vielen Schriftstellerbiographien akademischen Ursprungs handelt es sich tatsächlich um eine Lebensbeschreibung, nicht um eine Einführung ins Werk. Auch im Gegensatz zu den akademischen Gepflogenheiten verzichtet Willms auf Fußoder Endnoten oder ein ausführliches Verzeichnis der benutzten Sekundärliteratur, was ihm die meisten Leser wahrscheinlich danken werden. Was allerdings schmerzlich fehlt sind Abbildungen; besonders Reproduktionen der an einigen Stellen erwähnten zahlreichen Karikaturen Balzacs habe ich vermisst.

Insgesamt handelt es sich bei dem Buch um eine Sammlung von Klatsch und Tratsch auf hohem Niveau. Balzac hat Zeit seines Lebens mit seinen ständig wachsenden Schulden und seinen Gläubigern gerungen, was ihn allerdings nicht davon abgehalten hat, seinen luxuriösen Lebensstil fortzuführen, ja den Luxus entgegen besserer finanzieller Einsicht immer noch weiter zu steigern. Rettung erhoffte sich Balzac stets durch irgendwelche wundersamen Geschäftsgewinne – alle Versuche in dieser Richtung endeten bereits nach kurzer Zeit im nächsten finanziellen Desaster – oder durch eine vorteilhafte reiche Heirat, die ihn auf einen Schlag aller Sorgen entledigen sollte. Mehr der Not gehorchend als der Neigung sah er sich gezwungen, sich auf sein einziges wirkliches Talent, das Schreiben, zu stützen, um wenigstens den dringendsten Luxus finanzieren zu können. So erwähnt Willms häufiger strohgelbe Glacéhandschuhe, von denen Balzac scheint’s immer ein oder zwei Dutzend Paar zur Verfügung haben musste, um sich wohl zu fühlen.

Willms Biographie zeichnet sich durch ihren Stil und ihre Aufrichtigkeit aus. Wie schon für seinen »Napoleon« wertet Willms umfangreich Briefzeugnisse aus, um ein möglichst genaues und persönliches Bild zu erreichen. Dabei weicht er den unangenehmen Seitens Balzacs nicht aus: nicht dem gespannten und oft wahnverpflichteten Verhältnis zur Mutter, nicht seiner rücksichtslosen Ausnutzung von Menschen, die ihn offensichtlich schätzen oder gar lieben, nicht seiner Verlogenheit sich und anderen gegenüber, nicht seiner Neigung, die Verantwortung für seine Misere auf andere zu übertragen, nicht der gänzlich blauäugigen Naivität in Geld- und Geschäftsangelegenheiten. All dies wird von Willms mit der nötigen Neutralität dargestellt, ohne ein moralisches Urteil zu fällen, ohne aber auch zu behaupten, dies alles sei notwendig so geschehen, wie es geschehen ist. Willms bewahrt eine objektive, aber zugleich empathische Distanz, die man sich in der biographischen Literatur häufiger wünschen würde. Hinzukommt, dass Willms über eine eingängige und sehr gut lesbare Sprache verfügt, die das Buch zu einem wirklichen Lektürevergnügen macht. – Allen »guten Lesern« ans Herz gelegt!

Johannes Willms: Balzac. Zürich: Diogenes, 2007. Leinen, 367 Seiten. 24,90 €.

Urs Widmer: Das Buch des Vaters

widmer_vater In Der Geliebte der Mutter spielte der Vater des Erzählers eine marginale, rein funktionale Rolle: Die Mutter, enttäuscht von ihrem Geliebten Edwin, heiratet den ersten besten Mann, der ihr über den Weg läuft, hat mit ihm ein Kind und verfällt dann langsam, aber sicher ihrer großen Krise. Nach Hochzeit und Zeugung wird der Vater wohl nur noch ein- oder zweimal erwähnt, er scheint aber weder für sich noch für die Mutter irgend eine Bedeutung zu haben.

