Arkadi und Boris Strugatzki: Gesammelte Werke 4

Von Zeit zu Zeit, so scheint es, entlässt die historische Evolution Hechte in die stillen Wasser der Gesellschaft, damit die fetten Karauschen, die sich am Grund von Plankton nähren, aufgestört werden.

Strugatzki_Werke_4Der vierte Band der Gesammelten Werke schließt thematisch an den ersten Band an und bringt fünf Texte, die fast alle um Probleme der menschlichen, zivilisatorischen Entwicklungshilfe auf anderen Planeten kreisen. Wie zuvor schon erwähnt, entspricht die Kindle-Edition dieses Buches nicht dem Standard, da sie über kein Inhaltsverzeichnis verfügt.

»Fluchtversuch« (1962) stellt die Erfindung des Themas dar: Die Freunde Wadim und Anton planen im Jahr 2250 einen Jagdausflug zum Planeten Pandora, als kurz vor dem Abflug der ihnen unbekannte, vorgebliche Historiker Saul zu ihnen stößt und sie kurzerhand überredet, ihn auf irgend einen unbesiedelten, erdähnlichen Planeten zu bringen. Der von Wadim anscheinend zufällig ausgewählte Planet erweist sich dann aber als durchaus besiedelt, und die drei Kosmonauten finden dort eine sehr merkwürdige Lage vor: Der Planet wird offenbar von einer hochstehenden, nichtmenschlichen Zivilisation als eine Art Umschlagbahnhof für ihre Technologie benutzt. Dies hat die einheimische humanoide Zivilisation, die sich auf dem Niveau eines kriegerisch geprägten Mittelalters befindet, in eine tiefe Krise gestoßen. Einer der lokalen Herrscher versucht, sich die fremde Technologie zunutze zu machen. Obwohl die drei Erdenmenschen selbst mehr oder weniger Zweifel an der Richtigkeit ihres Handelns haben, versuchen sie sich in die Geschehnisse auf dem Planeten einzumischen, müssen am Ende aber die Zwecklosigkeit all ihrer Versuche einsehen und kehren unverrichteter Dinge zur Erde zurück.

»Es ist schwer, ein Gott zu sein« (1964) ist einer der bekanntesten Romane der Brüder Strugatzki und 1989 auch mit einigem Aufwand und Erfolg verfilmt worden. Im Mittelpunkt steht der Adelige Rumata, der in Wirklichkeit der irdische Agent Anton ist, der auf einem Planeten in einer humanoiden, spätmittelalterlichen Zivilisation als historischer Beobachter eingesetzt ist. Rumata befürchtet das Entstehen einer faschistischen Diktatur und versucht seine Kollegen dazu zu überreden, dagegen aktiv Widerstand zu leisten. Doch sind seine Mithistoriker weder von der drohenden Gefahr überzeugt, noch davon, dass sie berechtigt sind, in den Lauf der lokalen Geschichtsentwicklung einzugreifen. Aus diesem Konflikt heraus entwickelt sich eine ordentliche Mantel- und Degen-Klamotte mit Faust- und Florettkämpfen, Liebesgeschichte, Kerkerbefreiung und allem, was sonst noch dazu gehört. Man muss zugeben, dass dieser Teil des Textes von den beiden Autoren mit großer Lust am Genre geschrieben wurde und offenbar für seine Popularität verantwortlich ist. Es gibt sonst nicht viele Passagen bei den Brüdern Strugatzki, die vergleichbar unbeschwert daherkommen.

»Unruhe« (entstanden Mitte der 60er Jahre, veröffentlicht erst 1990) ist eine frühe, laut dem Herausgeber stark abweichende Fassung von »Die Schnecke am Hang«. Da ich aber wenig Lust hatte, weite Teile dieses Textes noch einmal zu lesen, habe ich vorerst auf eine Lektüre verzichtet.

