P.G. Wodehouse: Reiner Wein

wodehouse-reinerwein Das Bändchen präsentiert so etwas wie eine Autobiographie Wodehouses, angeregt angeblich durch das Schreiben eines Journalisten, der Wodehouse im Jahr 1957 eine Reihe von Frage zugesandt habe, die der Befragte unerwartet ausführlich beantwortet. Eine wirkliche Autobiographie entsteht dabei natürlich nicht, wenn auch Wodehouse recht ausführlich über seine Anfänge als Autor plaudert. Aber Wodehouse ist zu verspielt und nimmt sich selbst nicht ernst genug, um tatsächlich eine Selberlebensbeschreibung zu liefern. Stattdessen wimmelt das Buch von Anekdoten, Witzen, Wortspielen. Selbst wenn konkrete Ereignisse im Leben des Autors geschildert werden, gerät alles rasch zur Posse:

Seinerzeit wurden Hollywood-Autoren in kleinen Käfigen gehalten. Diese beherbergten, in Reihen angeordnet, je einen Autor mit einem langfristigen Vertrag auf Wochenlohnbasis. Jedermann konnte sehen, wie ihre Gesichtchen bang durch die Gitterstäbe guckten, und hören, wie die Bedauernswerten winselnd darum baten, auf einen Spaziergang mitgenommen zu werden. Der Anblick ließ nur ganz Abgebrühte kalt.

Ich will nicht gerade behaupten, man habe die Autoren mißhandelt. In den besseren Studios war bei Einführung des Tonfilms Freundlichkeit die Regel. Oft blieb einer der Mogulen stehen und steckte einem der Betroffenen ein Salatblatt zu. Und das gleiche galt für die menschlicheren Regisseure, ja, zwischen Regisseur und Autor entwickelte sich oft eine schon fast rührende Freundschaft. Ich erinnere mich an eine Episode, die mir ein Regisseur einst erzählte und welche dies glänzend illustriert:

Eines Morgens war er unterwegs ins Büro – gedankenverloren wie immer, wenn er sich den Tagesablauf durch den Kopf gehen ließ –, als er plötzlich spürte, wie etwas an seinen Frackschößen zerrte. Er sah hinunter und erblickte seinen Lieblingsautor Edgar Montrose (»Autor des Monats«) Delamere. Das Bürschchen hielt ihn mit eisernem Griff fest und schaute mit Augen zu ihm hoch, in denen eine fast menschlich wirkende Warnung lag.

Auch Wodehouses Betrachtungen zum Boxen, Fernsehen, Landleben, seinen Arbeitsstil usw. usf.  geraten rasch auf ähnliche Pfade.

Zur Qualität dieser Wodehouse-Ausgabe und der hervorragenden Übersetzungen von Thomas Schlachter ist an anderer Stelle schon das Nötigste gesagt worden. Auch dieses Bändchen ist für Wodehouse-Freunde ein Muss, für alle anderen Leser eine wärmste Empfehlung.

P.G. Wodehouse: Reiner Wein. Aus dem Englischen von Thomas Schlachter. Zürich: Edition Epoca, 2007. Pappband, Fadenheftung, 215 Seiten. 19,95 €.

Beowulf

beowulf Der Insel Verlag hat pünktlich zur Verfilmung des Beowulf eine Prosaübersetzung des altenglischen Textes durch Gisbert Haefs vorgelegt. Haefs arbeitet auf der Grundlage der Versübertragung von Martin Lehnert, erfindet aber einen Prolog hinzu, in dem das Manuskript des Beowulf von einem Klosterschreiber an seinen Bruder übersandt wird, um es vor dem Zugriff des Abtes zu schützen, der eine frühere Fassung des Textes habe vernichten lassen, da sie zu unchristlich geraten sei. Haefs versucht mit diesem Prolog, die christlichen Elemente des Textes – z. B. die Deutung Grendels als eines Nachkommens der Sippe Kains – als eine spätere, dem eigentlichen Text sekundäre Schicht zu markieren, die der Leser als verfälschende Überlagerung und unzulässige Aneignung des Stoffes wahrnehmen soll. Man mag dazu stehen, wie man will, muss aber wohl anmerken, dass Haefs antiklerikaler und wahrscheinlich auch antichristlicher Impetus nicht viel besser ist als die von ihm markierte Usurpation des Stoffes.