Dieses Manko behebt Widmer nun mit diesem Buch, das die Geschichte des Vaters erzählt. Im Buch heißt der Vater zwar Karl, aber zahlreiche Lebensdetails dürften direkt der Biographie des Romanisten und Übersetzers Walter Widmer entnommen sein, was das Buch wesentlich reichhaltiger und spannender werden lässt als seinen Vorgänger. Widmer macht aber deutlich, dass es sich nicht um den Versuch einer Biographie seines Vaters handelt, sondern er im Gegenteil eine Figur erfindet, die sein Vater hätte sein können. Auch darf man nicht erwarten, dass beide Bücher naht- und bruchlos ineinandergreifen; sie widersprechen einander sogar in wesentlichen Details, da es sich in beiden Fällen um fiktionalisierte und erzählerisch idealisierte Biographien handelt, die auf die eine Strukturierung und Intensivierung der biographischen Wirklichkeit abzielen. Man sollte sie also zugleich und gleichwertig als Pendants und jeweils für sich stehend lesen.

Das Buch des Vaters beginnt mit der Feststellung: »Mein Vater war ein Kommunist.« Im Gegensatz zu diesem Auftakt folgt aber nun gerade keine politische Biographie, sondern die Politik spielt eher eine Nebenrolle. Indem der Erzähler dann den Tod des Vaters vorwegnimmt, führt er das zentrale Motiv des Buches ein, das auch den Titel des Buches bedingt: Der Vater verfügt über ein Lebensbuch, das er an seinem zwölften Geburtstag in einer märchenhaften, feierlichen Zeremonie im Heimatdorf seines Vaters überreicht bekommen hat und in dem er von da an täglich Ereignisse und Gedanken seines Lebens notiert. Allerdings ist Das Buch des Vaters nicht mit diesem Lebensbuch identisch; aber da soll nicht zuviel verraten werden.

Was Das Buch des Vaters deutlich angenehmer als Der Geliebte der Mutter macht, ist sein größerer Humor, was aber in der Hauptsache stoffliche Gründe haben dürfte. Während Der Geliebte der Mutter die Geschichte eines Liebeswahns ist, von dem sich die Mutter bis an ihr Lebensende nicht wirklich zu befreien versteht, erinnert Das Buch des Vaters eher an einen Schelmenroman, den Roman eines beinahe romantischen Taugenichts, der sein Leben weitgehend sorglos treiben lässt, seiner Leidenschaft für französische Literatur und hier und da auch die Frauen lebt und ansonsten den Lieben Gott einen guten Mann sein lässt. In einem gewissen Sinne ist er noch weltverlorener als die Mutter, was wiederum einen wichtigen Reflex auf das Buch der Mutter wirft, da es verständlich macht, warum der Vater in ihm eine so marginale Rolle spielt.

Erst zusammen mit diesem Buch wird Der Geliebte der Mutter richtig rund, und es ist, wie bereits gesagt, zu empfehlen, beide Bücher als Passepartouts für einander zu lesen.

Urs Widmer: Das Buch des Vaters. detebe 23470. Zürich: Diogenes Verlag, 2005. Pappband, 209 Seiten. 8,90 €.

Frank Herbert: Dune

“From time to time a real man has to scratch his arse!” Muad’Dib pondered.
—from the litter bin of the Princess Irulan

herbert_dune Zweite Lektüre, nach etwa 30 Jahren, diesmal zum ersten Mal im Original, in der Hauptsache von der Neugier motiviert, was ich heute wohl von dem Buch halte, das mich damals – ich hatte zwar viel Science-Fiction gelesen, aber erst wenige ordentliche Bücher – recht beeindruckt zurückgelassen hatte. Zwar fand ich schon damals die Aufregung um den Zyklus etwas aufgesetzt, konnte der ersten Trilogie aber nicht meine Bewunderung versagen. Den vierten Band der Trilogie habe ich nicht mehr gelesen und bin dann überhaupt in andere literarische Gefilde abgedriftet.