»Die dritte Zivilisation« (1971) erzählt die Geschichte einer kleinen Gruppe von Kosmonauten, die einen scheinbar weitgehend leblosen Planeten für die Übersiedlung einer von einer Katastrophe bedrohten Spezies vorzubereiten versucht. Ich-Erzähler ist der Kybertechniker Stas Popow, dessen erster Einsatz im All es ist und der in der Hauptsache für die Wartung und den Betrieb der mitgeführten Roboter zuständig ist. Die erste Überraschung für die Gruppe ist der Fund eines abgestürzten irdischen Raumschiffs, dessen beide Kosmonauten beim Absturz ums Leben gekommen sind. Kurz darauf erweist es sich aber, dass offenbar noch ein dritter Mensch an Bord war, ein kleines Kind, das entgegen aller Wahrscheinlichkeit auf dem Planeten nicht nur überlebt hat, sondern sowohl anatomisch als auch psychisch an den unwirtlichen Gastplaneten angepasst wurde. Die Kosmonauten entwickeln die Theorie, dass der Planet von einer introvertierten Spezies bewohnt wird, die in Höhlen unter der Planetenoberfläche existiert und das kleine Kind, so gut sie konnte, gerettet hat, das auf diese Weise zum einzigen Vertreter einer dritten Zivilisation auf dem Planeten geworden ist. Am Ende bleibt auch hier den Menschen nichts, als sich tatenlos zurückzuziehen und auf eine spätere Gelegenheit zum Kontakt zu hoffen.

»Der Junge aus der Hölle« (1974) schildert den Prozess und die Folgen der zivilisatorischen Entwicklungshilfe aus der Perspektive eines der Wilden. Der junge Gagh stammt aus einer militaristischen Zivilisation und ist im soldatischen Sinne erzogen worden. Er wird aber von Menschen vor dem Tod gerettet und zur Heilung auf die Erde gebracht. Dort wird er zwar freundlich behandelt, aber weitgehend sich selbst überlassen, so dass er sich gegenüber der ihm fremden irdischen Kultur abkapselt und versucht, auf seinen Heimatplaneten zurückzukehren, was er schließlich auch mit einer selbstgebauten Waffe erzwingt. Die Geschichte wird kapitelweise abwechselnd in personaler und Ich-Perspektive erzählt, was sie aber nur mäßig interessanter macht. Sie leidet wohl am deutlichsten darunter, dass hier die Wahrscheinlichkeit der Fabel der Absicht der Autoren geopfert werden muss, darzustellen, dass es nicht genügt, Angehörige einer fremden Kultur mit den Segnungen der eigenen, fortgeschrittenen Zivilisation zu überschütten, sondern dass eine prinzipielle Umerziehung stattfinden muss, wenn ein kultureller Fortschritt erreicht werden soll. – »So fühlt man Absicht und man ist verstimmt.«

Arkadi und Boris Strugatzki: Gesammelte Werke 4. Deutsch von Dieter Pommerenke (Fluchtversuch), Arno Specht (Es ist schwer, ein Gott zu sein), David Drevs (Unruhe), Aljonna Möckel (Die dritte Zivilisation) und Erika Pietraß (Der Junge aus der Hölle). Die beiden ersten Texte nach den ungekürzten und unzensierten Originalversionen ergänzt von Erik Simon. München: Heyne, Kindle-Edition, 2012. 880 Seiten (Buchausgabe). 9,99 €.

Robert Louis Stevenson: St. Ives

Einer der letzten Romane Stevensons, den er nicht hat zu Ende schreiben können. Wie unentdeckt Stevenson insgesamt im deutschen Sprachraum noch ist, zeigt sich auch daran, dass der Verlag weitgehend ungestraft behaupten darf, es handele sich hier um eine deutsche Erstausgabe des Textes. Das trifft nur in einem sehr speziellen Sinne zu: Für den Erstdruck 1896/1897 aus dem Nachlass heraus versuchte man den Roman für den normalen Leser zu retten, indem man die letzten sechs Kapitel von einem anderen Autor, A. T. Quiller-Couch, ergänzen ließ, um der Handlung einen Abschluss zu geben. Dabei handelt es sich immerhin um gute 20 % des Textes. In der Tat handelt es sich allein bei diesem nicht von Stevenson stammenden Nachklapp um eine deutsche Erstausgabe; den Text Stevensons hatte bereits Curt Thesing Anfang der 30er Jahre übersetzt. Ich habe auf die Lektüre des Nachklapps gänzlich verzichtet, da ohnehin klar ist, was geschehen wird, und die zusammengeklapperte Handlung durch eine Verlängerung sicherlich nicht besser wird.

Das Buch erzählt die Abenteuer eines französischen Adeligen, der zur Zeit der Napoleonischen Kriege in Edinburgh auf der Festung inhaftiert ist. Er verliebt sich, wie es sein muss, in eine mitleidige junge Schottin, kann fliehen, sucht seinen in England im Exil lebenden Onkel auf, der ihm sein Vermögen vermachen will, gerät darüber in Streit mit seinem als Doppelspion arbeitenden Cousin, geht unter Gefahr für Leib und Leben zurück nach Edinburgh, wo er, kurz bevor der Text abbricht, knapp einer Verhaftung entgeht. Dass es am Ende alles gut ausgehen, der etwas eitle und leichtlebige Protagonist sich zum Besseren bekehren und sein Mädchen bekommen wird, ist daher so klar, wie die sprichwörtliche Kloßbrühe.