Man kann Haefs Übertragung zugutehalten, dass sie eine knappe und zeitgemäße Version des Stoffes präsentiert, die bei aller rhetorischer Lakonie – viel Formelhaftes der Vorlage wird einfach weggelassen – nicht auf einen markanten Ton und eine elegante, deutlich rhythmisierte Prosa verzichtet. Insoweit eignet sie sich wahrscheinlich für die meisten Leser, die vorerst einmal an der stofflichen Ebene interessiert sind, besser als andere Übertragungen für eine erste Bekanntschaft. Später lässt sich dann ja immer noch auf eine der dem Original näherstehenden Übersetzungen zurückgreifen.

Das Epos selbst ist recht fragmentarischer Natur und erzählt zwei Episoden aus dem Leben des Gauten-Königs Beowulf: Seinen Kampf mit dem Monster Grendel und dessen Mutter und seinen letzten, für ihn tödlich verlaufenden Kampf gegen einen Drachen. Ansonsten werden viele Humpen Bier getrunken und weitere Heldengeschichten zum Besten geben – wie man sich bei Heldens daheim eben so zu unterhalten pflegt: »Weißt Du noch, wie wir damals beim alten Finn die Met-Halle unter Blut gesetzt haben?« Dem Text fehlt eine unheldische Ebene beinahe komplett; nur bei den seltenen Auftritten von Frauen lässt er wenigstens erahnen, dass es noch mehr als Schwertschwingen, Monstererschlagen und Biersaufen im Leben geben könnte. Es scheint mir daher mehr als verwegen, wenn diese altenglische Rabaukengeschichte in einem Atemzug etwa mit Homers Epen genannt wird. Die derzeitige Aufmerksamkeit ist wohl eine Folge der wieder einmal ausgebrochenen Tolkien-Hysterie, da der Autor des Lord of the Rings für die Überbewertung dieses Textes maßgeblich mitverantwortlich ist.

Beowulf. Übertragen von Gisbert Haefs. it 3306. Frankfurt/M.: Insel Verlag, 2007. 136 Seiten. 7,00 €.

My Armchair is My Castle

lesesessel

Diese Kombination aus Bücherregal und Lesesessel bietet der italienischen Hersteller .nobody&co. unter dem Namen Bibliochaise an. Es gibt eine stoff- und eine lederbezogene Variante. Leider wird er bislang wohl nur in Italien und Frankreich vertrieben. Allerdings bietet der Münchner Salon Tsé&Tsé et compagnie ein anderes Produkt des Herstellers an, so dass vielleicht auf diesem Weg ein Kontakt hergestellt werden könnte. Preise habe ich nirgends angegeben gefunden; wahrscheinlich auch besser so …

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca

hamilton-paterson Ein Buch mit zwei Ich-Erzählern als Protagonisten: Gerald, Engländer, der sein Geld als Ghostwriter für Sportstars verdient, und Marta, Staatsangehörige des fiktiven »Woinowien« (wahrscheinlich nach dem polnischen »Woiwod«, Herzog), eine junge Komponistin, gerade dabei einen Film-Score zu schreiben. Beide leben als Nachbarn in der Toskana und finden einander unerträglich. Der Leser kann sich in beide Meinungen leicht einfühlen. Beide zeichnen sich durch »tragische Dummheit« aus, wie der Autor Gerald während einer seiner zahlreichen unerträglichen Raunzerein einmal äußern lässt.

Das Buch weist über die erste Hälfte hin keinerlei erkennbares Thema auf. Da das auch dem Autor aufgefallen ist, versorgt er uns auf der Seite Geralds mit obskuren Kochrezepten und auf Martas mit der Geschichte ihrer Gangsterfamilie. Wenigstens das letztere zeigt im weiteren Gang der Handlung noch einige belanglose Konsequenzen. Ansonsten geistern noch Gerald nächster Kunde, ein zu verbiographierender Popstar, der vor Geralds endloser Arroganz am Ende doch noch Gnade findet, und Martas Auftraggeber, ein italienischer Regisseur, der gesellschaftskritische Pornos dreht. Er ist zwar als einzige Figur in der Lage, wenigstens ein annähernd menschliches Gespräch zu führen, quatscht am Ende aber auch bloß seitenweise Unfug über das Kino und die Gesellschaft daher, der wahrscheinlich witzig gemeint ist.