Inhalt, Personal und Besonderheiten dieses Buchs sind so weitläufig bekannt bzw. leicht nachzuschlagen, dass ich mir ein erneutes Nacherzählen hier erspare. Was mir heuer zuerst aufgefallen ist, ist die durchgehende Militarisierung dieser Welt, die mit starken positiven Werten besetzt ist: Selbstdisziplin, Überlegenheit im Kampf Mann gegen Mann, taktisches und strategisches Denken, asketischer Lebensstil und eine gewisse, alles grundierende Lebensverachtung bestimmen den Ton des Buches. Daneben stehen Mystizismus und Gottgläubigkeit, Prophetentum und religiöser Fanatismus, immer fundiert in der Machtbesessenheit durchgehend aller Figuren. Es gibt auch nicht einen einzigen Moment des Ausweichens in dieser Welt; selbst die einzige Stelle, an der so etwas wie Kunstfertigkeit sichtbar wird, in den die Kapitel einleitenden Zitaten aus den diversen Schriften der Prinzessin Irulan (ein im übrigen erzähltechnisch bemerkenswerter Trick, eine Person im Buch kontinuierlich präsent zu machen, die ansonsten nur auf den letzten Seite eine kleine, aber entscheidende Rolle spielt), ist durchtränkt vom unsäglich weisen Gesülze des Protagonisten über Gott und die Welt.

Auch der zu Beginn recht faszinierende Einfall, die Gedanken seiner Figuren als Kommentare zum Geschehen zu benutzen und auf diese Weise langatmige Erklärungen oder Einleitungen unnötig zu machen, fällt dem Leser im weiteren Verlauf unschwer auf die Nerven. Insbesondere Jessicas Gedanken erscheinen immer banaler je weiter der Roman fortschreitet:

“He is healthy and happy, my mother,” Chani said. “I left him with Alia in the care of Harah.”
My mother, Jessica thought. Yes, she has the right to call me that in the formal greeting. She has given me a grandson.

Hier wird im Gedankenkommentar nichts mitgeteilt, was der Leser nicht schon viele Seiten lang wüsste. Selbst, wenn er sich wundern würde, warum Chani Jessica als ihre Mutter anredet – was er im Normalfall nicht tun wird –, so kann er leichthin selbst darauf kommen, auch ohne dass ihm der plappernde Autor auch das noch vorsagt. Vieles von dem, was uns der Autor in der zweiten Hälfte des Romans an Gedanken mitteilt, ist von ähnlicher Qualität. Noch schlimmer wird es, wenn der Autor selbstverliebt via Jessica seine eigene Findigkeit lobt:

Hearing her son, Jessica marveled at the awarness in him, the penetrating insight of his intelligence.

Überhaupt wird das Buch in der zweiten Hälfte weitgehend redundant und erzählt sein dünnes Fähnchen ein über das andere Mal neu, bis dann auf einmal und innerhalb von wenigen Seiten doch wieder eine Handlung ausbricht und der exilierte Held im Handumdrehen Herrscher des Universums wird. Aber so leben Helden nun einmal, da kann auch der beste Autor nichts machen!

Frank Herbert: Dune. New York: ACE, 1990. Broschur, 537 Seiten. Ca. 6,– €.

P.G. Wodehouse: Reiner Wein

wodehouse-reinerwein Das Bändchen präsentiert so etwas wie eine Autobiographie Wodehouses, angeregt angeblich durch das Schreiben eines Journalisten, der Wodehouse im Jahr 1957 eine Reihe von Frage zugesandt habe, die der Befragte unerwartet ausführlich beantwortet. Eine wirkliche Autobiographie entsteht dabei natürlich nicht, wenn auch Wodehouse recht ausführlich über seine Anfänge als Autor plaudert. Aber Wodehouse ist zu verspielt und nimmt sich selbst nicht ernst genug, um tatsächlich eine Selberlebensbeschreibung zu liefern. Stattdessen wimmelt das Buch von Anekdoten, Witzen, Wortspielen. Selbst wenn konkrete Ereignisse im Leben des Autors geschildert werden, gerät alles rasch zur Posse:

Seinerzeit wurden Hollywood-Autoren in kleinen Käfigen gehalten. Diese beherbergten, in Reihen angeordnet, je einen Autor mit einem langfristigen Vertrag auf Wochenlohnbasis. Jedermann konnte sehen, wie ihre Gesichtchen bang durch die Gitterstäbe guckten, und hören, wie die Bedauernswerten winselnd darum baten, auf einen Spaziergang mitgenommen zu werden. Der Anblick ließ nur ganz Abgebrühte kalt.

