Harry G. Frankfurt: Bullshit

103220188_f96c1d10b9Eine sprachphilosophische Annäherung an den Begriff Bullshit, der – wie einige andere sprachliche Details – zum Glück unübersetzt bleibt. Nur der Titel ist etwas irreführend gewählt; das englische »On Bullshit« trifft den Inhalt des Büchleins genauer. Methodisch steht die Untersuchung Wittgensteins Spätphilosophie nahe, was sich aber in keiner Weise negativ auf die Verständlichkeit des Textes auswirkt. Insgesamt bestätigt der kurze Text wieder einmal das Vorurteil, dass der angelsächsischen Philosophie oft eine Leichtigkeit der Darstellung eigen ist, die in der deutschen Tradition nur selten erreicht wird. Der Autor nimmt weder sich, noch seinen Essay, noch sein Thema übermäßig ernst. Er schließt sich bewußt an eine Vorläuferuntersuchung an: Max Black: »The Prevalence of Humbug« (Ithaca, 1985). Frankfurts sprachphilosophische Reflexionen münden schließlich in einigen einfachen, aber treffenden Überlegungen zu Wahrheit und Lüge und inwieweit der Bullshitter in einem ambivalenten Verhältnis zu beiden steht. Von hier aus ließe sich die Untersuchung leicht in das Gebiet der klassischen Rhetorik und Philosophie verlängern, vielleicht beginnend mit Platons »Gorgias«.

Am schönsten an der deutschen Ausgabe ist die Bauchbinde, mit der der Suhrkamp Verlag das Buch ausliefert:

103229612_275d6e1632

Dies Zitat ist wahrscheinlich als praktische Übung für die Leser gedacht, denn nachdem man das Buch gelesen hat, weiß man mit einiger Sicherheit, was man schon geahnt hat: Bei diesem Satz handelt es sich um einen klassischen Fall von Bullshit, um so mehr wenn er als Werbeslogan gerade auf diesem Buch daherkommt.

Frankfurt, Harry G.: Bullshit. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff.
Suhrkamp, 2006. ISBN 3-518-58450-2
Leinen, gelumbeckt – 73 Seiten – 8,00 Eur[D]

James Risen: State of War

100244076_49372c6bcdEin recht oberflächlich informierendes Buch, dem es hauptsächlich darum geht, sogenannte Sensationen über die Unfähigkeit der Regierung Bush und des CIA zu versammeln. Das Buch ist flüchtig und daher schlecht übersetzt, aber es hat sich im Laufe der Lektüre in mir der Eindruck verfestigt, dass es auch schon flüchtig und schlecht geschrieben wurde. Risen kann – aus verständlichen Gründen – seine Quellen nicht benennen und ist in vielen Details auf Einschätzungen von ungenannten Insidern angewiesen, deren Urteilsfähigkeit und Einsicht in die Sache man nicht einschätzen kann. So bleibt das allermeiste auf der Ebene des Hörensagens. Der durchweg journalistische Stil, der mehr Vorgängen als deren Analyse verpflichtet ist, tut ein Übriges.

Einige wenige Geschichten sind interessant, so etwa der Versuch der CIA sich über familiäre Kontaktpersonen Informationen über das Programm des Irak zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu verschaffen, was durchweg zu dem Ergebnis geführt hat, dass ein solches Programm bereits vor langer Zeit aufgegeben wurde und aufgrund der internationalen Boykott-Maßnahmen gegen den Irak auch nicht wieder würde aufgenommen werden können. Diese Informationslage wurde aber laut Risen der Regierung Bushs nie zur Kenntnis gebracht, da sich die CIA darüber im Klaren war, dass derartige Einschätzungen dort nicht erwünscht waren.

Empfehlenswert für diejenigen, die sich ihre antiamerikanischen Ressentiments bestätigen wollen; zur soliden Information kaum geeignet.