Stevenson, der damals schon schwer krank war, hat diesen Roman diktiert und wohl nicht mehr abschließend redigieren können, was besonders im ersten Teil einige Verwerfungen erzeugt hat. Ansonsten hangelt sich die Handlung sehr konventionell von Abenteuer zu Abenteuer, und es ist mehr als verständlich, dass sich bis dato niemand entschließen konnte, an diesen Text die Mühe einer erneuten Übersetzung zu wenden. Dass es nun gerade Andreas Nohl ist, der uns zuletzt mit einem glatt gehobelten »Huckleberry Finn« beglückt hat und nun versucht, dieses etwa dünne Fähnchen in den Rang eines bedeutenden Spätwerks zu heben, passt zumindest in mein Bild.

Gesamturteil: Eher enttäuschend. Hervorgehoben werden muss allerdings einmal mehr die exzellente Buchausstattung des Hanser Verlages: ein flexibler Leinenband, Dünndruckpapier mit Fadenheftung, ein passendes Lesebändchen! So sollten alle Bücher aussehen! Wenn nur der Inhalt etwas besser wäre …

Robert Louis Stevenson: St. Ives. Aus dem Englischen von Andreas Nohl. München: Hanser, 2011. Leinen, Lesebändchen, 520 Seiten Dünndruckpapier. 27,90 €.

Jules Verne: Die Eissphinx

Verne-Eissphinx Gleich im Anschluss an den »Arthur Gordon Pym« Edgar Allan Poes habe ich auch Jules Vernes sogenannte Fortsetzung, »Die Eissphinx«, noch einmal gelesen und das, obwohl ich an die erste Lektüre alles andere als gute Erinnerungen hatte. Das hat sich denn auch bestätigt. Es handelt sich um einen zweibändigen, über weite Strecken überaus langweiligen Roman. Erzählt wird von einer Antarktis-Expedition, die der Bruder des Kapitäns der Jane aus Poes »Pym« unternimmt, um eben den verschollenen Bruder und mögliche weitere Überlebende zu retten. Erzähler ist ein amerikanischer Geologe namens Jeorling, den es eher zufällig auf das Schiff des Kapitäns Len Guy verschlägt und der diesen zuerst für verrückt hält, da der den »Pym« als einen Tatsachenbericht und nicht als einen Roman liest.

Es ist unnötig die überaus ausführlichen Umstände der Reise nach Tsalal, zum Pol und darüber hinaus nachzuerzählen. Über viele Seiten geschieht spannenderweise gar nichts, was dann aber sicherlich nochmal irgendwo wiederholt wird, um auch ja nichts auszulassen. Die titelgebende Eissphinx kommt zwar am Ende doch noch vor, ist aber ein kompletter McGuffin, dessen Geheimnisse spätere Expeditionen werden lüften müssen.

Das Buch ist ein typisches Produkt des Schnell- und Vielschreibers Verne, der die Niederschrift mit vagen und halbfertigen Ideen beginnt, und, wenn ihm dann im Prozess der Niederschrift die Einfälle ausbleiben, das Geschriebene solange wiederholt und variiert, bis ihm dann doch schließlich ein neuer Gedanke in den Schoß fällt. Das Ergebnis ist ein planloses, redundantes und seitenschindendes Hin- und Herfahren seines Helden, das schließlich darin gipfelt, dass er ankommt, wo er ankommen muss, und dort gar nichts Interessantes vorfindet, was aber auch wieder ausführlich beschrieben wird.

Die anonyme Übersetzung, die 1898 bei Hartleben erschienen ist, ist höchst mäßig und offensichtlich ohne jegliche Ambitionen erstellt worden. Hinzukommt, dass die von mir benutzte elektronische Ausgabe des Textes zahlreiche schwere Scannfehler aufweist, die die Lektüre hier und da doch deutlich stören.

Jules Verne: Die Eissphinx. Wien, Pest, Leipzig: Hartleben, 1898. In: Ders.: Bekannte und unbekannte Welten. Das erzählerische Werk. Hg. v. Wolfgang Thadewald. Digitale Bibliothek Bd. 105. Berlin: Directmedia Publ. GmbH, 2004. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.2; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk.