Ich will nicht gerade behaupten, man habe die Autoren mißhandelt. In den besseren Studios war bei Einführung des Tonfilms Freundlichkeit die Regel. Oft blieb einer der Mogulen stehen und steckte einem der Betroffenen ein Salatblatt zu. Und das gleiche galt für die menschlicheren Regisseure, ja, zwischen Regisseur und Autor entwickelte sich oft eine schon fast rührende Freundschaft. Ich erinnere mich an eine Episode, die mir ein Regisseur einst erzählte und welche dies glänzend illustriert:

Eines Morgens war er unterwegs ins Büro – gedankenverloren wie immer, wenn er sich den Tagesablauf durch den Kopf gehen ließ –, als er plötzlich spürte, wie etwas an seinen Frackschößen zerrte. Er sah hinunter und erblickte seinen Lieblingsautor Edgar Montrose (»Autor des Monats«) Delamere. Das Bürschchen hielt ihn mit eisernem Griff fest und schaute mit Augen zu ihm hoch, in denen eine fast menschlich wirkende Warnung lag.

Auch Wodehouses Betrachtungen zum Boxen, Fernsehen, Landleben, seinen Arbeitsstil usw. usf.  geraten rasch auf ähnliche Pfade.

Zur Qualität dieser Wodehouse-Ausgabe und der hervorragenden Übersetzungen von Thomas Schlachter ist an anderer Stelle schon das Nötigste gesagt worden. Auch dieses Bändchen ist für Wodehouse-Freunde ein Muss, für alle anderen Leser eine wärmste Empfehlung.

P.G. Wodehouse: Reiner Wein. Aus dem Englischen von Thomas Schlachter. Zürich: Edition Epoca, 2007. Pappband, Fadenheftung, 215 Seiten. 19,95 €.

Beowulf

beowulf Der Insel Verlag hat pünktlich zur Verfilmung des Beowulf eine Prosaübersetzung des altenglischen Textes durch Gisbert Haefs vorgelegt. Haefs arbeitet auf der Grundlage der Versübertragung von Martin Lehnert, erfindet aber einen Prolog hinzu, in dem das Manuskript des Beowulf von einem Klosterschreiber an seinen Bruder übersandt wird, um es vor dem Zugriff des Abtes zu schützen, der eine frühere Fassung des Textes habe vernichten lassen, da sie zu unchristlich geraten sei. Haefs versucht mit diesem Prolog, die christlichen Elemente des Textes – z. B. die Deutung Grendels als eines Nachkommens der Sippe Kains – als eine spätere, dem eigentlichen Text sekundäre Schicht zu markieren, die der Leser als verfälschende Überlagerung und unzulässige Aneignung des Stoffes wahrnehmen soll. Man mag dazu stehen, wie man will, muss aber wohl anmerken, dass Haefs antiklerikaler und wahrscheinlich auch antichristlicher Impetus nicht viel besser ist als die von ihm markierte Usurpation des Stoffes.

Man kann Haefs Übertragung zugutehalten, dass sie eine knappe und zeitgemäße Version des Stoffes präsentiert, die bei aller rhetorischer Lakonie – viel Formelhaftes der Vorlage wird einfach weggelassen – nicht auf einen markanten Ton und eine elegante, deutlich rhythmisierte Prosa verzichtet. Insoweit eignet sie sich wahrscheinlich für die meisten Leser, die vorerst einmal an der stofflichen Ebene interessiert sind, besser als andere Übertragungen für eine erste Bekanntschaft. Später lässt sich dann ja immer noch auf eine der dem Original näherstehenden Übersetzungen zurückgreifen.