Risen, James: State of War. Deutsch von Norbert Juraschitz, Friedrich Pflüger und Heike Schlatterer.
Hoffmann und Campe, 2006. ISBN 3-455-09522-4
Gebunden – 180 Seiten – 19,95 Eur[D]

Paul Auster: Nacht des Orakels

93774460_4fb48e4a47Nach der (soweit ich seine Bücher bis dato kenne) üblichen Auster-Manier sehr routiniert erzählter Roman. Im Zentrum steht der Schriftsteller Sidney Orr, der nach langer Krankheit zum Schreiben zurückfindet, während seine Ehefrau gleichzeitig versucht, eine durch eine ungewollte Schwangerschaft ausgelöste schwere Krise ihrer Ehe zu überwinden. Die titelgebende »Nacht des Orakels« ist ein Buch im Buch im Buch: Nachdem Sidney in einem kleinen Papiergeschäft in der Nähe seiner Wohnung ein blaues Notizbuch aus portugiesischer Herstellung gekauft hat, beginnt er eine Erzählung zu schreiben, die sich aus einer Episode in Hammetts »The Maltese Falcon« entwickelt. Sie erzählt von einem Lektor, der durch einen Beinahe-Unfall aufgerüttelt, seine Frau und sein ihn unbefriedigendes Leben verläßt und nach Kansas City flieht, ohne zuerst irgendwem davon Nachricht zu geben. Mit seinem alten Leben verbindet ihn nur noch der postume Roman der Schriftstellerin Sylvia Maxwell, der eben den Titel »Nacht des Orakels« trägt. Auch den Inhalt dieses Romans erfindet Orr im Verlauf seines skizzenhaften ersten Entwurfs.

Wie bei Auster zu erwarten, sind die drei Ebenen der Erzählung sorgfältig miteinander verzahnt, ohne dass dabei in diesem Fall wirklich der Eindruck eines geschlossenen Ganzen entsteht. Das ist aber vielleicht auch gar nicht wichtig, weil das Buch eben auch von den Unabgeschlossenheiten und Zufällene erzählt, die das Leben eines jeden Menschen wesentlich mitbestimmen. Und auch davon, dass man gewisse Dinge einfach hinter sich lassen muss, damit man nicht das eigene Leben und das, was man liebt und einem wichtig ist, zerstört.

Mich hat das Buch nicht so gefangen genommen wie z. B. Austers »Das Buch der Illusionen«. Aber das mögen andere Leser anders empfinden. Das Buch hat mir aber Lust auf den nächsten Auster gemacht.

Auster, Paul: Nacht des Orakels. Deutsch von Werner Schmitz.
Rowohlt, 2005. ISBN 3-499-23987-6
Paperback – 288 Seiten – 19,00 × 11,50 cm – 8,90 Eur[D]

John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen

84998200_1985ed1e21Das Buch selbst ist ein Klassiker und gehört für zahlreiche deutsche Leser dem Kanon ihrer Schullektüre im Englischunterricht an. Der Text kommt dem Verständnis entgegen durch seine klaren intentionalen Strukturen, seine theatralische Form und seine bewusst einfache Sprache (sieht man einmal von den eventuellen Schwierigkeiten deutscher Leser mit der von Steinbeck phonetisch abgebildeten Alltagssprache ab) und ist daher für eine schulische Lektüre gut geeignet.

Es ist allerdings aus dem gleichen Grund unverständlich, dass gerade diese Übersetzung aus dem Jahr 1940 durch Elisabeth Rotten noch immer lieferbar ist. Ohne der Übersetzerin einen Vorwurf machen zu wollen, besonders da mir die näheren Umstände, unter denen sie gearbeitet hat, nicht bekannt sind, muss man feststellen, dass ihre Übertragung eine mittlere Katastrophe darstellt. Nicht nur trifft Rottens besserwisserische Übersetzungsmethode Steinbecks Ton höchstens einmal zufällig, ihr Vokabular ist gänzlich unzureichend, viele idiomatische Phrasen sind ihr unbekannt und werden daher aufs Geratewohl übertragen und hier und da läßt sie ganze Sätze oder Satzteile einfach aus, ohne dass dafür andere Gründe als Flüchtigkeit erkennbar wären. Warum dtv diese Version des Textes immer noch im Druck hält, wird noch unverständlicher durch die Tatsache, dass mit der Neuübersetzung von Mirjam Pressler eine um Klassen bessere Alternative im selben Verlag vorliegt, wenn sie auch deutlich teuer ist als die alte Ausgabe.