Edgar Allan Poe: Arthur Gordon Pym

Zur Vorbereitung der erneuten Lektüre von Arno Schmidts »Zettel’s Traum« habe ich noch einmal Schmidts Übersetzung des einzigen Romans von Edgar Allan Poe gelesen. Bei einer distanzierten Lektüre erweist sich das Buch als als eine ziemlich dreiste kompilatorische Arbeit, die in ihrem ersten Teil rein um des Effekts willen gegen jede Wahrscheinlichkeit alle möglichen Gräulichkeiten von Schiffsunglücken anhäuft. Die Darstellung ist derartig übertrieben, dass dem Leser der Verdacht kommen könnte, der Autor verfolge parodistische Absichten, wofür im Text allerdings sonst jegliche Anzeichen fehlen. Im zweiten Teil verwandelt sich die Erzählung dann in eine phantastische Entdeckungsreise im antarktischen Meer, bei der die Weißen auf der Insel Tsalal einem in steinzeitlichen Verhältnissen lebenden Stamm begegnen, der sich vorerst als freundlich, später dann aber als mörderische Bande erweist. Der Protagonist und Erzähler entkommt einem Massaker zusammen mit seinem Kameraden Dirk Peters, mit dem er schon die Katastrophe des ersten Teils durchlebt hatte, und treibt schließlich in einem Boot der Eingeborenen auf den Südpol zu. In unmittelbarer Nähe des Pols bricht der Bericht mit dem Auftauchen einer riesigen, weißen Gestalt ab, angeblich da der Erzähler Pym verstorben sei, bevor er die abschließenden Kapitel habe zum Druck befördern können.

Das Buch stellt den Versuch Poes dar, sich in die Reihe erfolgreicher Verfasser von Seestücken einzureihen und selbst ein Stück zu liefern, das nicht nur durch die Beschreibung der Gefahren, Entbehrungen und Gräulichkeiten  einer solchen Reise seine Leser fesselt, sondern das sich auch an die gerade in Mode befindlichen Berichte über Entdeckungen auf dem letzten weißen Flecken des Globus anhängen will. Es ist der letztlich gescheiterte Versuch Poes, einen Bestseller zu schreiben.

Die Übersetzung Arno Schmidts ragt in der deutschen Rezeption des »Pym« allein schon dadurch heraus, dass es sich wohl um die früheste vollständige Eindeutschung des Textes handelt. Schmidt hat Poe als Schriftsteller sehr ernst genommen – man kann auch die Meinung vertreten, er habe ihn zu ernst genommen, aber das ist eine Diskussion für einen anderen Ort –, so dass seine Übersetzung deshalb an zahlreichen Stellen dem Originaltext in Grammatik und sprachlichem Duktus ungewöhnlich treu bleibt. Leider wird diese Tendenz durch die sprachlichen und orthographischen Manierismen Schmidts, die er selbst für wesentliche Elemente im Fortschritt der Literatursprache hielt, überlagert. Der Leser muss sich daher an solche Dinge wie die Verwendung des &-Zeichens statt des Wortes und, die Ersetzung des Wortes ein durch die Ziffer 1, die Verwendung des Gleichheitszeichens anstelle des Bindestrichs und was der Dinge mehr sind, gewöhnen. Ist er dazu bereit, findet er eine sprachlich sehr sorgfältige und genaue Übersetzung des Textes vor. Inwieweit Schmidts Übersetzung von seiner sogenannten Etymtheorie beeinflusst war, wird andernorts zu erörtern sein.

978-3-86648-092-6 Im selben Zusammenhang habe ich mir auch die 2008 erschienene kommentierte Neuübersetzung des Texts angeschaut. Hier haben Übersetzer und Herausgeber aus dem doch relativ schmalen Text Poes einen umfangreichen Wälzer von mehr als 500 Seiten gezimmert. Den Umfang machen eine ausführliche Einleitung, die fortlaufende Textkommentierung in Fußnoten, die Dokumentation verschiedener Illustrationen zum »Pym« sowie eine ausführliche Chronologie zu Entstehung und Rezeption des Textes aus. Ergänzt wird dies durch zwei Bibliographien, von denen eine die vermutlichen Quellen Poes dokumentiert, die andere neuere Texte zum »Pym« versammelt, die der Herausgeber benutzt hat.

Die Neuübersetzung ist verglichen mit der Arno Schmidts natürlich eher brav, da sie auf Manierismen verzichtet. Stichprobenhafte Vergleiche mit dem Original lassen keine wirklichen Fehler erkennen; allerdings scheint der Übersetzer eine leichte Neigung zu haben, Poes hier und da etwas verschrobene Grammatik zu glätten, was aber wohl den meisten Lesern entgegenkommen wird.