Das Epos selbst ist recht fragmentarischer Natur und erzählt zwei Episoden aus dem Leben des Gauten-Königs Beowulf: Seinen Kampf mit dem Monster Grendel und dessen Mutter und seinen letzten, für ihn tödlich verlaufenden Kampf gegen einen Drachen. Ansonsten werden viele Humpen Bier getrunken und weitere Heldengeschichten zum Besten geben – wie man sich bei Heldens daheim eben so zu unterhalten pflegt: »Weißt Du noch, wie wir damals beim alten Finn die Met-Halle unter Blut gesetzt haben?« Dem Text fehlt eine unheldische Ebene beinahe komplett; nur bei den seltenen Auftritten von Frauen lässt er wenigstens erahnen, dass es noch mehr als Schwertschwingen, Monstererschlagen und Biersaufen im Leben geben könnte. Es scheint mir daher mehr als verwegen, wenn diese altenglische Rabaukengeschichte in einem Atemzug etwa mit Homers Epen genannt wird. Die derzeitige Aufmerksamkeit ist wohl eine Folge der wieder einmal ausgebrochenen Tolkien-Hysterie, da der Autor des Lord of the Rings für die Überbewertung dieses Textes maßgeblich mitverantwortlich ist.

Beowulf. Übertragen von Gisbert Haefs. it 3306. Frankfurt/M.: Insel Verlag, 2007. 136 Seiten. 7,00 €.

My Armchair is My Castle

lesesessel

Diese Kombination aus Bücherregal und Lesesessel bietet der italienischen Hersteller .nobody&co. unter dem Namen Bibliochaise an. Es gibt eine stoff- und eine lederbezogene Variante. Leider wird er bislang wohl nur in Italien und Frankreich vertrieben. Allerdings bietet der Münchner Salon Tsé&Tsé et compagnie ein anderes Produkt des Herstellers an, so dass vielleicht auf diesem Weg ein Kontakt hergestellt werden könnte. Preise habe ich nirgends angegeben gefunden; wahrscheinlich auch besser so …

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca

hamilton-paterson Ein Buch mit zwei Ich-Erzählern als Protagonisten: Gerald, Engländer, der sein Geld als Ghostwriter für Sportstars verdient, und Marta, Staatsangehörige des fiktiven »Woinowien« (wahrscheinlich nach dem polnischen »Woiwod«, Herzog), eine junge Komponistin, gerade dabei einen Film-Score zu schreiben. Beide leben als Nachbarn in der Toskana und finden einander unerträglich. Der Leser kann sich in beide Meinungen leicht einfühlen. Beide zeichnen sich durch »tragische Dummheit« aus, wie der Autor Gerald während einer seiner zahlreichen unerträglichen Raunzerein einmal äußern lässt.

Das Buch weist über die erste Hälfte hin keinerlei erkennbares Thema auf. Da das auch dem Autor aufgefallen ist, versorgt er uns auf der Seite Geralds mit obskuren Kochrezepten und auf Martas mit der Geschichte ihrer Gangsterfamilie. Wenigstens das letztere zeigt im weiteren Gang der Handlung noch einige belanglose Konsequenzen. Ansonsten geistern noch Gerald nächster Kunde, ein zu verbiographierender Popstar, der vor Geralds endloser Arroganz am Ende doch noch Gnade findet, und Martas Auftraggeber, ein italienischer Regisseur, der gesellschaftskritische Pornos dreht. Er ist zwar als einzige Figur in der Lage, wenigstens ein annähernd menschliches Gespräch zu führen, quatscht am Ende aber auch bloß seitenweise Unfug über das Kino und die Gesellschaft daher, der wahrscheinlich witzig gemeint ist.

Klassischer Humor erschöpft sich in einigen bemühten Slapstick-Einlagen und einem zaghaften Versuch, eine Komödie der Irrungen zu starten, mit der der Autor aber gleich seine eigene Gangstergeschichte stört, weshalb er den Versuch nach wenigen Seiten durch eine umfassende Aufklärung abbricht. Ansonsten soll man es wohl lustig finden, dass wer schlecht Englisch spricht, an UFOs glaubt oder ständig im Hubschrauber ankommt und wegfliegt.

Insgesamt wohl ein Buch, das auf ein allgemeines Ressentiment der Leserschaft spekuliert, obwohl zu befürchten ist, dass der Autor dies teilt, es aber durch eine durchgängig ironische Erzählhaltung unkenntlich zu machen versucht. An einer Stelle fällt der Name Hegel und sticht so einsam aus dem ganzen unsäglichen Gequatsche heraus, dass er allein genügt klarzumachen, dass der Autor auch nicht den geringsten Schimmer hat, worüber er da eigentlich schreibt.

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring. btb 73565. Verlagsgr. Random House, 2007. 364 Seiten. 9,00 €.