Steinbeck, John: Von Mäusen und Menschen. Deutsch von Elisabeth Rotten.
dtv, 1987. ISBN 3-423-10797-9
Kartoniert – 120 Seiten – 6,00 Eur[D]

Empfohlene Ausgabe:
Steinbeck, John: Von Mäusen und Menschen
Deutsch von Mirjam Pressler
dtv, 2002. ISBN 3-423-62072-2
Kartoniert – 144 Seiten – 7,50 Eur[D]

Annette Pehnt: John Steinbeck

75985123_5843951f57Die derzeit einzige lieferbare deutschsprachige Biographie zu John Steinbeck, dessen Bücher allerdings in einer überraschenden Breite in deutscher Übersetzung vorliegen, was darauf hindeutet, dass sie nicht viel von ihrer Popularität verloren zu haben scheinen – allen voran natürlich »Von Mäusen und Menschen«, das zumindest im Englischunterricht noch zum Kanon gehört.

Die Biographie von Annette Pehnt ist in der Reihe »dtv portrait« erschienen, mit der dtv in direkte Konkurrenz zu den Rowohltschen Bildmonographien getreten ist. Auch diese Konkurrenz belebte das Geschäft, denn nach einer längerern Phase der Stagnation hat sich in den vergangenen Jahren das Niveau der Rowohltschen Bildmonographien sehr erfreulich entwickelt: Viele ältere und kaum mehr brauchbare Bände der Reihe sind durch neu verfasste ersetzt und auch Lesefreundlichkeit und Erscheinungbild sind verbessert worden. Die dtv-Reihe ist bei weitem nicht so umfangreich wie die Rowohltsche, steht aber, was die Attraktivität der Bände angeht, der Konkurrenz in nichts nach. Im Fall des vorliegenden Bandes ist der Buchblock sogar fadengeheftet und das bei einem Preis von 8,50 €. Mit solchen Büchern kann man arbeiteten.

Die Biographie von Annette Pehnt informiert leider nur sehr knapp über den eigentlich biographischen Stoff, erzählt dafür aber auf vielen Seiten Inhalte der wichtigsten Bücher Steinbecks nach. Ich kenne nun die englischsprachige Literatur zu Steinbeck nicht, kann mir also kein Bild davon machen, wie forschungsaufwendig eine andere Gewichtung des präsentierten Materials gewesen wäre. Mir wäre es nur eben lieber gewesen, wenn ich mehr zu Steinbeck selbst erfahren hätte, da ich die Bücher selbst lesen kann und will.

Grundsätzlich leidet diese Biographie daran, dass sie den Eindruck vermittelt, dass die Autorin Steinbeck als Menschen nicht mag und als Autor bestenfalls für drittranging hält. Mit dem letzteren mag sie vielleicht sogar Recht haben, aber man kann auch über einen drittrangigen Autor, besonders über einen, dessen Bücher auch fast 40 Jahre nach seinem Tod noch ungebrochen populär sind, sicherlich interessanteres sagen als immer wieder ›trotz der schwerwiegenden Schwächen des Buches‹ oder ähnliches. Das »Phänomen Steinbeck«, dem sein Erfolg ein Anlass dazu war, sich als Autor zu misstrauen, beschreibt Pehnt zwar, verweigert aber jegliche Analyse. Stattdessen stellt sie mit derselben Naivität, die sie dem Autor Steinbeck an zahlreichen Stellen attestiert, ihr buntes Bild der Welt neben dessen Bücher und hält dies anscheinend für eine Form der kritischen Auseinandersetzung. Ganz drollig gerät es, wenn sie versucht, gut feministisch Steinbeck seinen Machismo vorzuhalten und durch gleichzeitige Kritik des weiblichen Gegenlagers eine ausgleichende Ungerechtigkeit herzustellen.

Leider kein gutes Buch, das sich nur für eine erste, oberflächliche Information eignet.

Pehnt, Annette: John Steinbeck
dtv, 1998. ISBN 3-423-31010-3
Kartoniert – 160 Seiten – 8,50 Eur[D]