Klassischer Humor erschöpft sich in einigen bemühten Slapstick-Einlagen und einem zaghaften Versuch, eine Komödie der Irrungen zu starten, mit der der Autor aber gleich seine eigene Gangstergeschichte stört, weshalb er den Versuch nach wenigen Seiten durch eine umfassende Aufklärung abbricht. Ansonsten soll man es wohl lustig finden, dass wer schlecht Englisch spricht, an UFOs glaubt oder ständig im Hubschrauber ankommt und wegfliegt.

Insgesamt wohl ein Buch, das auf ein allgemeines Ressentiment der Leserschaft spekuliert, obwohl zu befürchten ist, dass der Autor dies teilt, es aber durch eine durchgängig ironische Erzählhaltung unkenntlich zu machen versucht. An einer Stelle fällt der Name Hegel und sticht so einsam aus dem ganzen unsäglichen Gequatsche heraus, dass er allein genügt klarzumachen, dass der Autor auch nicht den geringsten Schimmer hat, worüber er da eigentlich schreibt.

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring. btb 73565. Verlagsgr. Random House, 2007. 364 Seiten. 9,00 €.

Tipp zum Fest

Wenn man an Weihnachten in der hl. Messe neunerlei Holz schneidet und es mit der Hand so vor Augen hält, daß man dadurch hinaussehen kann, so werden alle Hexen kennbar; man erkennt sie daran, sie haben alle Melkeimer auf dem Kopf, rückwärts in den Bänken stehend. Man muß sich aber gleich nach der hl. Messe aus der Kirche machen, sonst verfolgen einen die Hexen und thun einem Uebles an.

Birlinger/Buck
Sagen, Märchen und Aberglauben

Probieren Sie’s nur aus!

Walter Moers: Der Schrecksenmeister

moers-schrecksenmeister Es scheint beinahe unmöglich, diesem Buch oder besser dem Autor im Fall dieses Buches gerecht zu werden. Nach einem Buch wie Die Stadt der träumenden Bücher (2005) muss einem Schriftsteller die Herausforderung, die nächste Fortsetzung der Zamonien-Romane zu schreiben, von überwältigenden Schwierigkeit erscheinen. Beinahe scheint es, dass sich Moers in der »Anmerkung des Übersetzers« dafür entschuldigt, keinen zweiten Teil der Stadt geschrieben zu haben, sondern auf eine eher kleine, beinahe unscheinbare Geschichte ausgewichen zu sein.

Grundlage des Buches ist Gottfried Kellers Spiegel, das Kätzchen, ein »Märchen«, wie Keller selbst es benennt, das aber bei genauerer Betrachtung wenig Märchenhaftes aufweist, sondern sich erstaunlich konkret mit gesellschaftlichen Realitäten des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt. Mit all dem kann natürlich Moers’ Transfer in zamonische Gefilde wenig anfangen, was auf der einen Seite zu einer Verflachung und Verharmlosung des Stoffes, auf der anderen Seite zu nicht unwesentlichen Eingriffen in den Text geführt hat, besonders was die Länge und das Ende betrifft. Für den Kenner Kellers macht Moers’ Buch den Eindruck, den eine schlechte Verfilmung machen kann, die einen eigentlich ungeeigneten Stoff unter Aufgabe von Sinn und Struktur in das eigene Medium einpresst.

Doch dieser Eindruck ist zumindest insoweit unerheblich, als dass Moers’ Buch durchaus den Anspruch machen kann, ganz für sich selbst zu stehen und Kellers Märchen für nicht mehr als eine Anregung genommen zu haben. Aber selbst wenn man darauf verzichtet, Moers und Keller nebeneinander zu halten, so kommt man nicht umhin, es mit dem Vorläufer zu vergleichen. Und in diesem Vergleich schneidet es enttäuschend ab: Wo Die Stadt der träumenden Bücher überschäumte von Wortwitz, phantastischen Einfällen und skurrilen Figuren, hat Der Schrecksenmeister einen Schuhu mit einer Sprachstörung bei Fremdwörtern, eine Ansammlung literarischer Motive klassischer Schauerromane und als einzige erwähnenswerte Erfindung die Ledermäuse, deren wesentlicher Witz in der wiederholten Feststellung besteht:

Niemand versteht die Ledermäuse! Nicht mal die Ledermäuse!