Tipp zum Fest

Wenn man an Weihnachten in der hl. Messe neunerlei Holz schneidet und es mit der Hand so vor Augen hält, daß man dadurch hinaussehen kann, so werden alle Hexen kennbar; man erkennt sie daran, sie haben alle Melkeimer auf dem Kopf, rückwärts in den Bänken stehend. Man muß sich aber gleich nach der hl. Messe aus der Kirche machen, sonst verfolgen einen die Hexen und thun einem Uebles an.

Birlinger/Buck
Sagen, Märchen und Aberglauben

Probieren Sie’s nur aus!

Walter Moers: Der Schrecksenmeister

moers-schrecksenmeister Es scheint beinahe unmöglich, diesem Buch oder besser dem Autor im Fall dieses Buches gerecht zu werden. Nach einem Buch wie Die Stadt der träumenden Bücher (2005) muss einem Schriftsteller die Herausforderung, die nächste Fortsetzung der Zamonien-Romane zu schreiben, von überwältigenden Schwierigkeit erscheinen. Beinahe scheint es, dass sich Moers in der »Anmerkung des Übersetzers« dafür entschuldigt, keinen zweiten Teil der Stadt geschrieben zu haben, sondern auf eine eher kleine, beinahe unscheinbare Geschichte ausgewichen zu sein.

Grundlage des Buches ist Gottfried Kellers Spiegel, das Kätzchen, ein »Märchen«, wie Keller selbst es benennt, das aber bei genauerer Betrachtung wenig Märchenhaftes aufweist, sondern sich erstaunlich konkret mit gesellschaftlichen Realitäten des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt. Mit all dem kann natürlich Moers’ Transfer in zamonische Gefilde wenig anfangen, was auf der einen Seite zu einer Verflachung und Verharmlosung des Stoffes, auf der anderen Seite zu nicht unwesentlichen Eingriffen in den Text geführt hat, besonders was die Länge und das Ende betrifft. Für den Kenner Kellers macht Moers’ Buch den Eindruck, den eine schlechte Verfilmung machen kann, die einen eigentlich ungeeigneten Stoff unter Aufgabe von Sinn und Struktur in das eigene Medium einpresst.

Doch dieser Eindruck ist zumindest insoweit unerheblich, als dass Moers’ Buch durchaus den Anspruch machen kann, ganz für sich selbst zu stehen und Kellers Märchen für nicht mehr als eine Anregung genommen zu haben. Aber selbst wenn man darauf verzichtet, Moers und Keller nebeneinander zu halten, so kommt man nicht umhin, es mit dem Vorläufer zu vergleichen. Und in diesem Vergleich schneidet es enttäuschend ab: Wo Die Stadt der träumenden Bücher überschäumte von Wortwitz, phantastischen Einfällen und skurrilen Figuren, hat Der Schrecksenmeister einen Schuhu mit einer Sprachstörung bei Fremdwörtern, eine Ansammlung literarischer Motive klassischer Schauerromane und als einzige erwähnenswerte Erfindung die Ledermäuse, deren wesentlicher Witz in der wiederholten Feststellung besteht:

Niemand versteht die Ledermäuse! Nicht mal die Ledermäuse!

Würde dieses Buch nicht im Schatten seines Vorgängers stehen, so erschiene all das sicherlich im Rahmen des Gewöhnlichen und würde für ein nicht herausragendes, aber durchaus angängiges Buch ausreichen. Aber so wird Die Stadt der träumenden Bücher wohl zu jenem Fall werden, an dem sich das Schicksal aller folgenden zamonischen Romane entscheiden wird.

Wie der unsterbliche Laurence Sterne bei Anlass des berühmten herausgerissenen Kapitels des Tristram Shandy so richtig schrieb:

Ein Zwerg, der einen Maßstab bei sich führt, um damit seine eigene Länge zu messen, ist – glauben Sie mir’s auf mein Wort – in mehr als einem Sinne ein Zwerg.

Walter Moers: Der Schrecksenmeister. München: Piper, 2007. Bedruckter Pappband, Lesebändchen, farbiger Kopfschnitt, 384 Seiten. 22,90 €.