Der mitgelieferte Apparat zum Text ist alles in allem als sehr gut zu bezeichnen. Die Einleitung zeichnet ein umfassendes Bild sowohl der biografischen als auch der politischen und literarhistorischen Voraussetzungen von Poes Text. Ein gewichtiger Teil der Fußnoten erschöpft sich im Nachweis der für einzelne Passagen verwendeten Quellen; hinzu kommen Anmerkungen zu den inneren Widersprüchen des Textes, die eine aufmerksame Lektüre gleich zu Dutzenden ans Licht fördert. Einige Anmerkungen bleiben wirr, so etwa jene zu Kapitel XVII, in dem Poe an einer Stelle die Position der Jane mit »latitude 73° 15′ E., longitude 42° 10′ W.« angibt, was der Übersetzer stillschweigend in »73° 15′ s. Breite, 42° 10′ w. Länge« korrigiert. Dazu heißt es dann in der Fußnote:

Es sollte besser »73° 15′ ö. Breite« heißen. In Baudelaires französischer Übersetzung und in manchen englischen Ausgaben wurde der Fehler stillschweigend korrigiert; Arno Schmidt behilft sich in seiner Übersetzung damit, dass er die Breite ohne Himmelsrichtung lässt.

Nun gibt es natürlich gar keine östliche Breite, so dass hier der Herausgeber dem Übersetzer, der es wie Baudelaire richtig hat machen wollen, mit einem unsinnigen Kommentar in den Rücken fällt. Sollte der Leser so wenig Ahnung von der Sache haben wie der Kommentator, ist die Verwirrung allseits komplett. Auch sonst macht das Buch an einzelnen Stellen einen unfertigen Eindruck, als habe sich der Herausgeber am Ende sehr beeilen müssen. So fehlen zum Beispiel auf S. 381 in den Fußnoten 9 und 10 offenbar faksimilierte Abbildungen aus dem von Poe verwendeten Hebräisch-Wörterbuch von Gesenius; stattdessen sind die Platzhalter für die Faksimiles stehengeblieben: »[Schriftzeichen]«.

Wen solche Kleinigkeiten nicht stören und wer sich bei der Lektüre darüber hinwegsetzen kann, dass ihm dauernd vom Fuß der Seite her in die Lektüre hinein geplappert wird, für den ist die Marebuch-Ausgabe eine gute Alternative zur etwas manierierten Übersetzung Schmidts.

  • Edgar Allan Poe: Umständlicher Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket. Aus dem amerikanischen Englisch von Arno Schmidt. In: Ders.: Werke II. Olten u. Freiburg im Breisgau: Walter-Verlag, 1967. S. 112–400. Papband, Fadenheftung.
  • Edgar Allan Poe: Die Geschichte des Arthur Gordon Pym aus Nantucket. Übersetzt von Hans Schmid. Hg. v. Hans Schmid und Michael Farin. Hamburg: Marebuch, 2008. Pappband, Lesebändchen, stabiler, bedruckter Schuber. 526 Seiten, davon 32 Seiten Kunstdruckpapier mit Illustrationen. 39,90 €.

Michael Chabon: Schurken der Landstraße

978-3-462-04189-7Witzger, kleiner Abenteuerroman, in dessen Zentrum zwei jüdische Abenteurer stehen, die sich im 10. nachchristlichen Jahrhundert im Reich der Chasaren zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer herumtreiben. Zelikman, offenbar ein Regensburger Arzt, und Amram, der aus Afrika stammt, geraten durch Zufall in die Folgen eines Staatsumsturzes. Ihnen fällt der einzige Überlebende des alten Herrscherhauses in die Hände, den sie zu einem Verwandten in Sicherheit bringen sollen. Aber natürlich geraten sie zwischen alle Fronten, so wie sich das für zwei echte Abenteurer gehört. Die Fiktion ist kenntnisreich und detailliert, die Fabel genretypisch, allerdings durch einige Übertreibungen und besonders auch den tief pessimistischen Zelikman – einen Don Quijote ganz eigenen Gepräges – weitgehend ironisiert.

Angenehme, leichte Lektüre für nebenbei, dafür aber deutlich zu teuer.

Michael Chabon: Schurken der Landstraße. Eine Abenteuergeschichte. Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Fischer. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010. Pappband, Karte auf dem vorderen Vorsatz, 184 Seiten. 17,95 €.