Würde dieses Buch nicht im Schatten seines Vorgängers stehen, so erschiene all das sicherlich im Rahmen des Gewöhnlichen und würde für ein nicht herausragendes, aber durchaus angängiges Buch ausreichen. Aber so wird Die Stadt der träumenden Bücher wohl zu jenem Fall werden, an dem sich das Schicksal aller folgenden zamonischen Romane entscheiden wird.

Wie der unsterbliche Laurence Sterne bei Anlass des berühmten herausgerissenen Kapitels des Tristram Shandy so richtig schrieb:

Ein Zwerg, der einen Maßstab bei sich führt, um damit seine eigene Länge zu messen, ist – glauben Sie mir’s auf mein Wort – in mehr als einem Sinne ein Zwerg.

Walter Moers: Der Schrecksenmeister. München: Piper, 2007. Bedruckter Pappband, Lesebändchen, farbiger Kopfschnitt, 384 Seiten. 22,90 €.

McCall Smith: Die verschmähten Schriften …

mccall-smith-schriften … des Professor von Igelfeld ist ein Sammelband der drei kleine Büchlein zusammenfasst, deren gemeinsamer Held der im deutschen Titel genannten Professor Dr. Moritz-Maria von Igelfeld ist. Leider ist der Titel insoweit etwas irreführend, als Professor Dr. Igelfeld keinerlei verschmähte Schriften geschrieben hat und dementsprechend der Band weder solche enthält noch von ihnen zu berichten weiß. Offensichtlich hat sich der deutsche Verlag gescheut, den englischen Sammeltitel The 2½ Pillars of Wisdom zu übernehmen, offenbar weil Lawrences Sieben Säulen der Weisheit den deutschen Lesern nicht mehr präsent genug sind, um die Pointe auszulösen. Das ist allerdings schon der einzige Einwand, der sich gegen die deutsche Ausgabe erheben lässt. Nicht nur ist der Band in einem leichten und angenehmen Stil übersetzt, der Verlag hat sich auch entschlossen, die Illustrationen von Iain McIntosh abzudrucken.

Professor Dr. Moritz-Maria von Igelfeld ist Autor des weltberühmten, grundstürzenden, mehr als 1200 Seiten umfassenden Werkes Portugiesische unregelmäßige Verben, das nicht nur Igelfelds wissenschaftliche Reputation begründet hat, sondern auch den Dreh- und Angelpunkt all seines Selbstbewusstseins darstellt. Und davon hat er nicht zu wenig. Allerdings muss er feststellen, dass seine Mitmenschen nicht immer in der Lage sind, sich Igelfelds Rang und persönlicher Bedeutung – er ist sogar fast ein Baron – angemessen zu verhalten. Deshalb sind auch seine beiden Kollegen Professor Dr. Dr. h. c. Florianus Prinzel (den Igelfeld heimlich beneidet) und Professor Dr. Detlev Amadeus (von) Unterholzer, die zusammen mit ihm romanische Philologie an der Universität von Regensburg lehren, die wichtigsten Bezugspersonen seines Lebens, weil er bei Ihnen sicher sein kann, dass sie ihm nicht nur in Neid und Bewunderung treu verbunden sind, sondern auch seine spezifische Art der Weltfremdheit (man nennt das wohl gemeinhin einen Wertekanon) teilen.

Er konnte sich vorstellen, dass das Leben eines Diplomaten oder selbst eines Schismatikers fast so spannend sein konnte wie das eines Professors für romanische Philologie. Fast, aber nicht ganz.

Diese Clique deutscher Philologen wird nun vom Autor mehr oder weniger gemeinsam in der Welt herumgetrieben und machen dort die mehr oder weniger unvermeidlichen Erfahrungen. Das ganze steht offensichtlich in der Tradition der Prosakomödien P. G. Wodehouses, nur eben ins späte zwanzigste Jahrhundert und die Schicht der deutschen intellektuellen Snobs verpflanzt. Dabei lässt McCall Smith den deutschen intellektuellen Snobs insoweit Gerechtigkeit wider- fahren, als während eines Gastsemesters Igelfelds in Cambridge eine Auswahl englischer intellektueller Snobs als Folie dient.