John Griesemer: Rausch

48746508_02bc0ea3b0Ein Roman fast so lang wie das Atlantikkabel, das in ihm verlegt werden soll. (Wahrscheinlich eine Formulierung, die bereits in drei Rezensionen verwendet worden ist.) John Griesemer benutzt die mehrfachen Versuche, zwischen 1857 und 1866 ein Telegraphenkabel durch den Atlantik zu legen, als Hintergrund für eine Odyssee seiner Protagonisten. An erster Stelle steht Chester Ludlow, der verantwortliche Ingenieur aller gescheiterten Versuche, dessen Ehe während dieser Zeit eine tiefe Krise durchläuft, der sich in eine leidenschaftliche Affäre mit der Frau eines anderen Mannes verstrickt und schließlich nach dem Tod dieser Frau und seines Halbbruders Otis zu seiner Ehefrau zurückfindet. Franny Ludlow, eine ehemalige Schauspielerin, durchlebt ihre eigene Krisenzeit: Tief getroffen vom Tod ihrer kleinen Tochter hat sie sich in sich selbst zurückgezogen und sucht, während ihr Mann unterwegs ist, zusammen mit dessen Halbbruder Otis nach einem spirituellen Weg, mit ihrer Tochter wieder in Verbindung zu treten. Ihr wird eine einzige Vision zuteil, woraufhin sie sich entschließt, als spirituelles Medium die USA zu durchreisen. Otis umrundet derweil beinahe den Planeten auf der Suche nach einer Landroute für ein Telegraphenkabel über die Beringstraße und durch Asien.

Eine weitere Figur, die einen Fokus der Geschichte bildet, ist der Londoner Zeichner und Maler Jack Trace, der für seinen Lebensunterhalt sorgt, indem er Londoner Zeitungen Zeichnungen und kleine Artikel anbietet, darunter auch Berichte über das größte Schiff seiner Zeit, die Great Eastern, die von einem Desaster ins nächste gerät und schließlich das Schiff sein wird, mit dessen Hilfe das Atlantikkabel erfolgreich verlegt wird.

An diesem letzten, geglückten Versuch aber ist John Griesemer kaum mehr interessiert; er behandelt ihn beinahe nur en passant am Schluss seines Romans. Während er die Handlung vorwärts treibt, scheint er es vielmehr darauf anzulegen, den Motiven nachzuhorchen, die seine Figuren umtreiben, und als Hintergrund ein Bild von der englischen und nordamerikanischen Gesellschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu liefern. Letzteres gelingt allerdings nur bedingt: Die sozialen und ökonomischen Verwerfungen kommen höchstens in Andeutungen vor und der Auftritt von Karl Marx zu Anfang des Romans bleibt eine witzige Episode ohne konkrete Folgen. Griesemer ist zu sehr mit der Innenwelt seiner Figuren beschäftigt, als dass hier mehr hätte gelingen können.

Wahrscheinlich hätte es den Lesern der deutschen Übersetzung geholfen, wenn man den englischen Originaltitel »Signal & Noise« einfach ins Deutsche übertragen hätte, anstatt das Rauschen des Originals zu einem deutschen »Rausch« zu verkümmern. Aber beim Verlag hat sich wohl einer gedacht, dass ein Rausch allemal besser zieht als ein Rauschen. Schade!

Insgesamt ist – um mich zu wiederholen – der Roman schon unmäßig lang. Da er auch nicht in allen Passagen gleich gut gelungen scheint, war die Lektüre dann und wann schon etwas mühsam und zäh; aber dann kam eben wieder eine gelungene Episode – etwa die Beschreibung eines Sturms auf hoher See oder der vom amerikanischen Bürgerkrieg verstörte Jack Trace auf einer gesprengten Eisenbahnbrücke –, so dass der Antrieb zum Weiterlesen wiederkam. Ein ungewöhnliches Buch für geduldige Leser mit Neugier auf das 19. Jahrhundert.

Lizenzausgabe der Büchergilde Gutenberg des Titels:
Griesemer, John: Rausch
Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke
marebuchverlag, 2003; ISBN 3-936384-86-X
Gebunden
686 Seiten – 23,2 × 13,8 cm – 24,90 Eur[D]

Woody Allen: Wie du dir so ich mir

45785124_a4bd0104ffEine Wiedererinnerungs-Lektüre, weil mir das Buch zufällig in die Hand gefallen ist. Einige Sachen immer noch sehr witzig; besonders das „Frühjahrs-Programm“ und die „Geschichte der Mafia“ haben mir wieder gut gefallen.

Diese Ausgabe ist nicht mehr lieferbar.

Lieferbare Alternative:
Allen, Woody: Das Woody Allen Buch. Ohne Leit kein Freud / Nebenwirkungen / Wie du dir, so ich mir
Rogner & Bernhard; ISBN 3-8077-0277-6
Gebunden
572 Seiten – 19,2 × 12,5 cm – 5,10 Eur[D]