Eine höchst vergnügliche Lektüre, die nur diejenigen meiden sollten, denen der Gedanke der Misshandlung von Dackeln schwer erträglich ist.

Alexander McCall Smith: Die verschmähten Schriften des Professor von Igelfeld. Aus dem Englischen von Thomas Stegers. München: Karl Blessing, 2007. Pappband, 448 Seiten. 19,95 €.

Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker

duerrenmatt-richterEine Schullektüre ist ein Buch, das jede und jeder meint zu kennen, weil es in der Schule gelesen werden musste. Die allermeisten hassen diese Bücher, weil sie die Schule oder auch nur den Deutsch-Unterricht gehasst haben, und schauen nie wieder in eines dieser Bücher hinein. Wahrscheinlich hat es kein einziges Buch verdient, zur Schullektüre zu verkommen, aber bei einigen bedauert man es mehr als bei anderen. Dürrenmatts Der Richter und sein Henker gehört bei mir zu diesen Büchern. Das ist um so erstaunlicher, als ich eigentlich kein Krimi-Leser bin. Der Krimi ist ein Genre, das ich zwar im Film goutiere, das mir aber im Roman in der Regel zu schematisch, langweilig und eindimensional ist – war, sollte ich besser sagen, denn ich lese schon lange keine Krimis mehr.

Die erneute Lektüre von Der Richter und sein Henker (es ist wohl insgesamt die vierte) hat einen didaktischen Anlass: Schullektüre eines Jüngeren. Ich hatte erwartet, einen erzählerisch etwas angestaubten Roman vorzufinden, und war überrascht, was für ein elegantes, schlankes und durchtrainiertes Büchlein sich mir diesmal gezeigt hat. Sicher ist das eine oder andere nicht ganz gelungen, so etwa die Erzählung der Vorgeschichten von Bärlach und Gastmann im Gespräch, wodurch Gastmann für einen Augenblick unnötig geschwätzig und banal erscheint. Oder auch das Gastmahl für Tschanz, das den Roman beschließt und das unnötig überfrachtet ist mit existenzialistischen und moralisierenden Motiven. Da geht der Dramatiker mit dem Prosaautor durch; aber derlei sind Kleinigkeiten.

Dem steht entgegen, wie einfach und schlicht etwa das politische Unterfutter der Bärlachschen Intrige in den Roman eingeführt wird oder wie hübsch sich die beiden Protagonisten Bärlach und Gastmann ineinander spiegeln und ihre Wette am Ende beide zugleich gewinnen und verlieren. Das alles ist gut ausgedacht und zeichnet ein Bild der Schweizer Gesellschaft Ende der 40er Jahre, wie man es lakonischer und zugleich böser in einem populären Roman wohl lange wird suchen müssen. Ein Buch, das an die Tradition großer Schweizer Erzähler anschließt!

Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker. detebe 22535. Zürich: Diogenes, 1985 ff. 180 Seiten. 5,90 €.

Enzensberger: Im Irrgarten der Intelligenz

enzensberger-irrgarten Hans Magnus Enzensberger hat es mal wieder witzig gemeint und die Pointe nicht recht rübergebracht. Sein »Idiotenführer«, wie er das Büchlein selbst nennt, versucht eine Kritik der gerade wieder grassierenden Intelligenz-Hysterie, allerdings unterläuft sein Text die Latte einer ernsthaften Auseinandersetzung deutlich. Einzig originell ist sein Ansatz, die Intelligenz als »Tugend« der modernen Gesellschaft anzusprechen; allerdings folgt aus dieser Einordnung schlicht nichts, wie aus den meisten anderen gedanklichen Ansätzen des Bändchens auch. Das Ding ist sicherlich gut gemeint, aber das war es dann auch. Wie Tucholsky so richtig festgestellt hat:

Und wenn es gar nichts geworden ist, dann sag, es sei ein Essay.

gould-vermessen Wichtig ist das Büchlein einzig und allein, weil es wieder einmal an ein wirklich bedeutendes Buch zum Thema Intelligenzforschung und -messung erinnert, das aufgrund seines Alters droht, in Vergessenheit zu geraten: Stephen Jay Goulds Der falsch vermessene Mensch. Alles Relevante, was Enzensberger zu sagen hat, steht schon bei Gould, und es steht hier in einem sauberen, wissenschaftlichen Argumentationszusammenhang. Goulds Kritik der Intelligenz-Industrie zeigt stringent, dass völlig unklar ist, was Intelligenztests eigentlich messen bzw. dass das, was sie messen, wahrscheinlich nicht mehr ist, als die Fähigkeit des Geprüften, einen Intelligenztest auszufüllen. Zudem liefert seine Darstellung der mit dem Intelligenzbegriff verknüpften Vorurteile von Vererbung und rassischen Unterschieden, die diese Tests angeblich nachweisen, eine unverzichtbare soziologische Rahmung, die die Karriere des Konzepts Intelligenz erst begreiflich und zugleich inakzeptabel macht. Diesen Zusammenhang ignoriert Enzensberger nahezu komplett – obwohl er Goulds Buch benutzt und anführt –, so dass seine Kritik weitgehend beliebig bleibt.

Hans Magnus Enzensberger: Im Irrgarten der Intelligenz. Ein Idiotenführer. edition suhrkamp 2532. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2007. 59 Seiten. 7,– €.

Stephen Jay Gould: Der falsch vermessene Mensch. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 583. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1988. 394 Seiten. 15,– €.

Miniaturen (5)

»Wie fangen wir sie?« »Mit einem neuen Schnepfengarn aus guten starken Hanfschnüren; geflochten muß es sein von einem zwanzigjährigen Jägerssohn, der noch kein Weib angesehen hat, und es muß schon dreimal der Nachttau darauf gefallen sein, ohne daß sich eine Schnepfe gefangen; der Grund aber hiervon muß dreimal eine gute Handlung sein. Ein solches Netz ist stark genug, die Hexe zu fangen.«»Nun bin ich neugierig, wo Ihr ein solches hernehmt«, sagte Spiegel, »denn ich weiß, daß Ihr keine vergeblichen Worte schwatzt!«

»Es ist auch schon gefunden, wie für uns gemacht; in einem Walde nicht weit von hier sitzt ein zwanzigjähriger Jägerssohn, welcher noch kein Weib angesehen hat; denn er ist blind geboren. Deswegen ist er auch zu Nichts zu gebrauchen als zum Garnflechten und hat vor einigen Tagen ein neues, sehr schönes Schnepfengarn zu Stande gebracht. Aber als der alte Jäger es zum ersten Male ausspannen wollte, kam ein Weib daher, welches ihn zur Sünde verlocken wollte; es war aber so häßlich, daß der alte Mann voll Schreckens davonlief und das Garn am Boden liegen ließ. Darum ist ein Tau darauf gefallen, ohne daß sich eine Schnepfe fing, und war also eine gute Handlung daran Schuld. Als er des andern Tages hinging, um das Garn abermals auszuspannen, kam eben ein Reiter daher, welcher einen schweren Mantelsack hinter sich hatte; in diesem war ein Loch, aus welchem von Zeit zu Zeit ein Goldstück auf die Erde fiel. Da ließ der Jäger das Garn abermals liegen und lief eifrig hinter dem Reiter her und sammelte die Goldstücke in seinen Hut, bis der Reiter sich umkehrte, es sah und voll Grimm seine Lanze auf ihn richtete. Da bückte der Jäger sich erschrocken, reichte ihm den Hut dar und sagte: Erlaubt, gnädiger Herr, Ihr habt hier viel Gold verloren, das ich Euch sorgfältig aufgelesen! Dies war wiederum eine gute Handlung, indem das ehrliche Finden eine der schwierigsten und besten ist; er war aber so weit von dem Schnepfengarn entfernt, daß er es die zweite Nacht im Walde liegen ließ und den nähern Weg nach Hause ging. Am dritten Tag endlich, nämlich gestern, als er eben wieder auf dem Wege war, traf er eine hübsche Gevattersfrau an, die dem Alten um den Bart zu gehen pflegte und der er schon manches Häslein geschenkt hat. Darüber vergaß er die Schnepfen gänzlich und sagte am Morgen: Ich habe den armen Schnepflein das Leben geschenkt; auch gegen Tiere muß man barmherzig sein! Und um dieser drei guten Handlungen willen fand er, daß er jetzt zu gut sei für diese Welt, und ist heute Vormittag bei Zeiten in ein Kloster gegangen. So liegt das Garn noch ungebraucht im Walde und ich darf es nur holen.«

Gottfried Keller
Spiegel, das Kätzchen